Kommentar

Jetzt gilt‘s ernst – viele scheinen es zu begreifen

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Markus Mugglin /  Diese Wirtschaftskrise ist anders, deshalb muss auch die Therapie dagegen anders sein.

Es passiert gerade, was Autoren zahlreicher Neuerscheinungen vorausgesagt haben. Wir sind Zeugen eines globalen wirtschaftlichen Absturzes. Und was manche Skeptiker auch geahnt haben: Die Krise ist anders als die letzten es waren – der Finanzcrash 2008, die Asienkrise 1998, die Tequila-Krise 1994 oder der Börsencrash 1929. Es ist weder eine Kredit-, eine Banken-, eine Schulden-, eine Währungs- noch eine Börsenkrise.
«This time is different», darin ist man sich einig. Es ist eine Gesundheitskrise, die sich zu einer globalen Wirtschaftskrise ausweitet. Bisher sind zwar erst die Börsen abgestürzt und Unternehmen des Tourismus, des Flugverkehrs, des Detailhandels mit Ausnahme der lebensnotwendigen Teile mussten schliessen. Andere Bereiche werden folgen. Die Krise rückt erstmals Kleinst- und Kleinunternehmen aus verschiedensten Bereichen ins Zentrum, deren Nöte sonst meist «vergessen» gehen.
So anders die durch das Corona-Virus verursachte Wirtschaftskrise auch ist, sie kann zusätzlich noch zu einer Kredit-, Banken-, Schulden-, Börsen- und auch Währungskrise mutieren.

Erst noch spekulierten manche Experten darüber, ob uns überhaupt eine Rezession bevorstehe, eine allenfalls nur leichte von null Komma und etwas oder vielleicht doch ein mehr als nur leichter Einbruch. In angeblicher Bildhaftigkeit bemühten Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten die Buchstaben V, U, L oder das umgekippte S als Symbole, um darzulegen, was möglicherweise auf uns zukomme. Entweder ein kurzer, ein etwas längerer, ein sehr lang anhaltender Absturz oder ein holpriges Auf und Ab über eine längere Zeit. Nach der einen oder der anderen Buchstabenform könne sich das Bruttoinlandprodukt in den nächsten Monaten oder allenfalls in den nächsten ein, zwei Jahren entwickeln. Was das für die Menschen bedeuten würde, das musste man sich jeweils selber ausmalen.

Erst noch abgewiegelt

Nicht in Aktivismus verfallen, tönte es erst noch von der Wirtschaftslobby, als ob die von Wirtschaftsminister Parmelin vor einer Woche versprochene Nothilfe von zehn Milliarden Franken für Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und anderes ausreichen würde. In manch anderen Ländern gilt in Anspielung an die von Mario Draghi im Herbst 2012 geäusserte Losung «What ever it takes» – tun, was auch immer notwendig ist. Damals wurde der Euro gerettet. Jetzt ist alles zu tun, um den Wirtschaftskollaps zu verhindern oder zumindest dessen Folgen zu lindern.

Es geht nicht ums Spekulieren darüber, wie tief der Absturz sein könnte, auch nicht darum, wie bei den Wirtschafts- und Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte, die Wirtschaft möglichst schnell wieder in Gang zu setzen. Sondern es gilt sie soweit möglich in Gang zu halten. Sicherheitsnetze sind zu spannen für Unternehmen, Selbständigerwerbende, Arbeitnehmer, für alle. Nötig sind flexible Kurzarbeitsmodalitäten, Liquiditätshilfen, Bürgschaften, Stundung von Steuern und auch Lohnfortzahlungen für Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen. Das hat jetzt auch der Bundesrat verstanden. Er vervierfacht sein Notprogramm auf mehr als 40 Milliarden Franken und will damit alle erreichen. Und noch wichtiger: Es gründet auf einer Momentaufnahme. Sollte es mehr brauchen, um das Ziel zu erreichen, werde man mehr tun.

Die Anti-Krisenpolitik muss anders aussehen als bei den letzten Wirtschaftskrisen. Es genügt nicht, Banken beizustehen oder eine Fluggesellschaft zu retten. Krisenbewältigung darf nicht nur oben ansetzen und Grosse stützen. Die Ausweitung der Geldmenge soll nicht zu beliebigen Kreditgeschäften und Aktienrückkäufen animieren. Zusätzlich geschaffenes Geld soll vor allem direkt bei den Menschen und Kleinunternehmen ankommen, damit sie weiter für ihre Gesundheitskosten, Mieten und andere essentielle Verpflichtungen aufkommen können.
Das Notprogramm soll sozial ausgewogen sein, statt – wie nach der Finanzkrise 2008 – die Ungleichheiten zwischen oben und unten zu vertiefen. Am Steuer sind dieses Mal nicht die Notenbanken. Sie haben zwar auch eine Rolle zu spielen, aber nur unterstützend. Jetzt ist die Politik dran. Wie viel es kosten wird, sei vorerst dahingestellt. Auf das Ziel kommt es an, und das heisst, den Kollaps verhindern und allen beistehen.

Krise und neu denken

Für die Zeit danach gilt es grundlegende Fragen neu zu stellen. Die in London lehrende Ökonomin Mariana Mazzacuto nennt es die Chance, «to do capitalism differently». Auch dann soll der Staat dran sein. Er dürfe sich nicht mehr damit zufrieden geben, erst bei Marktversagen einzugreifen. Nicht zuletzt im Gesundheitswesen müsse er eine aktive Rolle spielen. Das beginne bei der Forschung und erstrecke sich bis zur Versorgung der Bevölkerungen mit Gesundheitsdiensten zu erschwinglichen und fairen Preisen. Und wenn grosse Unternehmen gerettet werden, dürfe es nicht im Widerspruch zu den klimapolitischen Zielen passieren.

Selbst Zentrums- und Halbrechts-Politiker wie der französische Präsident Emmanuel Macron und der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz scheinen sich bewusst zu sein, dass die Krise zu einer Umkehr führen müsse. «Morgen müssen wir die Lehren ziehen aus dem, was wir gegenwärtig durchmachen, das Entwicklungsmodell hinterfragen, in das sich unsere Welt seit Jahrzehnten verwickelt hat und dessen Mängel nun ans Licht kommen», versprach der französische Präsident in seiner Fernsehrede vor gut einer Woche. «Die Globalisierung werde hinterfragt werden», sekundierte Kurz in einem Interview. Solchen Fragen wird sich auch die Schweiz stellen müssen.


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Eine Meinung zu

  • am 21.03.2020 um 12:38 Uhr
    Permalink

    Weshalb soll das eine Gesundheitskrise sein, wenn die Erkrankung für den Grossteil der Menschen banal ist und hauptsächlich Kranke und Alte von Komplikationen betroffen sind. Die Wirtschaftskrise ist fast ausschliesslich die Folge der Massnahmen gegen die zu schnelle, aber letztlich unvermeidbare Ausbreitung des Virus. Meines Erachtens handelt es sich primär um eine Krise des Menschenbildes, der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Organisation und der westlichen Überheblichkeit, welche sich nie dafür interessiert hat, wieviele Menschen in anderen Ländern durch ihre Politik und die damit verbundenen Kriege sterben.

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