Ging es uns im Jahr 1995 etwa schlecht?
Um 9,7 Prozent ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland infolge der Corona-Krise im zweiten Quartal eingebrochen. Für 2020 rechnen die Wirtschaftsweisen mit einem Rückgang von real 6,5 Prozent. Eine Katastrophe wurde suggeriert. Tatsache ist:
Würde das BIP zehn Jahre jedes Jahr um sechs Prozent zurückgehen, würde es von 3436 Milliarden Euro Im Jahr 2019 auf 1851 Milliarden sinken und sich so fast halbieren. Es läge dann auf dem Stand von 1995.
Ging es uns 1995 etwa schlecht? Fazit: Wohlstand hat in hochindustrialisierten Ländern überhaupt nichts mehr mit dem Wachstum des BIP zu tun. Die Wachstumsrechnung ist weitgehend fiktiv. Man will uns suggerieren, wir müssten jedes Jahr mehr produzieren (Red. und konsumieren) als im Vorjahr, sonst sänke unser Wohlstand.
Wieso eigentlich? Und wo, bitte schön, ist die Verdoppelung seit 1995 geblieben? Haben sich die Realeinkommen etwa verdoppelt? Einfaches Nachrechnen ergibt: Das meiste der Verdoppelung ist auf den Konten der Milliardäre, Konzerne und Anleger gelandet.
Es ist das Wesen exponentiellen Wachstums, dass sein Anstieg irgendwann nachlassen muss. Sonst wäre unser Planet irgendwann meterhoch mit Konsumschrott bedeckt. Obwohl das BIP seit 2019 absolut immer gestiegen ist, suggerierten fallende relative Prozentzahlen fälschlich abnehmenden Wohlstand.
Aber gefährdet ausbleibendes Wachstum nicht Jobs? Gegenfrage: War die Arbeitslosigkeit bei halbem BIP etwa doppelt so gross? Natürlich schadet der Niedergang der Airlines dem Wohlstand des Flug- und Bodenpersonals und der in der Flugzeugproduktion Tätigen. Aber schadet er deshalb dem Gesamtwohlstand? Oder spart der Verzicht auf Fernreisen nicht vielmehr Kosten ein? Kann das Kapital dann nicht für wirklichen Wohlstand eingesetzt werden, für Sanierung von Brücken, Schulen, für Bildung und Sicherheit? Der grosse Denkfehler der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung: Sie kennt keine Vermeidung. Nicht von Luxus, von vermeidbarer Arbeit, von Handel, Transportwahn, Bürokratie, Verpackung und Rüstung. Bei ihr ergibt alles Wachstum.
Vermeidung – das wäre die Verkleinerung unseres ökologischen Fussabdrucks. Überflüssige Arbeit kann nur vermieden werden durch Entkoppelung von Lebensunterhalt und Arbeitszwang. Zuerst allen Menschen ein Grundeinkommen zugestehen und erst dann fossile Airlines und marode Konzerne mit Milliarden retten.
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Obiger Text ist dem Buch von Günther Moewes entnommen (Zwischentitel von der Redaktion): «Arbeit ruiniert die Welt – Warum wir eine andere Wirtschaft brauchen», Nomen-Verlag, Frankfurt a.M.In Deutschland bestellen für 12.00 Euro; in der Schweiz bestellen für 19.90 CHF. Das Buch enthält Kolumnen, die Günther Moewes in der «Frankfurter Rundschau» publizierte.Aus dem Verlagsprospekt: «Wie viele Viren, Dürren, Hassmails, Fluten und Orkane muss es noch geben, bis die Unverantwortlichen begreifen, dass ihre Wirtschafts- und Arbeitsideologie die Ursache ist? Das Mantra grosser Teile von Politik und Wirtschaft sind Wachstum und Arbeitsplätze, egal ob nützlich oder schädlich. Und die «Thinktanks» der neuen reichen «Superklasse» wollen uns durch allerlei Theorien weismachen, dass ohne eine ungleiche Vermögensverteilung nicht das Überleben der Menschheit gesichert werden kann.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Im Buch von Walter Krämer «Statistik für alle» sind zu Bruttosozialprodukt und Bruttoinlandsprodukt» ein paar kritische Gedanken. Sie sind in erster Linie eine volkswirtschaftliche Rechnung, die dann oft etwas vorschnell als Wohlstandindikator angesehen werden. Dass BSP und BIP keinesfalls uneingeschränkt geeignete Wohlstandsindikatoren sind, dürfte kein Ökonom bestreiten. Sieht man allein an der Tatsache, dass es Alternativen gibt wie den Human Development Index gibt. Weiterhin gibt es Versuche das Glück der Menschen zu erfassen.
Einige Beispiele zeigen, dass das BIP teils absurd wirkt: Je krimineller die Bürger eines Landes sind, desto höher die Ausgaben für Justiz und Strafvollzug. Somit steigt auch das BIP.
Etwas Basiswissen in Statistik und Wirtschaft ist mindestens sehr nützlich. Es gibt da auch ganz interessante Punkte zu Vermögensverteilung und Lohnungleichheit von Mann und Frau. Der Hund liegt allzu oft in der Statistik begraben. Aber das ist für die meisten Menschen zu mühsam.
Wo die Verdoppelung bleibe, fragt der Autor Günther Moewes. Bei der Staatsquote, den Abgaben, Steuern, Gebühren, Krankenkassenprämien, Mieten, Liegenschaftspreisen, Aktienkursen. Und natürlich bei der Migration, bei der explodierenden Überreglementierung und der nuklearen Aufrüstung sowie bei den Zinsen auf Kapitalien, hier allerdings im umgekehrten Sinn, zu Negativzinsen hin. Nein, besser als 1995 geht es uns nur ganz punktuell, z. B. hinsichtlich der Bandbreite des Internetzuganges. Über das Ganze gesehen haben wir seit 1995 einen grossen Verlust an individuellen Freiheiten und sozialer Sicherheit hinnehmen müssen. Das Wachstum des letzten Jahrzehnts beruht vor allem auf einer irrwitzigen Ausweitung der Geldmenge, welche eigentlich zu einem markanten Lohnanstieg führen müsste, versickerte das geschöpfte Geld nicht in Schattenbanken und Spekulation. Das BIP als Massstab der Wohlfahrt ist ohnehin ungeeignet: Angenommen Corona hätte weit schlimmere Folgen gehabt, welche zu einer Explosion der Gesundheitskosten geführt hätten, so wäre das BIP gestiegen, denn Gesundheitskosten beruhen auf Dienstleistungen, die wiederum Teil des BIP sind. Ein steigendes BIP kann also auch auf einer schlimmen Gesundheitskrise beruhen, aufgrund welcher es niemandem besser geht, ausser vielleicht den Aktionären von Pharmatiteln.
Statt von (materiellem) Wohlstand sollte man von Wohlbefinden reden, oder gibts ein noch treffenderes Wort.
Erst bei Thomas Piketty wurde ich auf das Netto-Inlands-Produkt (NIP) aufmerksam. BIP minus aller Ersatz-Investitionen (steigend von 10% inzw. auf ca 16% vom BIP) ergibt das NIP. Das ist ein viel besseren Indikator. Zieht man noch die Netto-Neuverschuldung / Geldmengenvermehrung vom NIP ab, steigt nicht mal mehr das NIP, sondern nur noch die Ungleichverteilung beim Kapitalvermögen.
Bei den alten Wirtschaftstheorien ging es darum Preise von Gütern zu senken. Die Preise der Assets, Finanzpapiere, Immobilien steigen aber. Nur die Preise gehen kaum in die Inflationsrechnung ein.
Die Libertären Wirtschafts- u. Finanz-Ideologie verdient den in den USA verbreiteten Namen ‹fake schience›.
Wohlstand eines Landes hat nichts mit Reichtum zu tun. Wie Ludwig Pirkl es korrekt sagt, geht es um das Wohlbefinden von allen Menschen eines Landes. Die «Religion» der Finanzwirtschaft sorgt aber dafür, dass sich nur Reiche und Superreiche wohl fühlen können, auf Kosten jener unendlich viel grösseren Zahl von «Sklaven», die ihnen dieses Wohlbefinden ermöglichen, durch harte, oft unterbezahlte Arbeit, Steuern und anderen Abgaben. Es wird allmählich Zeit für eine neue, moderne «Französische Revolution».