Kommentar

Ökonomie – Nachhaltigkeit 7:1

Hans Steiger © zvg

Hans Steiger /  Wachstumskritik ist ein seltenes Pflänzchen. Noch dominiert das Wachstumsdogma Ökonomie, Politik und Medien – im Gleichschritt.

Am 15. Oktober 2016 hat der Tages-Anzeiger im Magazin für einmal «Ansichten eines Wachstumskritikers» geliefert. Urs P. Gasche beschrieb dort die aktuelle(n) Krise(n) und skizzierte dazu «eine Exitstrategie», obwohl diese zur Zeit «politisch nicht machbar» sei. Weil er schon 2010 gemeinsam mit Hanspeter Guggenbühl in Buchform ein «Plädoyer für eine Umkehr» vorgelegt hatte, konnte er sich nun knapper halten. Eigentlich sind ja die Fakten bekannt. Doch noch ist «der Einfluss der Finanzindustrie und der Konzerne zu gross», um das Notwendige zu tun.

Und prompt publizierte das Leitblatt der Tamedia am Montag – im Verbund mit LENA, «der Allianz führender Zeitungen Europas» – wieder einen Kommentar, der für eine Politik wirbt, die der Macht der Konzerne zudient: «Handelsverträge nicht verzögern». Voran mit TTIP und CETA! «Je später die Verhandlungen, desto später die Gewinne.» Gewiss liessen sich im TA täglich Texte mit diesem Credo zu finden. Wie andernorts auch. 2014 wurden vier deutsche Tageszeitungen sowie ein Wochenmagazin während zwei Monaten forschend unter die Lupe genommen, um «die quantitative und qualitative Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit im Vergleich zur traditionellen Wirtschaftsberichterstattung» zu messen. Resultat: «Ökonomie schlägt Nachhaltigkeit 7:1».

Ferdinand Knauss, dem ich das kleine Zahlenbeispiel verdanke, überraschte dies nicht. Er wertete einschlägige Beiträge in FAZ, Zeit und Spiegel über einen weit längeren Zeitraum hinweg aus. Beginnend kurz nach dem Weltkrieg. Finale fast heute. Seit nach einer Phase der Wachstumskritik in den frühen 1970er-Jahren das «Wachstumsparadigma» nicht nur in Ökonomie und Politik, sondern parallel in allen Medien zu dominieren begann, blieben Gegenstimmen rar und waren am ehesten im Feuilleton zu finden. Als die entscheidende Schlacht um den Bericht an den Club of Rome, der «Grenzen des Wachstums» angemahnt hatte, mit viel Getöse im Geiste der Fortschrittsgläubigen geschlagen war, hielt die meinungsbildende Elite die Stellung.

Mehr Distanz der Medien gegenüber den Mächtigen

Zustimmend zitiert der selber im Metier tätige Autor die sogenannte Indexing-Hypothese eines US-Medienforschers, nach der «die meisten Journalisten ihre Meinungen in aller Regel gemäss den Ansichten der Mächtigen und Etablierten entwickeln, über die sie berichten und mit denen sie in einem symbiotischen Verhältnis verbunden sind.» Was im Untertitel des Buches anklingt, macht es speziell spannend: «Wie der Journalismus zum Sprachrohr der Ökonomen wurde.» Dass der Vorwurf einer kaum reflektierten Übernahme von Mainstream-Meinungen nicht nur die wirtschaftsnahe Frankfurter Allgemeine trifft, sondern auch bei eher als kritisch geltenden Wochenblättern belegbar ist, beunruhigt als Befund.

Vielleicht ignoriere der Journalismus «auf Grund seiner Folgsamkeit gegenüber der Macht» auch andere zentrale Probleme, merkt Knauss in seinen Schlussfolgerungen an. Jedenfalls sei das «in Bezug auf die Folgen einer andauernden Wachstumspolitik der Fall.» Da werde das Ausblenden «der Gefahren des einmal eingeschlagenen Pfades» stets gegenseitig gefördert. Das derzeit – in anderen Zusammenhängen – böse und «wenig scharfsinnig» gepöbelte Wort von der «Lügenpresse» sollte vielleicht als Warnung und «Aufruf zur Wahrung der Distanz gegenüber den Mächtigen» verstanden werden.

Wie wohl die WirtschaftsWoche ausschaut, bei der Knauss heute Redakteur ist?

Dieser Text ist erstmals im PS erschienen.


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Keine

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3 Meinungen

  • am 21.10.2016 um 12:41 Uhr
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    Wichtiger als «destruktive» Wachstumskritik scheint heute sowieso der Mars zu sein. Der Mars-Lander Schiaperelli der Europäischen Weltraumorganisation bleibt zwar auf dem Mars jetzt stumm. Immerhin soll der Mars-Orbiter immer noch um den Mars kreisen und Daten zur Erde senden. In diesem Orbiter befindet sich eine Kamera die an der Universität Bern entwickelt wurde. Ist es sinnvoll ist für die Erforschung des Mars Milliarden auszugeben, während hier auf der Erde fast eine Milliarde Menschen im tiefsten Elend leben und sogar verhungern?

    Wir Europäer sind in der Weltraumforschung sowieso «hinter dem Mond» im Vergleich mit den Amerikanern. Die amerikanische Weltraumbehörde NASA hat schon vor 12 Jahren den «Rover Opportunity» erfolgreich auf dem Mars abgesetzt. Mit der Kraft einer Solarzelle fährt dieser «Rover Opportunity» seit über zwölf Jahren auf dem Mars herum, seit dem 25. Januar 2004. Am 21. September 2016 und am 28. September 2016 funktionierte der Rover immer noch, wie auf der Website der US-Weltraumbehörde NASA zu sehen ist:
    http://mars.nasa.gov/mer/mission/tm-opportunity-all.html

    Es gibt Leute die sich überlegt haben, wie Gerard Wisnewski und andere Ketzer, ob es mit der Leistung einer kleinen Solarzelle überhaupt für den «Rover Opportunity» möglich ist seit über zwölf Jahren auf dem Mars herumzufahren, mit einem Gerät das 70 Kilogramm schwer ist. – Bei uns läuft der Lift und der PC leider nicht seit zwölf Jahren ohne Probleme, wie der «Rover Opportunity».

  • am 22.10.2016 um 06:40 Uhr
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    Umweltschutz verliert regelmässig bei Nachhaltigkeitsprüfung!

    Die Überprüfung von Projekten an ihrer Nachhaltigkeit (Wirtschaft, Gesellschaft, Ökologie) ist fatal für den Umweltschutz. Regelmässig werden ökologische Nachteile eines Projektes durch seine wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteile übertroffen. Die ökologischen Nachteile von wachstumsfördernden Projekten können damit elegant unter den Tisch gewischt werden.

  • am 22.10.2016 um 09:53 Uhr
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    Lieber Hans Steiger,

    Wen wundert’s, dass die Nachhaltigkeit gegen die neoliberale Presselandschaft 7:1 unterliegt. Zählt das Unterschlagen eines Diskurses über die schädlichen Auswirkungen des gewinnmaximierten Wirtschaftens auch zu dem Lügen, so ist das Wort „Lügenpresse“ kein Unwort. Ich denke, genau das wird seit über 30 Jahren von den sogenannten Leitmedien praktiziert, leider auch von öffentlich rechtlichen Medien (da ansonsten die lukrativen Werbungen wegfallen könnten). Mir scheint aber, dass gekaufte (Des) Informationen nicht mehr gut ankommen, die schwindenden Auflagen der Printmedien mag als Indikator dienen.

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