Familienplanung.DSW

Längst nicht alle Frauen und Mädchen in Afrika haben Zugang zu sexueller Aufklärung und Verhütungsmitteln. © DSW

Jede zweite Schwangerschaft afrikanischer Mädchen ist ungewollt

Benno Büeler /  Von Aufklärung, Verhütungsmitteln und sicheren Abtreibungen können viele Mädchen und Frauen nur träumen.

Red. Das Recht auf Familienplanung und die Selbstbestimmung über ihre Körper gibt es für Millionen von Frauen in Afrika nicht. Trotzdem setzen sich selbst Entwicklungsorganisationen nur zögerlich dafür ein. Nicht zuletzt unter Einfluss von Kirchen ist das Thema vielerorts tabu. Eine Ausnahme sind die Organisationen Medi-Help und EcoAid. Als Vertreter dieser Organisationen stellen wir einen Beitrag von Benno Büeler zur Diskussion. Bühler ist auch im Vorstand von Ecopop, dem Verein Umwelt und Bevölkerung. 

Nur in 4 von 54 Ländern Afrikas ist die Abtreibung ähnlich erlaubt wie in der Schweiz

Die UNO schätzt, dass weltweit rund 42 Prozent aller Schwangerschaften ungeplant sind, in Afrika dürfte der Anteil noch höher sein: Bei den afrikanischen Mädchen unter 18 Jahren, von denen jedes Dritte mindestens einmal schwanger wird, ist der Anteil ungeplanter und ungewollter Schwangerschaften deutlich über 50 Prozent. Mit Covid hat sich die Situation noch verschlimmert. 

In Zahlen: In Afrika kommt es jedes Jahr zu neun bis zehn Millionen Abtreibungen, davon gilt höchstens ein Viertel als sicher, drei Viertel sind mehr oder weniger illegale, unsichere Abtreibungen unter teils prekären Umständen, was ebenfalls jedes Jahr zu über 70’000 Todesfällen führt. Nur in vier von insgesamt 54 Ländern Afrikas ist die Abtreibung ähnlich liberal geregelt wie in der Schweiz.

Für weniger als hundert Franken könnte man das Leben einer Mutter retten

Die Müttersterblichkeit pro Geburt liegt in Afrika bei 0.55 Prozent – auf dem Land und in den ärmsten Ländern sogar bei 1 Prozent und höher. In der Schweiz liegt sie etwa zweihundert mal tiefer. Ein wichtiger Grund: Das blutungsstillende Mittel Misoprostol, das etwa 20 Rappen pro Geburt kostet und auf der Liste der essentiellen Medikamente der WHO steht, könnte auch für Abtreibungen eingesetzt werden. Deshalb wird in vielen Ländern der Zugang zu diesem Mittel stark erschwert, so dass es nach der Geburt nicht zur lebensrettenden Blutstillung eingesetzt werden kann. Für weniger als hundert Franken könnte man statistisch ein Mütterleben retten* – aber kaum jemand kümmert es, weder in der Schweiz noch in vielen afrikanischen Ländern. 

Schwangere Teenager werden allein gelassen …

Besonders tragisch ist der Fall von Teenager-Schwangerschaften, wo mehrere Aspekte unheilvoll zusammentreffen: Keine sexuelle Aufklärung in der Schule, meist kein Zugang zu Verhütungsmitteln, gleichzeitig werden die Mädchen von viel älteren Männern angemacht oder faktisch gekauft («Sugar Daddys»), allzu häufig auch missbraucht. Wenn sie dann ungewollt schwanger geworden sind, gibt es weder eine Pille danach noch eine legale Abtreibung. Und wenn dann das ungewollte Kind da ist, fliegen die minderjährigen Mütter häufig von der Schule und werden teilweise von der Familie ausgegrenzt. Ein Leben ohne Schulabschluss, mit reduzierter Erwerbsmöglichkeit und sozialer Stigmatisierung sind die verbreitete Folge und führen häufig zu weiteren frühen Schwangerschaften. 

Der NGO-Dachverband Copenhagen Konsensus schätzt, dass jeder Franken für Familienplanung etwa 120 Franken Nutzen stiftet: gesündere Mütter und Kinder, weniger abgebrochene Schulbildungen, bessere Erwerbstätigkeit, weniger Belastung der staatlichen Infrastruktur usw. Dazu kommt, dass die hohe Fruchtbarkeit direkt zu hoher Jugendarbeitslosigkeit führt, weil keine Gesellschaft in der Lage ist, derart schnell neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die bleierne Massenarmut, welche über so vielen afrikanischen Staaten liegt und die Emigration antreibt, hat viele Gründe. Aber die rasant wachsende Bevölkerung erstickt mit ihrer schieren Masse alle gutgemeinten Ansätze. Ein Beispiel ist Nigeria, das 1960 am Ende der Kolonialzeit 45 Millionen Leute zählte, heute etwa 211 Millionen zählt, und für das Jahr 2050 werden rund 400 Millionen Einwohner prognostiziert. Die Entwicklung in Nigeria ist besonders dramatisch, weil dort schon heute mehr Menschen unter der absoluten Armutsschwelle überleben als im 1,3 Milliarden Menschen zählenden Indien.

… und die Natur wird verdrängt

Die Selbstbeschränkung unserer Bevölkerungszahl ist das vermutlich am meisten vernachlässigte Umweltthema der letzten 50 Jahre. Dieser Trend darf sich in den kommenden 50 Jahren nicht wiederholen. Schon 1992 haben 1’700 Wissenschaftler, darunter die Mehrheit der damals lebenden Nobelpreisträger, im Aufruf World Scientists’ Warning to Humanity die rasch wachsende Menschenzahl als grösste Belastung für die Umwelt bezeichnet. Alle Länder wurden aufgefordert, das Bevölkerungswachstum zu stoppen und allen Menschen Zugang zu freiwilliger Familienplanung zu verschaffen. 

25 Jahre nach diesem im Westen wenig beachteten Aufruf haben über 15’000 Wissenschaftler den Aufruf  erneuert und das rasche Bevölkerungswachstum wiederum als Haupttreiber der rapiden Umweltzerstörung identifiziert. Lebten Ende 1992 knapp 5,5 Milliarden Menschen auf der Erde, so sind es heute schon 7,9 Milliarden, also über 40 Prozent mehr. 

Daran gekoppelt wuchs auch die Zahl der Nutztiere. Allein in den letzten 50 Jahren hat der Mensch die Zahl der wildlebenden Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien und Reptilien nach Angaben des WWF um über 60 Prozent ausgedünnt.

Soll die Zerstörung von tropischem Urwald in Afrika verhindert werden, wie beispielsweise im Kongo, wo der zweitgrösste Regenwald der Welt bedroht ist, muss der überbordende afrikanische Bevölkerungszuwachs von aktuell über 33 Millionen Menschen pro Jahr drastisch sinken. 

Es geht um das Recht auf Familienplanung

Wer ein selbstbestimmtes, besseres Leben von Mädchen und Frauen fördern und zugleich Natur- und Artenschutz stärken will, wer will, dass Spenden eine möglichst grosse Wirkung haben – der wird um die Förderung von freiwilliger Familienplanung und Müttergesundheit nicht herumkommen. Trotzdem setzen weder die DEZA noch die grossen Entwicklungshilfeorganisationen in der Schweiz dafür relevante Mittel ein. Zu gross ist die Angst vor dem Vorwurf des Neokolonialismus, zu gross der Einfluss der Kirchen. 

Es wird übersehen, dass auch Bildungs- und Gesundheitsprogramme oder die Wirtschaftsförderung stets von aussen forcierte Änderungen bewirken, nämlich eine Annäherung an die Lebensgewohnheiten der reichen Länder. Als weitere Ausrede für das Nichtstun wird auch gerne auf erzwungene Verhütungsmassnahmen in Indien oder China verwiesen. Tatsächlich aber geht es in Afrika darum, dass Frauen endlich selbstbestimmt über Verhütung und Schwangerschaft entscheiden können. Heute werden viele Mädchen und Frauen daran gehindert, so dass sie gezwungen werden, ungewollte Schwangerschaft mit allen daraus folgenden Konsequenzen zu ertragen. 

Die Selbstbestimmung über den Körper ist ein grundlegendes Menschenrecht. Das haben UN-Konferenzen über Bevölkerung und Entwicklung mehrmals festgehalten.

EcoAid und Medi-Help

In der Schweiz gibt es – nach Wissen des Autors – nur zwei gemeinnützige Hilfswerke, welche reproduktive Gesundheit und freiwillige Familienplanung als Schwerpunkt fördern: EcoAid und Medi-Help. EcoAid ist eine Schwesterorganisation von Ecopop und fördert in Togo die sexuelle Aufklärung in Schulen und über wöchentliche Radiosendungen. Über einen ‘teach-the-teacher’-Ansatz und basierend auf einer guten lokalen Vernetzung können mit bescheidenem Mitteleinsatz erstaunlich viele Teenager erreicht werden, die über das normale Schulprogramm keine richtige Aufklärung erfahren. Die Versorgung mit modernen Verhütungsmitteln ist in Togo infolge Mittelmangel zwar immer wieder eingeschränkt, aber die Regierung ist bemüht, die Versorgung zu verbessern. 

Komplementär dazu ist das Ziel von Medi-Help, auch ärmeren Mädchen und Frauen Zugang zu modernen Medikamenten zu geben. Je nach Berichtsjahr und Region fliesst die Hälfte bis drei Viertel der Mittel in moderne Verhütungsmittel wie Misoprostol zum Verhindern geburtlicher Blutungen. Der Rest fliesst in Malariamittel, Antibiotika oder Schmerzmittel. Medi-Help hat auch die Pille danach sowie moderne Abtreibungspillen im Angebot, da diese leider häufig die letzte Option bei den in vielen Ländern verbreiteten Teenager-Schwangerschaften sind. Ausserdem kann damit ein schnell wirksamer Beitrag zur Bekämpfung von unsicheren Abtreibungen gemacht werden. 

Medi-Help in Afrika.zvg
Aus einem Lastwagen von Medi-Help werden in Lusaka in Sambia Medikamente aus Indien ausgeladen.

Die konkrete Vorgehensweise hängt zwar immer vom Land und den Umständen ab. In einem ersten Schritt baut Medi-Help zusammen mit lokalen Distributionspartnern ein Netzwerk auf – das können Regierungsstellen, Klinikgruppen, Hebammenverbände, Ärztegruppen oder Regionalspitäler sein. Deren Bedürfnisse werden mit den Möglichkeiten von Medi-Help abgeglichen. Medi-Help kauft dann entsprechende Mittel meist in Indien zu günstigen Konditionen direkt bei Qualitätsherstellern ein und transportiert sie überwiegend als Seefracht nach Afrika, wo sie den Distributionspartnern übergeben werden. 

Mit wenig Mitteln viel erreicht

Das langfristige Ziel von Medi-Help ist es, überflüssig zu werden; entsprechend sollten die Distributionspartner die Medikamente möglichst selbst finanzieren. Initial, und in vielen Fällen auch später noch, müssen die Mittel aber als Sachspende abgegeben werden.  Mittellieferungen anstelle finanzieller Unterstützung hat viele Vorteile: Es kann keine Veruntreuung geben, wegen des grossen Mangels ist der Anteil ungenutzter Mittel, die irgendwo vergammeln, klein, und ein Missbrauch durch anderweitige Nutzung ist medizinisch sinnlos. 

Trotz dieser guten Ausgangslage gibt es praktisch viele Herausforderungen und Probleme in der Umsetzung: regulatorische Hürden bei Import oder Vertrieb, Unzuverlässigkeit von Distributionspartnern und Logistikfirmen, Kommunikationsschwierigkeiten aufgrund technischer, kultureller oder sprachlicher Hürden, und natürlich die beschränkten Mittel, über die Medi-Help verfügt. Trotzdem konnte Medi-Help Schweiz zusammen mit ihrer deutschen Schwesterorganisation Medi-Help Weimar über die letzten Jahre mehrere hunderttausend ungewollte Schwangerschaften und unsichere Abtreibungen verhindern. Dazu wurden Tausende von Müttern vor dem geburtsbedingten Tod durch Verbluten bewahrt.

Angesichts eines jährlichen Bevölkerungswachstums von rund 33 Millionen Menschen in Afrika ist es nur ein Tropfen auf den heissen Stein, den Medi-Help ausrichtet. Doch diese kleinen Gruppen von unternehmerischen Personen machen mit vergleichsweise bescheidenem Budget einen sichtbaren Unterschied zum Wohle von Millionen von Frauen, der Natur und dem Wohlergehen künftiger Generationen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor arbeitet für die Organisationen Medi-Help und EcoAid. Benno Büeler ist auch im Vorstand von Ecopop, dem Verein Umwelt und Bevölkerung. 
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

FUSSNOTE

*Es sind weniger als hundert Franken, unter den folgenden Annahmen:

  1.  20Rp/0.01 = 20.- (1% Sterblichkeit, 100% Abgabe auch bei Geburten wo es keine Risiken gibt)
  2.  20Rp/0.005 = 40.- (0.5% Sterblichkeite, sonst wie oben)
  3.  20Rp / 0.0025 = 80.- (0.5% Sterblichkeit, nur jede zweite Geburtstote ist infolge Blutung gestorben)

In der Realität dürften bei risikolosen Geburten keine Medikamente abgegeben werden, und der Anteil von blutungsbedingten Toten ist wohl deutlich über 50%. Deshalb ist eine realistische Schätzung vermutlich zwischen eher bei 50 Franken oder sogar darunter. Mit 100 Franken sind wir bewusst vorsichtig.


Zum Infosperber-Dossier:

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Pro und Contra Bevölkerungszunahme

Die Bevölkerung auf unserem Planeten hat in den letzten 200 Jahren enorm zugenommen.

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2 Meinungen

  • am 8.07.2021 um 06:36 Uhr
    Permalink

    Danke für den Beitrag. Tipp an EcoAid und MediHelp: richten Sie elektronische Spendemöglichkeiten ein (PayPal etc.). Ich hätte gerne schnell mit 1 Klick was gespendet übers Handy (nach dem Lesen des Artikels), aber über Bankverbindung ist es mir zu kompliziert, sorry…

  • am 13.07.2021 um 15:57 Uhr
    Permalink

    Wichtiger Beitrag. Würde ich gerne mit regelm. Spenden unterstützen. Frage ist aber wie??

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