Putins Krieg verschafft den USA Vorteile gegenüber Europa
Ein augenfälliges Beispiel: Erdgas kostet in Europa bereits heute viermal mehr als in den USA. Bis 2021 waren die Kostenunterschiede gering (siehe Grafik unten). Bei der Produktion von Zement, Papier, Stahl, Glas oder auch Kunstdünger gibt es derzeit wenig Alternativen zum Erdgas. In Deutschland und in der Schweiz hatte Erdgas im Jahr 2021 einen Anteil von rund einem Viertel am gesamten Verbrauch an Endenergie. Entsprechend vermindern hohe Gaspreise die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA.
Aktien der US-Rüstungskonzerne schiessen in die Höhe
Der frühere Wirtschaftsjournalist Gabor Steingart und Miteigentümer der deutschen Handelsblatt-Gruppe, schreibt im «Morning Briefing», das er täglich herausgibt:
«Das Sanktionsregime gegen Russland, das auf Drängen der USA die Energielieferungen, die Zahlungssysteme und jegliche Produktionsstätten in Russland betrifft, bedeutet für die Volkswirtschaft der USA eine Stärkung.»
Dank der gestiegenen Energiepreise und der vollen Auftragsbücher der US-Rüstungsfirmen habe sich dieser Krieg für die USA finanziell bereits gelohnt:
«Die drei grössten amerikanischen Öl- und Gaskonzerne, ExxonMobil, Chevron und ConocoPhillips, erwirtschafteten im ersten Quartal des Jahres 16 Milliarden Euro Gewinn. Die Aktien der Rüstungskonzerne Lockheed Martin (+24 Prozent), Northrop Grumman (+18 Prozent) und Raytheon (+6 Prozent) schiessen seit Anfang des Jahres in die Höhe.»
Zum teuren Öl und Erdgas kommt der teurere Dollar
Europäische Länder wollen weniger billiges russisches Erdöl und Erdgas kaufen, um Russlands Deviseneinnahmen zu schmälern. Aus anderen Ländern kosten diese Energieträger merklich mehr. Unter anderen profitiert die amerikanische Fracking-Industrie, die ihr teures verflüssigtes Erdgas wieder vermehrt exportieren kann und hohe Gewinne erzielt.
Eine Einigung mit dem boykottierten Erdölland Iran könnte das Fracking-Geschäft erschweren, weil Iran über fast so viele Erdgas-Reserven verfügt wie Russland. Doch man kann sich nicht darauf verständigen. Die USA werfen dem Iran vor, weiter an der Entwicklung einer Atombombe zu arbeiten.
Gabor Steinhart schreibt von einer «Renaissance der amerikanischen Exportindustrie». Die erhöhten Importe aus den USA kosten den europäischen und anderen Ländern noch zusätzlich, weil der Dollar – dank der Zinserhöhung der US-Notenbank – gegenüber dem Euro stärker wurde: Vor einem Jahr kostete ein Dollar noch 82 Cents, heute 95 Cents. Das entspricht einem Aufschlag von 16 Prozent.
Das Institut der deutschen Wirtschaft fasste am 25. März 2022 die nachteilige Lage der europäischen Länder in einem Report zusammen:
«Internationale Investoren bevorzugen den amerikanischen Markt insbesondere aufgrund der besseren Verfügbarkeit von natürlichen und finanziellen Ressourcen … Im Vergleich mit China und den USA ist die EU mit Blick auf die Rohstoffverfügbarkeit auf eigenem Territorium strukturell im Nachteil und muss sich auf offene Weltmärkte verlassen.»
Eine finanzielle Herausforderung für Europa sind auch die mehreren Millionen aus der Ukraine Geflüchteten.
Weltweite Probleme wegen stark steigender Nahrungsmittelpreise
Der Krieg, die Sanktionen und Russlands Selbstversorgungsproblem liessen Russlands Weizenexporte stark einbrechen und die Preise für Weizen, Futtermittel und Dünger in die Höhe schnellen. Davon sind wiederum die USA am wenigsten betroffen. In Europa werden Lebensmittel deutlich teurer.
Noch viel stärker sind arme Länder betroffen: Benin importierte gemäss Unctad 100 Prozent des Getreides aus Russland, Laos 70 Prozent, Sudan 70, Ägypten 60 Prozent. Auch die Republik Kongo, die Demokratische Republik Kongo, Madagaskar, Ruanda, Tansania und Burkina Faso importierten bisher alle über die Hälfte des Getreides aus Russland. Südafrika und Mosambik rund 30 Prozent.
In einigen afrikanischen Ländern sowie in Staaten wie Brasilien, Argentinien oder Chile führen stark steigende Preise schon heute zu sozialen und politischen Unruhen. Die Preise von Nahrungsmitteln könnten noch weiter steigen, denn die Welternährungsorganisation FAO erwartet eine Knappheit an Dünger. Nahrungsmittel-Exporteure wie die USA, Indien und Zentralasien könnten profitieren.
Es wäre eine grosse Erleichterung, wenn ein Teil des Weizens und Roggens nicht mehr an Tiere verfüttert oder zu Agrardiesel (Ethanol) verarbeitet würde, erklärte Landwirtschafts- und Ernährungsexperte Rudolf Herren in der NZZ: «Es gäbe immer noch mehr als genug Getreide für die ganze Weltbevölkerung.»
Das würde jedoch voraussetzen, dass vor allem die Europäer und Amerikaner deutlich weniger Fleisch essen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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