Kommentar

In eine neue industrielle Ära investieren

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsPhilipp Löpfe war früher stellvertretender Chefredaktor der Wirtschaftszeitung «Cash» und Chefredaktor des «Tages-Anzeiger». Heute ist er ©

Philipp Löpfe /  Die Schweiz sollte jetzt in die Infrastruktur für eine nachhaltige Energieversorgung investieren. Der Zeitpunkt wäre günstig.

Die «Dritte Industrielle Revolution» ist mehr als ein Schlagwort: Täglich lesen wir von Robotern und Software, die immer intelligenter wird, von 3D-Druckern, welche die Massenproduktion ablösen werden, vom Internet der Dinge, das Maschinen miteinander kommunizieren lässt, und von einem Smart Grid, das unseren Energieverbrauch dank intelligenter Steuerung massiv reduzieren wird.

Die Versprechen der Dritten Industriellen Revolution sind verlockend: Mühselige Plackerei oder monotone Fliessbandarbeit werden von intelligenten Maschinen ausgeführt, Güter und Dienstleistungen auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet. Vor allem jedoch wird die noch herrschende Verschwendung endlich ein Ende haben und die Energieversorgung so gestaltet sein, dass der Planet Erde dabei nicht zugrunde gerichtet wird.
Reiche Länder lassen Infrastruktur verlottern
Stützpfeiler der Dritten Industriellen Revolution sind eine dezentrale und nachhaltige Energieversorgung und ein immer intelligenteres Internet. In der Theorie ist das unbestritten, bei der praktischen Umsetzung hingegen hapert es. Erstaunlicherweise sind es gerade die reichen Länder, die ihre Infrastruktur nicht etwa auf die Dritte Industrielle Revolution umrüsten, sondern sie stattdessen verlottern lassen.
In den USA beispielsweise sind Strassen und Brücken in einem jämmerlichen Zustand, ebenso die Netze für die Mobiltelefonie. Wer mit der Deutschen Bahn unterwegs ist, kann meist froh sein, wenn abends die kumulierte Verspätung nicht mehr als eine Stunde beträgt. Die Gründe dafür sind in einer verfehlten Politik zu finden: Im blockierten Politsystem der USA ist es fast unmöglich geworden, sinnvolle Kompromisse zu schliessen. In Deutschland ist die «schwarze Null», das Vermeiden von neuen Schulden, zur obersten Staatsräson erklärt worden, einstürzende Brücken hin und verlotternde öffentliche Gebäude her.

In der Schweiz ist die Infrastruktur in einem deutlich besseren Zustand, aber wie lange noch? Der Polittrend weist in die gleiche Richtung wie in den USA und in Deutschland: Eine rechtskonservative Koalition ist bemüht, Staatsausgaben zu drücken und Steuern für Reiche und Unternehmen zu senken. Dabei hat eine umfangreiche Studie des Bundes schon 2010 ergeben, dass allein die Ausgaben für Strassen und Schienen bis 2030 rund 260 Milliarden Franken betragen werden.
Mit Investitionsprogramm die Wirtschaftsflaute bekämpfen
Die Situation ist paradox: Einerseits werden die Mittel für eine adäquate Infrastruktur für eine digitale Gesellschaft immer spärlicher, gleichzeitig wissen Manager von institutionellen Anlegern nicht mehr, wie sie ihr Geld anlegen sollen. Eine vermeintlich pragmatische Politik der Rechtskonservativen wird dieses Dilemma noch verstärken und zu einem allmählichen Zerfall der Infrastruktur führen.

Dabei hat die Schweiz eine einmalige Gelegenheit – das viel zitierte «window of opportunity» steht weit offen: Die öffentliche Hand kann heute zum Nulltarif Geld borgen, ja sie erhält sogar dank Negativzinsen Geld zurück. Namhafte Banker und Ökonomen fordern daher, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Der ehemalige CS- und UBS-Chef Oswald Grübel hat schon vor Monaten in einem Interview mit «watson» den Bund aufgefordert, staatliche Zweckgesellschaften zu gründen und in die Infrastruktur zu investieren. Diese Forderung hat er in der «Schweiz am Sonntag» wiederholt.

Dieses Vorgehen wird auch von der «Financial Times» empfohlen. Das wohl renommierteste Wirtschaftsblatt der Welt ruft in einem redaktionellen Kommentar dazu auf, die drohende säkulare Stagnation – eine lang andauernde Wirtschaftsflaute – mit Investitionen in die Infrastruktur zu bekämpfen. Nur auf diese Weise würde die Weltwirtschaft wieder zu einem gesunden Wachstum zurückfinden und damit auch zu normalen Zinsen.
Technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll
Die Schweiz kann es sich leisten, die ersten Schritte für den Umbau einer geeigneten Infrastruktur für die Dritte Industrielle Revolution zu machen, eine Infrastruktur, die weder auf Öl und Erdgas noch auf Kernkraft angewiesen ist. Wie der ETH-Professor Anton Gunzinger in seinem Buch «Kraftwerk Schweiz» aufzeigt, ist ein solcher Umbau technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll. Unser Land verfügt nicht nur über die finanziellen Mittel, sondern auch über die natürlichen Voraussetzungen – Berge und viel Wasser –, die eine nachhaltige Energieversorgung möglich machen.

Jährlich geben wir gegen 15 Milliarden Franken für fossile Brennstoffe aus. Wenn wir jetzt in eine nachhaltige Energie-Infrastruktur investieren, werden wir mehr als genug Geld haben, um diese Ausgaben zurückzuzahlen, ohne den Staatshaushalt übermässig belasten zu müssen. Zudem würden wird auf diese Weise zahlreiche, hochwertige Arbeitsplätze schaffen und – was am meisten zählt – wir würden unseren Nachkommen eine intakte Umwelt hinterlassen.

Dieser Beitrag ist auf Watson.ch erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Philipp Löpfe war früher stellvertretender Chefredaktor der Wirtschaftszeitung «Cash» und Chefredaktor des «Tages-Anzeiger». Heute ist er Wirtschaftsredaktor von Watson.ch.

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Eine Meinung zu

  • am 24.04.2015 um 10:53 Uhr
    Permalink

    Mit dem Anliegen im Artikel (Infrastruktur erhalten und auf Erneuerbare umbauen) bin ich weitgehend einverstanden. Was mich jedoch stört, dass wieder von Wachstum die Rede ist. Wir brauchen vielleicht eine etwas bessere Verteilung des Reichtums, aber ganz bestimmt kein Wachstum, auch wenn es angeblich «gesund» ist.

    Es ist mehr als genug für alle da. Mit einer sinnvollen Verteilung ginge es uns allen mehr als gut genug. Mit Verteilen ist natürlich auch gemeint: in unsere Infrastruktur investieren.

    Aber Wachstum? Nein, das brauchen wir, zu den reichsten auf dieser Erde gehörend, ganz bestimmt nicht!

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