neo-advertising

Das Bellevue: Eine Zürcher VBZ-Haltestelle mit Werbescreens der Firma Neo Advertising. © Neo Advertising

Werbescreens: Wegen Stromverbrauch Ausbau-Stopp gefordert

Pascal Sigg /  Die Stadt Zürich lässt über 250 weitere Screens installieren. Damit untergrabe sie den Klimaschutz, meinen drei Organisationen.

Die Stadt Zürich rüstet in den kommenden Jahren die Werbeflächen an den Haltestellen der Verkehrsbetriebe VBZ um. Die Firma Neo Advertising darf 257 neue digitale Screens installieren. Und die Firma Livesystems bewirtschaftet die Flächen am Bahnhofplatz. Über die neu vermarkteten Flächen nimmt die Stadt gemäss Mitteilung neu jährlich 14.9 Millionen Franken ein. Die VBZ verkündet stolz: «Die Digitalisierung von 15 Prozent aller Werbeflächen der VBZ ist schweizweit ohne Beispiel. Zürich wird damit führend im Bereich DOOH. Auch deshalb hat das Projekt eine gewisse Bedeutung für den gesamten Werbemarkt Schweiz.»

Mit dem Ausbau der digitalen Aussenwerbekanäle, genannt DOOH (Digital Out of Home), geht die Stadt Zürich mit einem Trend der Werbeindustrie und entspricht einem Bedürfnis der werbetreibenden Unternehmen nach flexiblerer und zielgenauerer Werbeschaltung.

Doch die Bildschirme sind bei der Bevölkerung vergleichweise unbeliebt. Und ihr erhöhter Stromverbrauch führt nun auch zu Widerstand. In einem gemeinsamen offenen Brief fordern die IG Plakat, Raum, Gesellschaft, der Klimastreik Zürich und die Schweizerische Energie-Stiftung einen Stopp des Ausbaus digitaler Werbeflächen in der Stadt Zürich sowohl auf privatem wie auch öffentlichem Grund.

Mit dem Ausbau untergrabe die Stadtverwaltung den Willen der eigenen Bevölkerung, welche 2008 via Abstimmung mit der Vorlage zur «2000-Watt-Gesellschaft» ein konkretes Klimaschutzziel in der Gemeindeordnung festgelegt hatte. «Durch die Zurschaustellung von Konsum auf Werbeträgern, die gegenläufig zur 2000-Watt-Gesellschaft oder dem Netto-Null-Ziel sind, untergräbt die Stadt ihre Glaubwürdigkeit und macht die Anstrengungen des EWZ (städtische Elektrizitäts- und Wasserwerke, Red.) und der Bürgerinnen und Bürger zunichte.»

Die Unterzeichnenden rechnen vor: «Während eine gross angelegte Werbekampagne des EWZ versucht, der Bevölkerung Solarpanele quadratmeterweise zu verkaufen, verbrauchen die aktuellen und geplanten Werbebildschirme auf öffentlichem Grund so viel Strom wie knapp 20 000 Quadratmeter Solarpanele.» Sie finden daher, eine Erweiterung der digitalen Werbeflächen fresse unnötig Energie und setze für eine progressiv denkende und handelnde Stadt die falschen Zeichen.

Gemäss persoenlich.com nimmt der Stadtrat den Brief zur Kenntnis, muss seine Antwort darauf aber «noch finden».

Stromeinsparung hängt in keiner Weise mit Bildschirmen zusammen

Die VBZ bestreiten nicht, dass die Bildschirme mehr Strom benötigen als die bisherigen Werbeflächen. Sie weisen bloss darauf hin, dass mit dem Umbau der Werbeflächen die Haltestellen mit Beleuchtung mit tieferem Stromverbrauch ausgerüstet würden. «LED mit Bewegungssensorik ersetzt künftig die Leuchtstoff-Röhren.»

Gleichzeitig bestätigen sie aber auch, dass dies eigentlich gar nichts mit der Installation der Bildschirme zu tun hat. Auf Infosperber sagt ein VBZ-Sprecher: «In der LED-Technologie gab es viele neue Entwicklungen und Verbesserungen in den letzten Jahren. Neben dem Leuchtmittel spielt auch die Steuerung eine zentrale Rolle. Diese ist erst jüngst so weit ausgereift, dass sie sich für eine solche Verwendung an Haltestellen eignet. Beispielsweise muss die Steuerung eine hohe Temperaturbeständigkeit aufweisen, da die Temperatur an unseren Haltestellen natürlich saisonal stark schwankt.»

Gegenüber persoenlich.com nahm der Verband Aussenwerbung Schweiz ebenfalls Stellung zum Brief. Präsident Markus Ehrle sagte: «Hinter den Forderungen steckt unserer Meinung nach eine generelle Wirtschafts- und Werbefeindlichkeit». Die Werbewirtschaft würde die Gesellschaft bereichern, Diskurs schaffen, sowie Unternehmen, Politikern und Konsumentinnen helfen, sich zu verständigen. Zudem sei sie ein «wichtiger Bestandteil» einer freien, demokratischen Marktwirtschaft.

Ehrle fand zudem: «Die gesamte Werbewirtschaft und auch sämtliche andere Branchen sind auf dem Weg zur Digitalisierung. Eine Entwicklung zu stoppen, die offensichtlich mehr Transparenz, Effizienz und Möglichkeiten bietet, erachten wir als nicht zielführend.»

Doch wie Infosperber bereits berichtet hat, verläuft die Digitalisierung der Aussenwerbung alles andere als transparent. So ist zum Beispiel unbekannt, inwiefern der Umbau einem Ausbau der Flächen gleichkommt. Zudem arbeiten manche Bildschirme auch mit 3D-Sensoren zur Erfassung demografischer Daten der beworbenen Zielgruppe, was die Anbieter verschweigen und verschleiern. Immerhin: Die neuen Screens an den Haltestellen haben gemäss VBZ keine Sensoren.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.
Portrait Pascal.Sigg.X

Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

2 Meinungen

  • am 30.06.2022 um 18:32 Uhr
    Permalink

    «Die VBZ […] weisen […] darauf hin, dass mit dem Umbau der Werbeflächen die Haltestellen mit Beleuchtung mit tieferem Stromverbrauch ausgerüstet würden.» Das ist ja ein tolles Argument. In den letzten Jahrzehnten sind auch die Benzinmotoren um ein Vielfaches effizienter geworden. Worauf die Autoindustrie, natürlich weil die Kunden das so wollen, das Durchschnittsauto etwa zwei- bis dreimal schwerer gemacht hat und die Durchnitts-PS-Leistung drastisch höher ist. So wird das nie etwas mit sparen.

  • am 2.07.2022 um 12:56 Uhr
    Permalink

    Wow, endlich wieder ein Problem(chen)!
    Schauen wir uns doch einmal die bestehende Variante an: es fährt ein Wagen vor, Leute kratzen die alten Plakate ab und kleben neue auf die Wand. Dann geht’s weiter zur nächsten Plakatwand usw. Nach ein paar Tagen beginnt das Spiel wieder von vorne. Was ist da wohl effizienter? Schade allerdings, dass mit den neuen LED-Wänden Arbeiter ihren Job verlieren.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...