«China schrumpft»: «gefährlich», «dramatisch», «bedrohlich»
Zuerst die Fakten:
Ende 2022 lebten in China 850’000 weniger Menschen als noch Ende 2021. Das entspricht einem Rückgang der Bevölkerung um 0,06 Prozent.
Es verbleiben in China 1’411’750’000 Einwohnerinnen und Einwohner (ohne Hongkong und Macao).
Zum Vergleich: Japans Bevölkerung ging im Jahr 2022 viel stärker zurück, nämlich um 0,5 Prozent. Japan hat jetzt noch 123,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.
Abwertende Sprache
Von der SRF-Tagesschau erwarten viele, dass sie für Nachrichten eine nicht kommentierende, sachlich Sprache verwendet. Doch sie meldete, dass Chinas Bevölkerung «schrumpft». «Schrumpfen» hat einen negativen und abwertenden Beigeschmack. Warum «sinkt» die Bevölkerung nicht oder «geht zurück»?
Sachlich informierte dagegen die ARD-Tagesschau: «Chinas Einwohnerzahl ist erstmals gesunken.»
Der SRF-Meldung folgte ein ebenso kommentierender, ja dramatisierender Bericht von Cornelia Boesch:
«Jedes Baby zählt. Denn es gibt viel zu wenig Babys in China.»
Das «räumt nun auch das staatliche Statistikbüro ein», fuhr Boesch fort. «Einräumen» tut man etwas, das man bisher abstritt. Den Beweis dafür, dass etwas abgestritten wurde, lieferte SRF nicht. Heute seien über zwanzig Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre alt, fuhr die SRF-Tagesschau fort. Das sei eine «bedrohliche Entwicklung», würden Fachleute sagen. Als einzigen Fachmann zitierte die Tagesschau Yi Fuxian von der US-Universität Wisconsin.
Es fiel auf: Weit und breit war am 18. Januar einzig die Meinung des Gynäkologen und Geburtshelfers Yi Fuxian zu hören und zu lesen: Beim SRF, in den vielen Zeitungen der CH-Medien, in der deutschen Die Welt, der Süddeutschen Zeitung, der Wiener Zeitung oder sogar in der Zeitschrift Schweizer Bauer. Alle zitierten Yi Fuxian. Einige Medien bezeichneten ihn als «Demografen», andere als «Sozialwissenschaftler». In einem Buch von 2013 hatte Yi die Einkind-Politik Chinas kritisiert.
Die Wiener Zeitung nannte den erstmaligen Rückgang von Chinas Bevölkerung sogar eine
«eigentliche Hiobsbotschaft».
Die NZZ titelte auf der Frontseite:
«Die chinesische Bevölkerung schrumpft – mit dramatischen Folgen».
Der jetzt einsetzende Bevölkerungsrückgang «dürfte gravierende Folgen haben für die chinesische, aber auch die globale Wirtschaft». Die demografische Entwicklung Chinas gehöre «zu den hausgemachten Problemen, die das Wachstum bremsen». Im Innern des Blattes warnte der NZZ-Chinakorrespondent, dass immer mehr Paare ihre Energie auf die berufliche Karriere verwenden, statt Nachwuchs in die Welt zu setzen. Darüber der Titel:
«Peking tut nicht genug gegen den gefährlichen Trend»
Eine der Gefahren bestehe darin, dass «die Löhne in arbeitsintensiven Industrien in den nächsten Jahren vermutlich steigen» –namentlich die Löhne bei «einfachen Dienstleistungen wie der Coiffeure».
Die Niedrigverdienenden in China sehen dies wohl aus einer anderen Optik.
Unter dem Titel
«Schrumpfkurs – Chinas Bevölkerung wird kleiner – das hat weltweite Folgen»
verbreiteten die CH-Media-Zeitungen in der ganzen Deutschschweiz den gleichen Artikel (Luzerner Zeitung, Aargauer Zeitung, St. Galler Tagblatt, Zuger Zeitung, Solothurner Zeitung, Nidwalder Zeitung, Wiler Zeitung, Toggenburger Tagblatt, Thurgauer Zeitung, Der Rheintaler, Appenzeller Zeitung, Limmattaler Zeitung, Grenchner Tagblatt und Badener Tagblatt). Die Bevölkerung Chinas sei «geschrumpft» und «könnte in den kommenden Jahrzehnten das Wirtschaftswachstum bremsen, da beispielsweise die Nachfrage nach neuen Häusern sinkt».
Unter dem Zwischentitel
«Nur 9,6 Millionen Babys»
informierte auch der Tages-Anzeiger, die Bevölkerung Chinas sei «geschrumpft», und fuhr fort:
«Der Bevölkerungsrückgang kam viel schneller als erwartet und könnte in den kommenden Jahrzehnten das Wirtschaftswachstum bremsen, da beispielsweise die Nachfrage nach neuen Häusern sinkt. Das bringt auch Chinas langfristigen Aufstieg in Gefahr: Aufgrund des Rückgangs könnte die chinesische Wirtschaft Schwierigkeiten haben, die USA zu überholen, und das Land könnte in diesem Jahr seinen Status als bevölkerungsreichstes Land der Welt an Indien verlieren.»
Für den Tages-Anzeiger wäre dies offensichtlich ein Rückschlag. Er geht davon aus, dass der «Status», das bevölkerungsreichste Land zu sein, ein erstrebenswertes Ziel sei. Vor allem sorgte sich der Tages-Anzeiger um einen «Rückgang» der chinesischen Wirtschaft. Die Zeitung zitierte die Weltbank, die ein Wachstum von 4,3 Prozent für realistisch halte. Eine Expertin meine, es sei sogar «besser» für die Weltwirtschaft, wenn sich China nicht sprunghaft [von der Pandemie] erhole. Denn es würde sonst zu Engpässen kommen, und eine grosse Nachfrage würde «Öl und Gas weltweit teurer machen und die Inflation überall ankurbeln».
Was der Tages-Anzeiger nicht erwähnte: Falls die Bevölkerung Chinas weiter zunähme, käme es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ebenfalls zu einer grösseren Nachfrage, was Öl und Gas teurer machen würde.
Überlastetes Ökosystem
Es fällt auf, dass keines der zitierten Medien darauf hinwies, dass eine wachsende Weltbevölkerung das Verteilen der Ressourcen erschwert und die Umwelt überlastet. Falls die vier, bald fünf Milliarden Menschen in Afrika, Indien und China nur annähernd so leben möchten wie die Menschen in den USA oder in Europa, brauchte es im Jahr 2050 – selbst bei grossen technologischen Fortschritten – mindestens zwei Planeten wie die Erde. Auch Netto-Null-Ziele würden endgültig zur Makulatur.
«Konsum könnte sinken»
Nochmals zur NZZ: Unter dem Zwischentitel «Konsum könnte sinken» warnte die Zeitung vor «gravierenden Folgen für die chinesische, aber auch die globale Wirtschaft». Denn die «jungen konsumfreudigen Chinesinnen und Chinesen waren in den vergangenen Jahrzehnten zuverlässige Abnehmer ausländischer Produkte». Im Klartext: Die Bevölkerung in China soll gefälligst weiter zunehmen, damit Schweizer und deutsche Exportfirmen mehr Produkte dorthin verkaufen können.
Auch die chinesische Immobilienwirtschaft werde die demografische Entwicklung zu spüren bekommen, meinte die NZZ weiter: «Künftig dürfte es immer weniger Käufer von Häusern und Wohnungen in China geben.» China bleibe nichts anderes übrig, als die Produktivität deutlich zu steigern. Das Pekinger Regime müsse noch stärker in Bildung und Ausbildung und die Wirtschaft in Automatisierung investieren.
Der deutsche China-Korrespondent der vielen Zeitungen von CH-Media behauptete dazu:
«Mit steigenden Pensionisten und sinkenden Arbeitern bricht schliesslich unweigerlich auch die wirtschaftliche Produktivität des Landes ein.»
Diese Aussage trifft nicht zu, denn Produktivität wird stets pro Arbeitsplatz gemessen. Fehlen Arbeitskräfte, muss stärker automatisiert werden. Und das erhöht die Produktivität der einzelnen Beschäftigten.
Unternehmen, welche in erster Linie von Arbeitskräften mit schäbigen Löhnen und Sozialleistungen profitieren möchten, verlegen ihre Produktionsstätten schon seit etlichen Jahren von China nach Vietnam, Myanmar oder Bangladesh. Die chinesische Wirtschaft wandelt sich von einem Billiglohnland zu einem Schwellenland, das in sämtlichen Bereichen auch die kapitalintensive Produktion und die Spitzentechnologie fördert.
China verfügt auch über eine Reserve an Arbeitskräften, falls es das heute niedrige Pensionsalter von 60 Jahren erhöhen würde. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Pensionierten in Chinas Bevölkerung während rund dreissig Jahren einen noch grösseren Anteil ausmachen als etwa in Deutschland oder der Schweiz. Doch dieses zeitlich begrenzte Problem lösen zu wollen, indem man Geburten fördert oder jüngere Menschen aus dem Ausland ins Land immigrieren lässt – was in China ohnehin nicht realistisch ist –, wäre eine kurzsichtige Politik.
Eine stabile oder in den kommenden Jahren leicht sinkende Bevölkerung in China schmälert zwar das Wachstum des gesamten Bruttoinlandprodukts des Landes, jedoch nicht in gleichem Mass das entscheidende Bruttoinlandprodukt pro Kopf. Ein Mehr an Produkten und Dienstleistungen einfach auf mehr Köpfe zu verteilen, bringt den Einzelnen nichts.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Die Journalisten können nichts anderes als überall nur das Schlechte zu sehen und würden sie anders berichten wolle, wäre es anstrengend, denn dann müssten sie beim Arbeiten auch noch denken
Ein weiteres Beispiel für die tendenziöse Berichterstattung der Medien, leider inklusive der SRG.
Sie sind zu Meinungsmachern geworden und treiben die Politik vor sich her.
Das China-Bashing nimmt absurde Formen an, Taiwan wird zur nächsten Ukraine und alle brüllen im Kriegsgeschrei mit.
Wird versucht, die Gegenpositionen zur verstehen und zu erklären, wird umgehend in die Ecke der Putinversteher, Kommunistenfreunde oder Schwurbler gestellt.
Pazifismus wurde in unserer (christlichen!) Gesellschaft zum Schimpfwort.
Es war schon länger offensichtlich, wird aber von Politikern abgestritten: Der westliche «Kapitalismus» basiert auf Bevölkerungswachstum. Das sorgt für mehr Konsumenten, knappere Ressourcen und steigende Profite bei Null Innovation und Investition. Eine sinkende – oder bereits stagnierende – Bevölkerungszahl lässt bei diesen «Kapitalisten» natürlich die Alarmglocken schrillen, ist es doch ein Schlag gegen ihre Existenzgrundlage.
Für die Umwelt, inkl. das Klima, ist eine sinkende Bevölkerungszahl hingegen eine gute Nachricht. Und für die meisten Menschen auch.
Ebenso wird der Umstand, dass die Bevölkerung durchschnittlich älter wird von diesen «Kapitalisten» als Gefahr wahrgenommen, und als ‹Überalterung der Gesellschaft› verunglimpft. Eine durchschnittlich ältere Gesellschaft wäre auch eine reifere, weniger infantiler Gesellschaft aber eben das will man bei den «Kapitalisten» nicht. Man setzt auf kindlich, unreife, leicht zu begeisternde, unzufriedene und unkritische Konsumenten.
Mainstream Medien warnen seit Langem vor der «bedrohlichen Entwicklung» der Klimaerwärmung. Diese wird begründet durch den «menschengemachten CO2-Ausstoss». Weniger Menschen stossen weniger CO2 aus, was gut ist für das Klima. Dass jetzt der minime Rückgang der Anzahl Menschen des bevölkerungsreichsten Landes eine «bedrohliche Entwicklung» darstellen soll, ist eine Schande für diese Medien. Keine politische Schande, sondern eher der Beleg, dass die Zuständigen im Rechenunterricht in der Primarschule geschlafen haben.
Erstmalig an der Sache ist der Hype den es diesmal darum gibt. Aber kein Wunder, gilt doch auch China als erklärter Feind Amerikas und wo man die Russen schon so schön am Wickel hat…
Tatsache ist doch, dass durch den Bevölkerungsrückgang die vormalige 1-Kindpolitik abgeschafft wurde. Und das schon vor Jahren.
Die Löhne sind ebenfalls, schon seit Jahren am steigen. Nicht umsonst wird es in China als Errungenschaft gepriesen den Lebensstandard deutlich angehoben und die Armut wesentlich reduziert zu haben.
Aber das alles ist nicht neu, neu ist diesmal die Reaktion darauf.
Ich sehe in dem Umgang mit China einen weiteren Beleg für einen allgemeinen Verfall es Journalismus. Ungenaue Sprache, der Griff zur (im Zweifel missglückten) Metapher, die Flucht in die Floskel, die Vermischung von Information und Meinung, die kritiklose Übernahme von Material der Agenturen, das Breitwalzen von Text durch längst und wiederholt Berichtetes …
Und das alles ergänzt durch den festen Willen, sich selbst besonders wichtig zu nehmen, Alarmismus und den ungebremsten Hang, alles schlecht zu machen, den «Scoup» zu landen, den «Skandal» zu entfachen.
«Berichten, was ist», die immer noch richtige Maxime von Josef Augstein, hat augenscheinlich keinen Wert mehr. Das Phänomen ist international und keineswegs auf den deutschsprachigen Raum beschränkt.
Auf einem begrenzten Raum gibt es kein immerwährendes Wachstum. Es ist kein gutes Zeichen für den Homo Sapiens, wenn seine Mehrheit diese elementare Tatsache nicht versteht.
Bei Wachstum ist zu differenzieren.
Die reine Anzahl an Menschen verkraftet Mutter Erde.
Wenn aber eine relativ kleine Anzahl an Menschen immer mehr Kollateralschäden pro Kopf verursachen, dann wächst das Risiko, dass die Lebensgrundlagen für menschliches Leben sich nicht mehr regenerieren können.
Und JA es gibt immer Wachstum, besonders nach Katastrophen, in einem ewigen Auf- und Ab.
Bisher gelang es noch nie, eine Gemeinschaft oder Gesellschaft stabil auf einem hohen Niveau langfristig zu halten.
Ein gutes Beispiel für tendenziöse «Berichterstattung». Münzte man diesen Alarmismus auf D oder Ö, gingen wohl die negativen Superlative aus: seit vielen Jahren Rückgang der autochthonen Bevölkerung durch sinkene Geburtenraten, «Überalterung», Probleme der Rentenkassen, Facharbeitermangel auf allen Gebieten, Lohnstagnation auf hohem Niveau, stark anwachsender Reichtum einiger durch Erbe und steigenden Wert des Immobilienbesitzes, dauerhaft niedriges Investitionsniveau der Wirtschaft, Staatsverschuldung durch zunehmde Alimentierung, nicht durch zunehmende Investition usw. usw. usw. Die VR China hat sicher ihre ganz eigenen Probleme, die niemand bei uns hier auch nur ansatzweise miterleben möchte, aber immerhin bringen sie Infrastruktur- und Bauprojekte erfolgreich zu Ende, was man in D nicht behaupten kann.
Brillant zusammengefasst von Urs P. Gasche.
Die Schizophrenie und Heuchelei unserer Mainstream-Medien und der meisten Politiker ist unfassbar.
Sogar gemäss den Meinungsmachern bei den Grünen spielt NUR der pro Kopf-Verbrauch für den Ressourcenverbrauch und die Umweltverschmutzung eine Rolle….dass mehr Köpfe halt auch in (noch) bescheidener als wir lebenden Gesellschaften mehr Ressourcen brauchen und diese mehr belasten (Bsp.Wasser, fertile Böden etc.)…das sagen doch nur Misanthropen, Lifestyle-Faschisten und Birkenstock-Rassisten…
Ergo dürfen Bevölkerungszahlen weltweit auf keinen Fall sinken (ausser aus aktuellen Gründen vielleicht in Russland ;-); im Gegenteil, unser real existierendes Wirtschaftsmodell braucht Bevölkerungswachstum, in alle Ewigkeiten. Amen.