Bevölkerungswachstum Schweiz .IAZI CIFI

Das Bevölkerungswachstum in der Schweiz © IAZI CIFI

In der Schweiz ist der materielle BIP-Wohlstand 2023 gesunken

Urs P. Gasche /  Pro Kopf war durchschnittlich weniger Geld zum Ausgeben vorhanden. Das hat jetzt auch die «Sonntags-Zeitung» gemerkt.

«Der Wohlstand in der Schweiz sinkt wegen des Bevölkerungswachstums», titelte die «Sonntags-Zeitung» vom 25. August. Der Grund ist einfach: Das Wachstum, gemessen am Bruttoinlandprodukt BIP, nahm letztes Jahr zwar um 1,3 Prozent zu. Doch gleichzeitig nahm die Wohnbevölkerung sogar um 1,7 Prozent zu. Pro Kopf schrumpfte deshalb das zur Verfügung stehende Geld.

Es ist einsichtig, dass die Entwicklung des materiellen Wohlstands am BIP pro Kopf gemessen werden muss. Trotzdem geben Behörden und Wachstumsprediger stets die Summe des Wachstums an, ohne es pro Kopf zu teilen.

Infosperber hatte bereits vor zwölf Jahren festgestellt: «Regierungen und Wirtschaftsvertreter gaukeln ihren Bevölkerungen vor, dass es wirtschaftlich viel besser geht, als es der Fall ist.» Schon damals handelte es sich um die gleiche Augenwischerei wie heute:

Wachstumsprediger – dazu zählen auch internationale Organisationen wie die OECD oder nationale Behörden – greifen zu zwei einfachen Schlaumeiereien, um das Wachstum des BIP in einem viel positiveren Licht erscheinen zu lassen, als es in Wirklichkeit ist. Bei dieser Augenwischerei machen die meisten Medien – vierte Gewalt hin oder her – auch heute noch mit:

  1. Fast immer wird das Wachstum des BIP pro Land angegeben und nicht pro Kopf der im Land lebenden Bevölkerung. Was soll eine Bevölkerung davon haben, wenn das BIP um fünf Prozent gewachsen ist, wenn gleichzeitig auch fünf Prozent mehr Menschen im Land leben? Pro Kopf ist das Geldeinkommen um keinen Rappen gestiegen. Ein solches Wachstum ist untauglich, um etwa künftige Renten finanzieren oder die Umwelt besser schützen zu können. Die Bevölkerung leidet lediglich an einem etwas grösseren Dichtestress, an gestiegenen Mieten, Land- und Bodenpreisen.
  2. Häufig wird das erzielte Wachstum des BIP nominal und nicht real (nach Abzug der Inflation) angegeben. Was soll eine Bevölkerung davon haben, wenn das BIP um drei Prozent gewachsen ist, wenn sich gleichzeitig auch die Preise um drei Prozent erhöhten? Besonders elektronische Medien unterlassen es meistens, bei ihren Wachstumsmeldungen anzugeben, ob von einem nominellen oder von einem realen Wachstum die Rede ist. 

Besonders in der Schweiz mit ihrer hohen Netto-Zuwanderung zeigten die nationalen BIP-Zahlen schon immer ein stark verzerrtes Bild. Bereits früher hatte man der Bevölkerung vorgegaukelt, das BIP und damit der Wohlstand habe beispielsweise von 1990 bis 2009 um real 26 Prozent zugenommen. Doch dieses Wachstum kam zustande, weil die Einwohnerzahl in der gleichen Zeit um 15 Prozent zunahm. Pro Kopf nahm das BIP in diesen 20 Jahren um weniger als zehn Prozent zu.

Auf die Frage, warum eine Behörde wie das Seco die Wachstumszahlen nicht pro Kopf publiziere, hatte ein Sprecher gegenüber Infosperber eingeräumt: «Das ist eine sehr gute Frage, aber es wird international nicht so gemacht.»

Ein Wirtschaftswachstum oder ein ‹Konjunkturaufschwung›, der auf dem Bevölkerungswachstum beruht, bringt dem einzelnen Bürger keine materiellen Vorteile. Der Kuchen wird einfach auf mehr Köpfe verteilt. Die Bevölkerung bekommt nur die Nachteile zu spüren.

Vor 70 Jahren teilten sich noch 4,7 Millionen Menschen das begrenzte Land. Vor zehn Jahren lebten bereits 7,8 Millionen Menschen in der Schweiz. Wenn wir den Trend nicht wenden – so hatte das Bundesamt für Statistik vor zwölf Jahren prognostiziert –, würden im Jahr 2050 neun Millionen Menschen in der Schweiz leben.

Das war eine Fehlprognose des BFS: Die Zahl der Einwohner erreicht bereits dieses Jahr neun Millionen, ein Vierteljahrhundert früher als prognostiziert. Bis zum Jahr 2050 werden heute 10,5 Millionen prognostiziert.

Höchstwahrscheinlich werden Behörden und Wachstumsprediger weiter versuchen, mit Wachstumszahlen den Erfolg ihrer Politik zu dokumentieren und für gute Stimmung zu sorgen – oft mit nominalen Zahlen (ohne Berücksichtigung der Inflation) und stets unter Verschweigen des realen Wachstums pro Kopf.


Den Wachstumspredigern ist egal, was denn überhaupt wächst

Wenn Wachstumszahlen vergangener Jahre veröffentlicht werden, wird geflissentlich verschwiegen, was denn zum so ersehnten Wachstum beigetragen hat. Nur zwei Beispiele: 

  • Haben etwa noch kurzlebigere oder doch langlebige Produkte zum Wachstum beigetragen? Kleider, Möbel, elektronische Geräte? Je grösser die unerwünschte Wegwerfwirtschaft, desto stärker wächst die Wirtschaft.
  • Wurden mehr tonnenschwere Autos gekauft oder viel mehr von den kleinen? Je schwerere und teurere Autos, desto stärker wächst die Wirtschaft.

Wenn Wachstumszahlen veröffentlicht werden, wird ebenso verschwiegen, wer vom Wachstum am meisten profitiert hat:

  • Waren es die sozial und wirtschaftlich Schwächsten? Oder vor allem Reiche und Superreiche?

Wachstumsprediger reden sich heraus: Jedes beliebige, einfach möglichst hohe Wirtschaftswachstum sei auch in reichen Ländern weiter nötig, um Armut und Hunger zu beseitigen, Renten zu sichern, genügend Erwerbsarbeit zu schaffen sowie die nötigen Mittel für den Umweltschutz und die Gesundheitsversorgung bereitzustellen. 

Wäre dies wirklich der Fall, würden wir längst im Paradies leben. Der Bevölkerung der USA mit dem höchsten Bruttoinlandprodukt pro Kopf müsste es am besten gehen. Doch die Realität zeigt, dass in den entwickelten Industriestaaten das weitere Wachstum des Bruttoinlandprodukts BIP als Massstab untauglich ist, um den allgemeinen Wohlstand zu messen, geschweige denn Glück und Lebensqualität.

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Buch-Cover

Siehe dazu:
Hanspeter Guggenbühl und Urs P. Gasche: 
«Schluss mit dem Wachstumswahn – Plädoyer für eine Umkehr», Rüegger Verlag, 2010, 16.80 CHFca. 10 Euro (gebraucht), 15 Euro (neu).


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Führt Wachstum zu Glück oder Crash?

Geht uns die Arbeit aus, wenn wir nicht ständig mehr konsumieren? Oder sind die Renten in Gefahr?

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2 Meinungen

  • am 26.08.2024 um 12:18 Uhr
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    Ei der Daus, wer hätte das gedacht? Ist es jetzt aber nicht ein wenig kurzsichtig, dies bloss einmal mehr mit einer pseudolinken Wachstumskritik zu kontern? So als wäre Wachstum pauschal mit Raubtierkapitalismus gleichzusetzen. Eine Frage wäre z.B. warum die CH es so sehr scheut, selbst das Geld in die Hand zu nehmen, Fachleute auszubilden? Weil es teuer ist, werden Studien der Medizin mit Numerus Clausus belegt und dafür die Ärzteschaft aus aller Herren Länder abgeworben, so als ob andere Länder keine eigenen benötigten.
    Alles, was Geld kostet wird vermieden, lässt es sich durch andere bezahlen, holt somit ständig mehr Leute ins Land und wundert sich dann über diese Entwicklung. Wann hat man die herrschende Pseudolinke das letzte Mal von der sozialen Frage sprechen hören? Wenn Baume-Schneider eine 12Mio-CH für kein Problem hält, dann ist das ihre eigene Sicht aus dem entrückten Elfenbeinturm der Nomenklatura – für die breite Bevölkerung sieht das aber ein wenig anders, prekärer aus.

  • am 26.08.2024 um 14:11 Uhr
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    Ich hoffe eines Tages werden die Politiker zur Rechenschaft gezogen welche die MEI dermassen verwässert hatten. Die handelten gegen das Interesse der Schweiz. Besonders muss ich an die FDP und Mitte denken.

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