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Glencore-Kupferwerk in Sambia: Konzerne müssen auch im Ausland verantwortungsvoll wirtschaften © SRF

Internationale Konzerne und NGOs im Clinch

Markus Mugglin /  Der Nationale Kontaktpunkt im Seco schlichtet Streit zwischen NGOs und Unternehmen. Es gibt einiges zu verbessern, findet die OECD.

Ein «gutes Zeugnis» habe die Schweiz in einem OECD-Prüfverfahren erhalten, verkündet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am 18. Mai in einer Pressemitteilung. Die OECD scheint geradezu beeindruckt zu sein. Sie «lobt», «betont den guten Ruf» und hat die 2013 erfolgten Anpassungen «gewürdigt». So viel Lob lässt aufhorchen. Erst recht, weil das Prüfverfahren das politisch höchst sensible Thema der verantwortungsvollen Unternehmensführung zum Thema hatte. Konkret untersuchte eine OECD-Arbeitsgruppe das Funktionieren des «Nationalen Kontaktpunkts» der Schweiz, eine verwaltungsinterne Stelle, die in Streitfällen zwischen Gewerkschaften oder Nicht-Regierungsorganisationen und angeklagten Unternehmen vermitteln soll. Sie soll über die Einhaltung der OECD-Leitsätze für verantwortungsvolle Unternehmensführung wachen.
Der Titel «Gutes Zeugnis» scheint mehr als gerechtfertigt zu sein – allerdings nur nach der Lektüre der Medienmitteilung des Seco. Denn dort sind die wohlklingenden Formulierungen zu finden. Wer aber den 40 Seiten langen Bericht der OECD-Arbeitsgruppe liest, der fühlt sich getäuscht. Schon im Kapitel «Zusammenfassung» heisst es relativierend, dass der Nationale Kontaktpunkt der Schweiz sein Mandat «insgesamt» erfülle. Später folgen eine ganze Reihe konkreter Kritikpunkte.
Es fehlt an Substanz
Um die Substanz der Tätigkeit des Nationalen Kontaktpunkts ist es nicht bestens bestellt. Die vom Nationalen Kontaktpunkt in Streitfällen abgegebenen Empfehlungen seien sehr allgemein gehalten und wenig aussagekräftig. Sie gäben keine Anleitung dazu, wie die Unternehmen die Leitsätze besser befolgen könnten. Informationen über vereinbarte Aktionen zur Verbesserung der Situation gäbe es kaum. Nur in einem einzigen Fall gab es dazu konkrete Hinweise. Auch der «Follow-up»-Prozess nach der Einigung weise Schwächen auf. Die Mängelliste relativiert zumindest stark das Urteil, dass der Kontaktpunkt sein Mandat «insgesamt» erfüllt.
Die drei aus Deutschland, Chile und Grossbritannien delegierten Gutachter stützen ihre Kritik auf eine Analyse aller bisher vom Nationalen Kontaktpunkt behandelten Streitfälle zwischen Unternehmen und Beschwerdeführern ab. Es handelt sich um 17 Fälle, seit der Kontaktpunkt im Jahre 2000 geschaffen wurde. Für elf wurden Verfahren gestartet, ein Fall aber vorzeitig abgebrochen. Die elf akzeptierten Beschwerden betrafen Nestlé und Holcim (je zweimal), Glencore, weitere Rohstoffhändler, Triumph sowie die Fifa und den WWF. Kläger waren meist Gewerkschaften, aber auch NGOs. Der Bericht beschreibt die Verfahren des Kontaktpunktes, bewertet sie und schlägt Verbesserungen vor.
Auch die Organisation des Nationalen Kontaktpunktes wird beurteilt. Die Gutachter attestieren zwar wichtige Verbesserungen seit 2013. Die Arbeitsweise sei transparenter, es werde besser über den Ausgang der Streitfälle informiert. Durch die Schaffung eines Beirats, dem mehrere verwaltungsexterne Personen angehören, wurde die Unabhängigkeit des Kontaktpunktes gestärkt. Vertreten sind hier Arbeitgeber, Gewerkschaften, Nicht-Regierungsorganisationen und die Wissenschaft. Allerdings sei die Funktion des Beirats «nicht völlig klar». Auch die Rolle verwaltungsinterner «Adhoc working groups», die von Fall zu Fall beigezogen werden, sei «unklar».
Gegensatz Wirtschaft – NGOs
Nur bei der Wirtschaft geniesst der Nationale Kontaktpunkt einen «guten Ruf». Deren Vertreter hätten sich sogar «enthusiastisch» über den Beschwerdemechanismus geäussert und ihn als willkommene Alternative zu Gerichtsverfahren bezeichnet. Sie sehen ihn also als Alternative zur Konzernverantwortungsinitiative, welche die Entwicklungs-, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen im Herbst letzten Jahres eingereicht haben. Diese will den Opfern von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen gerichtliche Klagemöglichkeiten verschaffen, um die Wiedergutmachung erlittener Schäden einzufordern.
Die NGOs zweifeln hingegen am Nutzen des Nationalen Kontaktpunktes. Er biete ihnen nicht mehr als sie in den direkten Auseinandersetzungen mit den Unternehmen erreichen könnten. Deshalb rufen sie ihn nur selten an. In jüngster Zeit scheinen sie sich nur im Falle der CS wegen deren finanziellen Beteiligung am «North Dakota Access Pipeline»-Projekt, das durch Indianer-Gebiet führt, an ihn zu richten. In den zahlreichen anderen Streitfällen der letzten Monate mit Nestlé, HolcimLafarge, Glencore, Trafigura und einem zweiten Beispiel mit CS-Beteiligung gibt es keine Anzeichen dazu.
Ein Hauptproblem sehen die NGOs darin, dass die Schlichtung unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschieht.1 Die Vertraulichkeit der Vermittlungsverfahren schwächt ihre Position. Denn das öffentliche Anprangern fragwürdiger oder gar skandalöser Praktiken von Unternehmen ist ihre stärkste Waffe, um Unternehmen unter Druck zu setzen. Die NGOs haben aber auch grundsätzliche Bedenken. Der freiwillige Charakter des Verfahrens genügt ihnen nicht. Deshalb wollen sie mit der Konzernverantwortungs-Initiative gesetzlich bindende Regeln durchsetzen, die den Opfern von Menschenrechtsverletzungen ein Recht auf Wiedergutmachung gewährt.
Bei solch grossen Differenzen zwischen NGOs und der Wirtschaft dürfte die Empfehlung der OECD-Berichterstatter an den Kontaktpunkt, über vermehrte Kontakte zu den NGOs deren Skepsis zu überwinden, wenig erfolgversprechend sein.
Auch die OECD ist unter Druck
Die Auseinandersetzung über den schweizerischen Kontaktpunkt ist mehr als nur ein nationaler Streit. Denn Zweifel an der Wirksamkeit der OECD-Leitlinien sind global weit verbreitet. «OECD-Watch», ein Zusammenschluss von zahlreichen NGOs, warf im vergangenen Jahr in einer breit angelegten Analyse von 250 Beschwerdefällen der OECD quasi totales Versagen vor. Kaum je hätte sich für die Kläger etwas gebessert. Hinzu kommen die grossen Unterschiede zwischen den nationalen Kontaktpunkten. Nur in rund einem Dutzend Staaten spielen sie eine aktive Rolle, verfügen sie über Untersuchungsbefugnisse und können Entscheide mit gerichtsähnlicher Wirkung fällen. Die anderen – darunter die Schweiz – gaben sich bisher mit der passiven Rolle des Vermittlers zufrieden. Damit tat sich eine grosse Kluft auf zu den Vorgaben und Versprechen, welche die Kontaktstellen erfüllen sollten.
Der Chef der OECD-Arbeitsgruppe zu verantwortungsvoller Unternehmensführung, Roel Nieuwenkamp, preist die Leitsätze trotzdem als das «weltweit wichtigste Instrument für verantwortungsvolle Unternehmensführung» an.2 In rund der Hälfte aller Streitfälle sei eine Übereinkunft erreicht worden, führt er als Beleg an. Dass vieles nicht zum Besten bestellt ist, lässt sich aber nicht abstreiten. Die OECD-Staaten haben deshalb ihre Leitsätze überarbeitet. Nicht zuletzt die Nationalen Kontaktpunkte werden nun überprüft mit dem Ziel, deren Wirksamkeit und damit auch deren Glaubwürdigkeit zu erhöhen.
Auch der Schweizer Nationale Kontaktpunkt soll manche Mängel beheben. Der OECD-Ausschuss hat dazu Empfehlungen formuliert. Für deren Umsetzung und der Berichterstattung darüber räumt er der Schweiz Zeit bis im Frühjahr 2018 ein. Ob es dann zu einem wirklich guten Zeugnis reicht?
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FUSSNOTEN:
1 Mark Herkenrath in «Wie ernst meinen es Schweizer Unternehmen mit verantwortungsvollem Wirtschaften?» (Gespräch), in: Die Volkswirtschaft 7/2017, Seite 42
2 Roel Nieuwenkamp, Schrittweise Ausweitung der OECD-Standards, in: die Volkswirtschaft 7/2017, Seite 13 – 15


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Markus Mugglin hat sich in seinem im Herbst 2016 erschienenen Buch «Konzerne unter Beobachtung, Was NGO-Kampagnen bewirken können» ausführlicher mit den «OECD-Leitlinien und die Grenzen der Freiwilligkeit» und anderen Initiativen zu Wirtschaft, Nachhaltigkeit und Menschenrechten befasst.

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