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Der Tauschmarkt in Pimampiro im Norden Ecuadors zieht Bauern und Händler aus der ganzen Region an. © Alejandro Ramírez Anderson

Spekulation hat auf diesem Markt keinen Platz

Romano Paganini /  Tauschen statt bezahlen: Bewohner eines Bergstädtchens im Norden Ecuadors zeigen, wie sich Wirtschaftskrisen abfedern lassen.

Von oben sieht’s aus wie an einem Grümpel-Turnier irgendwo im Berner Oberland. Weiss glänzen die Zeltdächer in der warmen Nachmittagssonne, auf einigen prangt das Emblem irgendeines Sponsors, und zwischen Rasen und Sportplatz, dem polideportivo, tummeln sich hunderte Menschen. Und auch wenn heute in Pimampiro viel gelaufen, ja manchmal sogar gerannt wird: Mit Fussball hat das alles nichts zu tun. In Pimampiro wird getauscht: Kleider, Saatgut, Tiere, vor allem aber Früchte und Gemüse. Niemand kommt oder geht mit leeren Händen, so will es der Brauch. Selbst die StudentInnen der Zentraluniversität, die extra aus Quito angereist sind, haben etwas zum Tauschen mitgebracht – im Wissen, dass Geld hier oben heute keinen Wert hat. Was zählt, ist der trueque von Bananen gegen Kartoffeln, Erbsen gegen Avocados, Ananas gegen Karotten, Mangos gegen Bohnen oder Litschis gegen Zwiebeln.

Zwischen den Marktzelten ist es eng, laut und heiss. (Bild: Alejandro Ramírez Anderson)
In Pimampiro hat diese ursprüngliche Form des Handels sämtliche Eroberungsversuche, Finanzblasen, Börsencrashs, Wirtschaftskrisen und Weltkriege überlebt. Geld – egal ob digital, in Scheinen oder Münzen – ist an diesem Tag ähnlich weit weg wie die Angst vor Hunger, Korruption oder Überfällen. BankerInnen würden hier glatt eine Krise bekommen.
Zentrum des Koka-Anbaus
Offiziell war der mercado de trueque auf 14 Uhr angesetzt, doch bereits um 10 Uhr stehen die ersten Kleinlaster neben dem Sportplatz. Ruckzuck wird die Ware abgeladen und von bulligen Männern zu den Ständen getragen. Dort warten die Frauen und Kinder. Sie haben die besten Plätze in Beschlag genommen und werden sie erst wieder freigeben, wenn die eigene Ware getauscht ist und die Säcke und Kisten mit dem Gewünschten gefüllt sind.
Auch der Gemeindepräsident ist zugegen, ein Mann in den Fünfzigern, mit verspiegelter Sonnenbrille und gerötetem Gesicht. Mit geschwellter Brust schlendert er übers Areal und legt wildfremden Menschen ungefragt ein Stoffband ums Handgelenk. Er sei der alcalde des Ortes, sagt er zu jenen, die verdutzt sind über das Erinnerungsgeschenk. Anderen reicht er die Hand oder klopft ihnen auf die Schulter. Oskar Narváez Rosales ist ein Verfechter des trueques und geniesst das Bad in der Menge. Als die Universitäten über Pimampiro zu recherchieren begannen, so erzählt er, hätten sie festgestellt, dass der Tauschhandel hier tief verwurzelt sei. «Niemand organisiert diesen Anlass», sagt Narváez, «die Leute kommen jedes Jahr aus eigenen Stücken hierher.»

Von weit her sind Bauern und Händler angereist, um auf dem Markt in Pimampiro ihre Waren zu tauschen. (Bild: Alejandro Ramírez Anderson)
Bereits vor Ankunft der Spanier soll in Pimampiro Tauschhandel betrieben worden sein. Der Ort, der heute 13’000 EinwohnerInnen zählt, war damals Zentrum des Koka-Anbaus, und Menschen aus der ganzen Region tauschten ihre Ware gegen die heilige Pflanze. Koka wird als Schmerz- und Stimulationsmittel angewandt und kommt in den Andenstaaten bis heute auch bei Ritualen und als Opfergabe zum Einsatz. In Ecuador allerdings hat die Regierung den Anbau und Handel in den 1990er-Jahren verboten. Verschwunden ist die Pflanze freilich schon vor zwei- bis dreihundert Jahren. Die Jesuiten hatten damals in den Tälern rund um Pimampiro riesige haciendas aufgebaut und nutzten die Infrastruktur der Kokaproduktion, allen voran den Terrassenbau und die Bewässerungssysteme der Inkas. Allerdings waren sie nicht am Kokaanbau interessiert, sondern an der Produktion von Zucker und Öl und dem Anbau von Weintrauben.

Eng, heiss, laut und schnell

Als die Sonne in Pimampiro zu sinken beginnt, steigt auf dem polideportivo das Thermometer. Oben an der Strasse treffen immer mehr Lastwagen ein, die Männer kommen mit Abladen kaum nach. Die Nummernschilder deuten auf andere Provinzen hin, auch von der Küste und aus dem Süden Kolumbiens sind sie gekommen. Pimampiro liegt nur etwa hundert Kilometer von der Grenze entfernt. Zwischen den Zelten ist es eng geworden, heiss, laut und schnell. Es wird gerannt, gerufen, gehandelt, angenommen und abgelehnt. Während 24 Stunden kommen und gehen viertausend Bauern, Händler, Tauschfreudige und Schaulustige. Bei dem farbigen Treiben zwischen Afroamerikanern, Indigenen, Mestizen und einzelnen Gringos, zwischen Stadt-, Berg- und TalbewohnerInnen wird spürbar, was Reichtum bedeutet.
Allerdings klappt’s mit dem Handel nicht immer auf Anhieb. An einem der Stände will eine Frau unbedingt ihre Avocados gegen Kartoffeln tauschen, doch ihre Handelspartnerin wünscht Pfirsiche. In diesem Fall führt der einzige Weg über den Umweg – also nicht direkt von Avocados zu Kartoffeln, sondern via Pfirsiche. Nach mehrmaligem Insistieren zieht die Frau mit ihrer Schale Avocados schliesslich weiter. Irgendwoher muss sie nun Pfirsiche auftreiben.
Die Tradition weitergeben
Besser ergeht es Erasmus Bosmediano, der sein Gemüse innert weniger Stunden gegen Früchte getauscht hat und nun zusammenpackt. Schon als Kind sei er hier gewesen, sein Vater habe ihn in den Tauschhandel eingeführt. Heute nun steht der 42-jährige Bauer neben seinem eigenen Sohn und erklärt diesem, worauf er beim Handeln achten müsse. Es sei wichtig, sagt Erasmus Bosmediano, diese Tradition von Generation zu Generation weiterzugeben. «Denn in den comunidades ist es nicht einfach, zu Geld zu kommen. Dafür haben wir Dinge zum Tauschen und können so Abwechslung in unsere Ernährung bringen.»
Wie an den meisten Ständen sind heute auch in seiner Familie Frauen und Kinder für den Handel zuständig. Erasmus Bosmediano sagt, dass seine Frau besser wisse, was sie für die Küche brauche. Er lacht und beteuert, dass es dabei nicht um machismo gehe, sondern schlicht um Arbeitsteilung: er auf dem Feld, sie zuhause.

Früchte gegen Gemüse: Der Tauschhandel bringt Abwechslung in die Ernährung der Bauern. (Bild: Alejandro Ramírez Anderson)
Oskar Narváez Rosales, der Mann mit der Spiegelsonnenbrille und dem geröteten Gesicht, gibt inzwischen Interviews, Radio- und Fernsehstationen sind vor Ort. Nächste Woche entscheidet sich, ob der alcalde nach Spanien eingeladen wird, in die Region Extremadura. Die einstigen Kolonialherren wollen wissen, wie der mercado de trueque in Pimampiro funktioniert.
Vor anderthalb Jahren ist der Markt vom Kulturministerium zum immateriellen Kulturerbe Ecuadors erklärt worden – dem einzigen in dieser Form, wie Narváez stolz sagt. Was also unterscheidet den Tauschhandel vom Kaufhandel?
Die Antwort: Gegenseitigkeit (reciprocidad) und Solidarität. «Wenn es in Ecuador zu einer Wirtschaftskrise kommt, spüren wir das hier oben weniger als die Menschen in den Städten», sagt Narváez. «Unser Leben ist eng an die Landwirtschaft geknüpft. Damit decken wir automatisch eines der zentralen Grundbedürfnisse der Menschen.»
Pimampiro ist dazu quasi prädestiniert – nicht nur auf Grund der Geschichte und den fruchtbaren Böden, sondern auch wegen seiner geographischen Lage. Denn der Ort auf 2100 Metern über Meer liegt zwischen dem kühlen Hochland auf drei- bis viertausend Metern und den wärmeren Regionen im Tal. Während in den tieferen Lagen tropische Früchte gedeihen, spriesst an den trockenen Hügeln, nahe des Himmels, das Gemüse. Für den Tauschhandel kommt man auch unter dem Jahr nach Pimampiro. Die Produktion, die auf dem Wochenmarkt nicht verkauft werden konnte, tauschen die Bauern unter sich.

Mit den Stadt-Märkten nicht zu vergleichen
Als es einzudunkeln beginnt, lichten sich die Reihen und der Handelsrausch verliert etwas an Intensität. Noch sind weder Hühner oder Meerschweinchen zu sehen, die wie in den Vorjahren getauscht werden konnten. Dafür hat eine Bäuerin Honig und Milch mitgebracht sowie Schweinefett für die fanesca, eine typische Mahlzeit, die in Ecuador jeweils zu Gründonnerstag zubereitet wird. Der mercado de trueque findet immer eine Woche vor Karfreitag statt. Ein Datum, das sich mit dem landwirtschaftlichen Kalender der Indigenen überschneidet, genau wie auch mit der Früchteernte in der Region.
Müde vom langen Tag hat sich Kati Padilla auf einen der schweren Kartoffelsäcke gesetzt und blickt ins Leere. Erschöpft, aber zufrieden, wie sie sagt. Als eine der ersten hatte sie sich heute auf dem polideportivo eingerichtet, ihre Nichten sind weiterhin fleissig am Tauschen. «Der mercado de trueque lässt sich nicht mit den Märkten in der Stadt vergleichen», sagt Kati Padilla. Dort seien die Menschen schlecht gelaunt und man werde schlecht behandelt. «Hier dagegen geht man respektvoll miteinander um, und es herrscht eine angenehme Atmosphäre.»

Dieser Beitrag erschien zuerst auf mutantia.ch.

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Keine. Der Autor lebt in Lateinamerika und betreibt von dort aus unter anderem die Website mutantia.ch.

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