Sperberauge

Rekordhohe Zahl an Werbe-Beschwerden – und grosses Eigenlob

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Pascal Sigg /  Die Lauterkeitskommission bearbeitete 2021 über hundert Verfahren. Immer mehr Beschwerden betreffen Unrichtigkeit und Irreführung.

Kürzlich veröffentlichte die Schweizerische Lauterkeitskommission (SLK) ihren Tätigkeitsbericht des Jahres 2021. Demnach bearbeitete das Gremium letztes Jahr mit über hundert Verfahren eine rekordhohe Anzahl an Beschwerden.

Folgende Entwicklungen wies die SLK detaillierter aus:

  1. Beschwerden wegen Unrichtigkeit und Irreführung haben stark zugenommen. Zusammen mit den Beschwerden wegen aggressiver Verkaufsmethoden (beide über 25 Prozent) verzeichnen diese Tatbestände die meisten Begründungen für Beschwerden.
  2. Bei den Werbemedien richteten sich – mit steigender Tendenz – am zweitmeisten Beschwerden gegen Aussenwerbung. Spitzenreiter bleibt hier – allerdings mit sinkendem Anteil – Online- resp. Email-Werbung.
  3. Der Anteil von Beschwerden wegen Sexismus hat sich – trotz insgesamt gestiegener Beschwerdezahl – in den letzten Jahren stabilisiert.

Ähnlich dem Presserat, welcher Beschwerden gegen journalistische Medien entgegennimmt, wies das Gremium die Beschwerden mehrheitlich ab. Etwa 45 Prozent der Beschwerden wurden gutgeheissen, was in etwa dem Schnitt der letzten Jahre entspricht.

Beispielhaft beurteilte die SLK folgende drei Beschwerden:

Sexistische Ledertaschenwerbung

Sexismus_SLK
Kein natürlicher Zusammenhang zwischen der nackten Frau und der Ledertasche

Die SLK hiess eine Beschwerde gegen eine Ledertaschenwerbung gut. «Wenn sich für die Durchschnittsadressaten weder aus der bildlichen Darstellung noch den textlichen Inhalten eines Werbesujets ein natürlicher Zusammenhang zwischen der nackt dargestellten Frau und dem beworbenen Produkt (Ledertasche) ergibt», liege ein Verstoss gegen den entsprechenden Grundsatz vor, hielt die Erste Kammer der SLK fest. Darüberhinaus werde die Frau in rein dekorativer Funktion als Blickfang dargestellt.

Kein verletztes Anstandsgefühl

Die SLK wies eine Beschwerde gegen ein Plakat, das eine junge Frau mit ausgestrecktem Mittelfinger zeigt, ab. Jugendliche und junge Menschen würden die massgebliche Zielgruppe bilden. «Nach deren Verständnis und aus dem Gesamteindruck der kommerziellen Kommunikation erfolgt das Zeigen des Mittelfingers nicht aus Bosheit oder zum Zwecke reiner Provokation, sondern im Rahmen des Gedankens, seinen eigenen Weg zu gehen, sowie eines Ausdrucks der Abneigung gegenüber den Erwartungshaltungen des gesellschaftlichen Umfelds.»

«Sponsored» reicht als Kennzeichnung kommerziellen Inhalts

Die SLK wies eine Beschwerde ab, welche beanstandete, dass ein News-Artikel eines Onlinemediums als Werbung daherkomme. Nach Ansicht der SLK war der Beitrag aber genügend deutlich vom redaktionellen Inhalt abgegrenzt. Insbesondere über den Begriff «Sponsored». «Sponsored ist ein dem Publikum geläufiger und allgemein verständlicher Begriff, der klar auf den kommerziellen Charakter des Beitrags hinweist, begründete die Erste Kammer. Weil die SLK nicht den gesamten Beitrag abbildet, ist dieses Urteil schwer nachzuvollziehen. Tatsache ist jedoch, dass der Presserat einen ähnlichen Fall kritischer einordnete und «Sponsored» als irreführend bezeichnete.

SLK-Präsident, PR-Unternehmer und Mitte-Ständerat Philipp Kutter zeigt sich mit der eigenen Arbeit im 2021 hoch zufrieden. Im Vorwort schreibt er, die SLK vereinige «viel Sachverstand» und «verschiedene Sichtweisen». «Sie geniesst über die Branche hinaus hohe Akzeptanz und ist ein Musterbeispiel dafür, wie mithilfe von Selbstregulierung fachlich hervorragende Ergebnisse erzielt werden können.»

Dass die Lauterkeitskommission auch Unverständnis hervorruft, weil sie grossmehrheitlich aus VertreterInnen der Werbebranche besteht, welche die Perspektive der DurchschnittsadressatInnen von Werbung beurteilen, bleibt unerwähnt.

Selbstregulierungsorgan der Schweizer Werbebranche

Die Schweizerische Lauterkeitskommission (SLK) ist das Selbstregulierungsorgan der Werbebranche. Wer der Ansicht ist, Werbung sei unlauter, kann sich bei ihr kostenlos beschweren. Damit entfällt die Hürde der hohen Rechtskosten. Und es müssen sich nicht immer gleich Gerichte mit Klagen befassen, weil eine Werbekampagne an der Grenze des Sagbaren kratzt. Allerdings haben Entscheide der Lauterkeitskommission keine Rechtskraft. Das Gremium ist eine private Organisation, betrieben und finanziert von den wichtigsten Verbänden der Werbebranche. Die Interessen der Konsumierenden sind schwach vertreten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

Eine Meinung zu

  • am 4.04.2022 um 11:51 Uhr
    Permalink

    Da ja gesetzlich geregelt ist was erlaubt ist und was nicht, muss im Zweifel eben geklagt werden und weitergeführt werden bis man merkst des diese Kommission nicht den Zweck erfüllt für den sie angeblich steht. Vor nicht allzulanger Zeit gab es erst einen ähnlichen Artikel und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, das es anscheinend nicht so funktioniert wie man es sich wohl gedacht hat.

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