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Elinor Ostrom erhielt 2009 als erste Frau den Nobelpreis für Wirtschafswissenschaften. © ©Prolineserver 2010, Wikipedia/Wikimedia Commons/cc

«Menschen wollen keine Dummköpfe sein»

Urs Fitze /  Für komplexe Probleme können Menschen gemeinsame Lösungen finden. Davon war US-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom immer überzeugt.

(Red.) Es war eines der letzten Interviews von Elinor Ostrom. Der Journalist Urs Fitze konnte es am 25. April dieses Jahres telefonisch führen. Am 12. Juni starb die berühmte Politikwissenschafterin und Ökonomin 78-jährig an Krebs. Sie hatte ihr Forscherleben den Gemeingütern gewidmet, also der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen wie Wasser, Weiden, Wälder oder Luft. Für ihre bahnbrechenden Erkenntnisse erhielt sie 2009 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Das US-Magazin Time reihte sie 2011 unter die weltweit 100 einflussreichsten Persönlichkeiten ein.

Frau Ostrom, einer der Kernsätze Ihrer Rede zur Verleihung des Nobelpreises heisst: Es ist besser, die Komplexität der Welt zu verstehen und einen Weg zu finden, damit umzugehen, als sie einfach zu negieren. Wie verhalten sich diesbezüglich Politiker und Wirtschaftstreibende?
Elinor Ostrom: Der Mainstream geht sicher in Richtung viel zu starker Vereinfachung, sei es in der Politik, sei es in der Wirtschaft, und das entspricht auch weitgehend der gängigen ökonomischen Lehre. Dabei ginge es zuerst einfach darum, zu akzeptieren, dass die Dinge, seien sie physischer oder psychischer Natur, eben kompliziert sind. Vereinfachungen führen allzu oft zu falschen Schlussfolgerungen.
Woran liegt das?
Schwer zu sagen. Ich kann nur als Sozialwissenschaftlerin antworten, die seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der Gemeingüter und deren Bewirtschaftung forscht und zum Schluss kommt, dass Menschen sehr wohl in der Lage sind, auch ausserordentlich komplexe Herausforderungen gemeinschaftlich zu meistern. Über viele Jahre wurden meine Forschungsergebnisse von den meisten Kollegen aus der Wirtschaftswissenschaft praktisch ignoriert. Es wurde einfach behauptet, die Menschen seien nicht in der Lage, gemeinsam Lösungen für komplexe Probleme zu erarbeiten. Man sprach von der Tragödie der Allmende, dem gemeinschaftlich bewirtschafteten Boden, und behauptete, sie gehe an den überhöhten Ansprüchen der Nutzer zugrunde. Gleichzeitig hielt man an Modellen fest, die von dieser falschen Annahme ausgingen und kam zu Lösungen, die stets darauf hinausliefen, entweder den Staat oder die private Wirtschaft als lenkende Kraft anzurufen.
Hat sich mit Ihrem Nobelpreis etwas an dieser Missachtung geändert?
Ich und meine Kollegen werden jetzt sicher verstärkt wahrgenommen. Aber es bleibt noch viel zu tun.
Ein anderes Schlüsselwort Ihrer Nobelpreis-Rede heisst Vertrauen. Warum ist Vertrauen so wichtig?
Weil man ohne gegenseitiges Vertrauen nicht zusammenarbeiten kann. Die gemeinsame Nutzung von Weiden in den Schweizer Alpen konnte nur über so lange Zeiträume funktionieren, weil die Menschen bereit waren zur Zusammenarbeit – und weil sie einander vertrauten. Vertrauen gibt es aber nicht einfach als Vorschuss. Vertrauen muss man sich erarbeiten, und Vertrauen kann nur wachsen, wenn man gemeinsam Regeln definiert, Spielräume absteckt und auch dafür sorgt, dass es Sanktionen für jene gibt, die sich nicht daran halten.
Aber wie wird man jener Herr, die nur das Ausplündern von Gemeingütern im Kopf haben?
Wenn ich die Ressourcen nicht übernutzen soll, muss ich tatsächlich darauf vertrauen können, dass der andere sie auch nicht übernutzt. Wenn ich mich gut verhalte, der andere aber nicht, bin ich schlicht ein Dummkopf, wenn ich mich nicht zur Wehr setze. Und Menschen wollen keine Dummköpfe sein. Man hat in meiner Wissenschaft immer angenommen, dass man den Staat braucht, die grossen Männer mit den Gewehren, die uns befehlen, was wir in solchen Angelegenheiten zu tun und zu lassen haben. Doch dem ist nicht so. Ich habe überall auf der Welt Beispiele gefunden, die zeigen: Die Menschen finden ihren eigenen Weg, um Gemeingüter zu verwalten. Sie definieren ihre Regeln, so dass sie auch über lange Zeiträume funktionieren und flexibel genug sind. Dann wächst auch das Vertrauen.
Es ist nicht der Staat, es ist nicht die Wirtschaft, es braucht etwas dazwischen, wenn Gemeingüter nachhaltig bewirtschaftet werden sollen, lautet die Kernbotschaft Ihrer Forschung. Dieses Etwas ist komplex, es muss verhandelt und entwickelt werden. Gibt es so etwas wie eine ideale Lösung?
Nein, es gibt keine ideale Lösung, es gibt auch keinen Modellfall. Das ist die Erkenntnis, mit der wir leben müssen und aus der es Lehren zu ziehen gilt. Ich kann Ihnen von vielen Beispielen erzählen, die ganz unterschiedliche Lösungen mit sich bringen. Sie funktionieren, aber eben nur in diesem Einzelfall. Ein Modell lässt sich daraus nicht ableiten. Wir können einzig den Rahmen definieren, die wichtigsten Bedingungen, die es einzuhalten gilt. Umsetzen müssen die Menschen das selbst in der Form, die zu ihrer Gemeinschaft passt. Wir müssen diese Vielfalt anerkennen und darauf aufbauen, um die Verschiedenheit der Welt bewältigen zu können. Es gibt jenseits von Staat und Markt die institutionelle Vielfalt. Dort liegt die Lösung.
Lassen sich Erkenntnisse, die Sie aus der gemeinsamen Bewirtschaftung von Allmenden im Wallis gewonnen haben, auf die aktuellen Klimaverhandlungen übertragen, bei denen es um die Bewirtschaftung der Atmosphäre geht?
Ja und nein. Natürlich lässt sich die Lösung, wie sie im Walliser Bergdorf Törbel entwickelt wurde, nicht einfach für ein globales Problem übernehmen, ja nicht einmal auf die Gegebenheit im Talgrund des Wallis, wo man andere Modelle entwickelt hat. Aber die Grundsätze bleiben stets dieselben: Es geht um klare Grenzen zwischen Nutzniessern und jenen, die nicht beteiligt sind, Kosten und Nutzen müssen sich für alle gleich die Waage halten. Entscheidungen sind gemeinschaftlich zu treffen und es braucht eine wirksame Überwachung. Natürlich sind die Klimaverhandlungen extrem schwierig zu führen und Lösungen nur sehr mühsam, wenn überhaupt, zu erreichen. Ich plädiere deshalb auch dafür, den lokalen und den globalen Weg zu gehen, um Gemeingüter wie die Atmosphäre zu verwalten. Wenn man sich auf globaler Ebene nicht finden kann, heisst das ja nicht, dass Kommunen oder lokale Gemeinschaften nicht selbst etwas unternehmen sollten, um die Klimagas-Emissionen zu reduzieren. Es geht letztlich doch auch darum, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern etwas zu tun. Im Idealfall mag es gelingen, vernetzte Strukturen zu entwickeln, in die die verschiedenen Beteiligten auf allen Ebenen eingebettet werden.
Können globale Probleme an der Basis gelöst werden?
Ich glaube schon. Nichts zu tun wäre sicher die schlechteste Lösung. Und wir haben aus der Geschichte genügend Beispiele, bei denen es gelungen ist, Gemeingüter über lange Zeiträume gemeinschaftlich zu verwalten, ohne damit die Grundlagen einer Gesellschaft und deren Wirtschaft zu zerstören.
Welche organisatorische Form eignet sich am besten für die Verwaltung von Gemeingütern?
Da gibt es für mich keine Präferenzen, das hängt vom Einzelfall ab, vom Verlauf der Gespräche, die die Betroffenen miteinander führen.
Wie können global tätige Grossunternehmen in die Verwaltung von Gemeingütern integriert werden?
Da sehe ich grundsätzlich keine unüberwindbaren Hindernisse. Es gibt ja schon heute einige Grossunternehmen, die aus eigener Einsicht damit begonnen haben, ihren Energieverbrauch zu reduzieren. Damit schaffen sie selbst die besten Voraussetzungen, sich in die gemeinschaftliche Nutzung der Atmosphäre zu integrieren. Grösse schliesst Teilhabe nicht aus. Und in gewisser Weise lässt sich auch ein grosser Konzern als Gemeinschaft beschreiben, die einen Weg finden muss, Allmendegüter so zu nutzen, dass sie auch auf lange Sicht erhalten bleiben.
Soziale Unternehmer möchten das Geschäft und gesellschaftliches Engagement in Einklang bringen. Was halten Sie davon?
Ich sehe einiges Potenzial. Aber so richtig etabliert haben sich die sozialen Unternehmer noch nicht, und der Beweis, dass sie mehr sind als eine vorübergehende Erscheinung, steht für mich noch aus. Die sozialen Unternehmer müssen ihren Platz erst noch finden.
Das Konzept des Social Business könnte doch der Schlüssel sein zur Lösung vieler Probleme.
Da wäre ich zurückhaltend. Nicht, weil Social Business keine gute Sache wäre, aber, wie schon gesagt: Die Dinge sind sehr komplex. Für mich haben soziale Unternehmer einen wichtigen Platz im Gefüge, aber es ist letztlich wie mit anderen Organisationsformen: Es sind die beteiligten Menschen, die entscheiden sollen, welchen Weg sie gehen. Diese Selbstverwaltung kann viele Formen annehmen, und auch ein soziales Unternehmen kann eine sehr gute Lösung sein.
Nochmals zum grossen Ganzen: Die Welt schlägt sich heute mit Problemen wie Klimawandel, Hunger, Armut und Ungleichheit herum, dringlicher denn je. Als Einzelner sieht man sich überfordert. Brauchen wir nicht den grossen Wurf, die grosse Lösung?
Sie meinen eine Art Weltkonsens oder Weltregierung? Nein, das halte ich für nicht machbar, weil es nicht funktionieren kann und letztlich auch nicht durchsetzbar wäre. Denn von oben nach unten lässt sich nichts durchsetzen, und sei es noch so gut gemeint: Das zeigen unsere Forschungsergebnisse eindrücklich.
Und von unten nach oben?
Das ist wesentlich vielversprechender. Wir müssen es nur versuchen und bereit sein, uns auseinanderzusetzen. Und die Mächtigen müssen uns lassen.

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Das Interview mit Elinor Ostrom ist leicht gekürzt. Vollversion unter www.brotimtank.org. Sie erscheint im August auch in einem Buch über Genossenschaften.


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keine

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