Gain of Function.VMDL

Entwicklung von potenziell gefährlichen Viren (Symbolbild) © VMDL

USA wollen Pandemie-Risiko heikler Virenforschung eindämmen

Red. /  Viren mit Pandemie-Risiko werden heute weitgehend geheim entwickelt. Bidens Regierung will das für die USA ändern.

upg. Die Biden-Regierung hat dem Kongress Vorschläge für eine Aufsicht dieser enorm heiklen und gefährlichen Forschung unterbreitet. Doch zwei auf Infektionskrankheiten spezialisierte Professoren und eine auf Gesundheitssicherheit spezialisierte Anwältin forderten in der «New York Times» die Regierung und den Kongress auf, diese Forschung noch schärfer zu überwachen als vorgesehen. Denn: «Niemand von uns sollte das Risiko tragen, eine von der Menschheit selbst verursachte Pandemie zu erleben.»
Ein Gastbeitrag.


Gentechnisch veränderte Viren, die sich unter Säugetieren verbreiten

Es ist etwa ein Jahrhundert her, dass Viren als Verursacher verheerender menschlicher Krankheiten erkannt wurden. Seitdem versuchten Wissenschaftler und Gesundheitsexperten unermüdlich, die Gefahren krankmachender Viren durch die Entwicklung von Impfstoffen und Behandlungsmethoden, besseren Lebensstandard und vieles mehr zu verringern.

Doch im Jahr 2012 beschrieben Wissenschaftler überraschend, wie sie das Gegenteil erreicht hatten: Sie hatten hochgradig tödliche Vogelgrippeviren gentechnisch so verändert, dass sich Säugetiere schneller damit anstecken – möglicherweise auch Menschen.

Risiko einer Pandemie grösser als der potenzielle wissenschaftliche Nutzen

Die Forscher erklärten, sie hätten diese Viren entwickelt, um ihr wissenschaftliches Verständnis der Vogelgrippe zu vertiefen. Wir gehörten zu den vielen Experten auf der ganzen Welt, die sich gegen ihre Forschung aussprachen. Das Risiko einer zufälligen oder absichtlichen Pandemie, die von diesen «verbesserten» Viren ausgeht, überwiegt bei weitem jeden potenziellen wissenschaftlichen Nutzen.

In den sechs Jahren vor der Covid-19-Pandemie stellte die US-Regierung die Finanzierung solcher Arbeiten zunächst ein und nahm sie dann wieder auf. Sie führte zwar Beschränkungen ein, die strenger waren als in vielen anderen Ländern, aber von einigen Forschern offensichtlich immer noch umgangen wurden.

Die Vorschriften verlangten keine Transparenz darüber, welche Forschung genehmigt und finanziert wurde. Die Vorschriften waren nicht ausreichend, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Autoren und Autorin

Tom Inglesby ist Professor für Infektionskrankheiten an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health. Er ist dort Direktor des Zentrums für Gesundheitssicherheit. 
Anita Cicero ist Juristin an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health. Sie ist dort stellvertretende Direktorin des Zentrums für Gesundheitssicherheit. 
Marc Lipsitch ist Professor für Mikrobiologe und Epidemiologe an der Harvard T.H. Chan School of Public Health. Er leitet dort das Center for Communicable Disease Dynamics.


Vorschlag der US-Regierung zur Aufsicht gefährlicher Forschung

Die mögliche Rolle eines Laborunfalls bei der Auslösung der Covid-Pandemie wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Klar ist jedoch, dass wir dringend eine stärkere staatliche Aufsicht über die riskante Virusforschung brauchen.

Die US-Regierung hat im Mai 2024 eine detaillierte neue Richtlinie veröffentlicht, die – falls sie vollständig umgesetzt wird – eine strenge Aufsicht einführt und konkrete Regeln dafür aufstellt, ob und unter welchen Bedingungen diese Art von hochriskanter wissenschaftlicher Arbeit durchgeführt werden kann. 

Ursprünglich wurde diese Arbeit als «Gain-of-function»-Forschung bezeichnet, weil es dabei zumeist darum ging, Viren neue Fähigkeiten zu verleihen. Viele Wissenschaftler hielten diesen Begriff jedoch für zu vage und zu weit gefasst. Die neue Richtlinie korrigiert diese falsche Bezeichnung und befasst sich mit der Aufsicht über die wissenschaftliche Forschung mit Krankheitserregern mit erhöhtem Pandemiepotenzial PEPP (Pathogen with enhanced pandemic potential).

Die neue Richtlinie, die bis Mai 2025 in Kraft sein soll, definiert für Forscher und ihre Institutionen, welche Arten von wissenschaftlicher Arbeit so riskant sind, dass sie einer besonderen staatlichen Überprüfung und Genehmigung bedürfen. Jeder Wissenschaftler, der davon ausgeht, dass seine Forschung einen tödlicheren oder übertragbaren Krankheitserreger hervorbringen könnte, der die Gefahr eines schweren Ausbruchs birgt, muss seine Arbeit auf höchster Ebene überprüfen und genehmigen lassen, bevor er sie fortsetzt.

Auch Experimente, welche die Abwehrkräfte des menschlichen Immunsystems gegen Krankheitserreger beeinträchtigen oder stören, müssen im Rahmen dieser Richtlinie geprüft werden. 

Wissenschaftler, die daran arbeiten, ausgestorbene oder ausgerottete Viren wiederzubeleben, die in der Vergangenheit Epidemien oder Pandemien verursacht haben, müssen ebenfalls eine Genehmigung der Bundesbehörden einholen. 

Die Richtlinie beseitigt zudem einige Ausnahmen, die in der Vergangenheit erlaubten, eine Überprüfung auf höchster Ebene zu umgehen. Sie verlangt auch die Unterschrift eines verantwortlichen Bundesbeamten, damit die Arbeit beginnen kann.

Die Richtlinie enthält noch immer Lücken

Wir sind der Meinung, dass die neue Richtlinie solide ist und eine deutliche Verbesserung gegenüber früheren Bemühungen der USA darstellt, die Risiken dieser Art von Forschung zu verringern. Die US-Regierung sollte andere Länder davon überzeugen, ähnliche Systeme einzurichten, um sicherzustellen, dass diese Art Forschung weltweit sicher geregelt wird.

Die neue Politik löst jedoch nicht alle Probleme. Es gibt noch Lücken, die geschlossen werden müssen. Dies könnte das Weisse Haus bei der Umsetzung der Richtlinie tun, oder der Kongress sollte es tun, der die Politik beaufsichtigt. 

Einige konkrete Lücken

  • Die Richtlinie gilt nicht für die gesamte Forschung, sondern nur für die Forschung, die von der US-Regierung finanziert wird oder anderweitig durch eine Bundesaufsichtsrichtlinie geregelt ist. Der Kongress sollte verlangen, dass diese Richtlinie für alle PEPP-Forschungsaktivitäten gilt, unabhängig von der Finanzierungsquelle. 
  • Die Regierung muss auch Regeln für Wissenschaftler aufstellen, die computergestützte Instrumente einsetzen. Die künstliche Intelligenz erleichtert das Schaffen von Toxinen und Designermikroben und birgt deshalb neue potenzielle Risiken für eine Pandemie. 
    Wann und wie die Regierung solche Werkzeuge bewerten sollte, muss noch festgelegt werden.
  • Der Aufsichtsprozess muss viel transparenter sein. In der derzeitigen Fassung sieht die Politik die Veröffentlichung eines einzigen jährlichen Gesamtberichts vor. Viel besser wäre eine vierteljährliche Berichterstattung mit Zusammenfassungen der PEPP-Forschungsprojekte, die von einer beliebigen Fördereinrichtung vorgeschlagen werden, mit einer Beschreibung, wie die Vorschläge bewertet werden, und mit einer Begründung für die getroffenen Entscheidungen. 
    Die Sorge über das geistige Eigentum (Patentschutz) ist zwar real, doch überwiegt das öffentliche Interesse, darüber informiert zu sein, wie man vor tödlichen Krankheiten geschützt wird.
  • Es wäre unklug, wenn der Kongress die Beteiligung von Bundesfinanzierungsagenturen wie dem National Institutes of Health am Prüfungsverfahren abschaffen würde. Die NIH verfügt über beträchtliche Fachkenntnisse und Erfahrungen in diesen Fragen, die in den Überprüfungsprozess einfliessen sollten.
  • Die NIH und andere involvierte Behörden müssen tatsächliche oder vermeintliche Interessenkonflikte von Beamten ausschliessen, die an den Prüfungen und der Entscheidung beteiligt sind. 
  • Forscher, die Krankheitserreger übertragbarer oder tödlicher machen wollen oder Krankheitserreger entwickeln, die das menschliche Immunsystem umgehen können, sollten als Voraussetzung für eine Bewilligung nachweisen, dass
    – diese Arbeit von entscheidender Bedeutung ist; 
    – der Nutzen für die öffentliche Gesundheit nicht durch sicherere Ansätze erreicht werden kann;
    – dieser Nutzen die ausserordentlichen potenziellen Risiken überwiegt, die damit verbunden wären. 
    – sie über die nötige Kompetenz und das Fachwissen sowie über die Sicherheitsprotokolle und technischen Kontrollen im Labor verfügen, um Unfälle oder versehentliche Infektionen zu vermeiden.

Diese neue Politik ist nicht perfekt, aber sie wäre die weltweit solideste Regelung und das klarste Regelwerk für diese Art von Wissenschaft. Eine strenge, wirksame Aufsicht über diese Forschung sollte für die USA und die ganze Welt Priorität haben. 

Niemand von uns sollte das Risiko tragen, eine von der Menschheit selbst verursachte Pandemie zu erleben.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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4 Meinungen

  • am 30.07.2024 um 11:18 Uhr
    Permalink

    Die Forschung ist bereits seit einigen Jahren in den USA verboten. Dieses ist der Grund dass man die Forschung nach China, Ukraine, und nur der liebe Gott weiss wo sonst noch, auslagert. Vieren und Gegenmittel sind eine gewaltige Industrie, genauso so wie die Kriege, wie zur Zeit in der Ukraine.

  • am 30.07.2024 um 14:12 Uhr
    Permalink

    Dass die mögliche Rolle eines Laborunfalls bei der Auslösung der Covid-Pandemie kontrovers diskutiert werde, stimmt meines Erachtens nicht. Die Diskussion findet eigentlich nur von der Seite her statt, welche einen Labor-Ursprung vermutet. Die andere Seite diskutiert nicht mit. Sie stellt sich tot. Und da die meisten Medien bei diesem Totstellen mitmachen (wahrscheinlich weil sie in der Vergangenheit die Laborhypothese als Verschwörungstheorie abgetan hatten), hat diese Strategie bisher relativ viel Erfolg.
    Ich finde es aber enorm wichtig, hier dranzubleiben. Wenn die Zweifel an der natürlichen Entstehung in einer breiteren Bevölkerungsschicht ankommen würden, dann wäre deren Bereitschaft, den Behörden jede Behauptung ungeprüft zu glauben, wohl stark vermindert. Eine öffentlich geführte Diskussion über den Ursprung von Sars-CoV-2 könnte der Schlüssel sein für eine seriöse Aufarbeitung der Coronakrise und auch für eine griffige Regulierung der künftigen Forschung.

  • am 30.07.2024 um 18:35 Uhr
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    Zunächst hinken, wie man sieht, Vorschriften dem Stand der Technik immer hinterher. Aber selbst die klügste und beste Vorschrift nützt nur, wenn ihre Einhaltung auch tatsächlich überwacht werden kann. Und da fragt man sich dann schon, ob der Gang nach Wuhan vielleicht nur einen einzigen Grund hatte. Und man fragt sich, ob die chinesische Regierung, da auf sehr eigenartige Weise eingeweiht war.

  • am 31.07.2024 um 12:18 Uhr
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    Was nutzt die beste Kontrolle durch nationale Behörden, wenn man problemlos die Forschung in andere Länder verlagern kann. Wer könnte es einem Forschungslabor in einem Entwicklungsland verdenken, wenn es Millionen Dollar für Forschungen annähme, die in anderen Staaten nicht möglich wären. Aber das Schöne an den Viren ist, dass sie total demokratisch sind. Auch Kanzler und Präsidenten bleiben bei einer Pandemie nicht verschont, wie das Corona Virus alle gelehrt hat. Tödliche Viren halten sich nicht an nationale Grenzen. Vielleicht sollte das den Entscheidern zu denken geben.

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