Wie der Winterthurer Stromdeal wirklich läuft
»Winterthur beschafft Strom in Deutschland», titelte die NZZ am Sonntag und fuhr fort: «Winterthur ist der erste Grossverbraucher, der für die Strombeschaffung nach Deutschland wechselt.» Die Schweizer Nachrichtenagentur sda doppelte nach: «Die Stadt (Winterthur) bezieht den Strom künftig über den deutschen Anbieter Trianel». Diese Meldungen wurden am Sonntag über Onlinezeitungen wie Newsnet und am Montag über Tageszeitungen wie NZZ und «Tages-Anzeiger» weiter verbreitet.
Die Neuigkeit wäre, wenn sie zutreffen würde, von Belang. Denn mit einem Jahresverbrauch von 600 Millionen Kilowattstunden (kWh) konsumiert die sechstgrösste Schweizer Stadt immerhin ein Prozent des gesamten inländischen Stromverbrauchs. Beschaffte Winterthur diesen Strom künftig in Deutschland, würde das die Schweizer Stromwirtschaft empfindlich treffen, allen voran den Stromkonzern Axpo. Denn die Axpo und ihr Verteilwerk EKZ (Elektrizitätswerke des Kantons Zürich) deckten bisher den Grossteil des Strombedarfs der in ihrem Monopolgebiet beheimateten Stadt Winterthur.
Nur Dienstleistungs-Vertrag
Doch Nachfragen korrigieren und relativieren die vermeintliche Sensation: Die Stadt Winterthur wechsle zwar vom Monopol in den Markt, erklärte auf Anfrage Markus Sägesser, Chef der Stadtwerke Winterthur. Das Gleiche taten oder tun auch andere kommunale Verteilwerke. Doch die Stadtwerke Winterthur wählen ihre Stromanbieter weiterhin selber aus. Auch nächstes Jahr würden sie den Grossteil ihres Stroms von Schweizer Anbietern beziehen, aber eben nicht mehr ausschliesslich von der Axpo/EKZ, sagt Sägesser.
Beim Abkommen mit der deutschen Firma Trianel (die von deutschen Stadtwerken gegründet wurde) handelt es sich nämlich nicht um einen Stromlieferungs-, sondern um einen blossen Dienstleistungsvertrag, betont Sägesser. Das bestätigt auf Anfrage Trianel-Sprecherin Nadja Thomas: «Die Stadt Winterthur kauft den Strom nicht bei uns ein, sondern sie sichert sich bei uns Dienstleistungen im Bereich des Stromhandels.» Dabei handelt es sich in erster Linie um das Management des Strom-Portfolios, also die administrative Bewirtschaftung der verschiedenen Stromangebote. Diese Dienstleistung gliedern auch andere Stromverteiler an spezialisierte Unternehmen aus, wenn sie vom Monopol in den Markt wechseln.
Tiefe Preise fördern Wechsel zum Markt
Grossverbraucher und kommunale Verteilwerke wie die Stadtwerke Winterthur haben schon seit 2009 Zutritt zum Strommarkt. Doch die meisten von ihnen blieben vorerst beim angestammten Lieferanten und somit im alten Versorgungsmonopol. Grund: Die Produktions- und Beschaffungskosten der Schweizer Elektrizitätsunternehmen waren anfänglich tiefer als die Preise auf dem europäischen Markt, wo der Strom mehrheitlich auf Termin gehandelt wird.
Mittlerweile aber haben Überkapazitäten an Kraftwerken und der krisenbedingte Rückgang der Nachfrage die Spot- und Terminpreise auf dem europäischen Strommarkt einbrechen lassen. Massgebend sind heute die tiefen Produktionskosten von Atom- und Kohlestrom, der direkt und indirekt ebenso subventioniert wird wie die mengenmässig kleinere Stromproduktion aus Solar- und Windkraftwerken. Von diesen tiefen Markt- respektive Dumpingpreisen wollen nun immer mehr grosse Stromkonsumenten und Verteilwerke in der Schweiz profitieren. Viele haben darum schon ab 2013 vom Monopol in den Markt gewechselt. Diese Wechselrate dürfte, wie das Beispiel Winterthur zeigt, ab 2014 weiter zunehmen.
Reger Aussenhandel seit Jahrzehnten
Obwohl die meisten grossen und kleinen Stromverbraucher ihren Strom von einheimischen Elektrizitätswerken beziehen, heisst das nicht, dass es sich dabei um reinen Schweizer Strom handelt. Denn Produktions- und Konsummix in der Schweiz sind nicht identisch. So pflegen die grossen nationalen Stromproduzenten wie Axpo, Alpiq oder die Berner BKW seit Jahrzehnten einen regen Austausch mit dem Ausland: Vorwiegend im Winter und in den Nachtstunden importieren sie Strom mehrheitlich aus deutschen Kohle- und französischen Atomkraftwerken. Vorwiegend tagsüber und im Sommerhalbjahr exportieren sie Spitzenstrom aus Wasserkraftwerken. Seit einigen Jahren ist das Volumen dieses Strom-Aussenhandels grösser geworden als der inländische Stromkonsum.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Für solche Infos brauchts den Infosperber tatsächlich. Danke für die Nachrecherche.
Gruss, Fredy