Kommentar
Griechenlandkrise: Kooperation statt Konfrontation
Am 25. Januar brachten die Wahlen in Griechenland das Bündnis Syriza an die Macht. Trotz seines Sieges werden die Geschicke des Landes seitdem nicht von Athen, sondern weiterhin von Washington, Berlin und Brüssel aus gesteuert. Und nicht nur das: Die seit 2010 andauernde Zwangsverwaltung Griechenlands durch die Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission ist sogar noch verschärft worden.
Nachdem der IWF bereits im Dezember 2014 seine Zahlungen an Griechenland ausgesetzt hatte, zog die EZB im Februar 2015 nach. Sie akzeptiert seitdem keine griechischen Staatsanleihen und keine vom griechischen Staat garantierten Banken-Bonds als Sicherheiten mehr. Zudem droht die EU-Kommission dem Land immer wieder mit dem Rauswurf aus der Eurozone.
All diese Massnahmen zielten von Anfang an darauf ab, die neue Regierung unter Druck zu setzen, die arbeitende Bevölkerung einzuschüchtern und einen Keil zwischen beide zu treiben. Dass dies bisher weitgehend geglückt ist, liegt allerdings nicht nur an der Härte der Troika, sondern auch an der Politik der Syriza-Regierung.
Doppeltes Spiel der Syriza-Regierung
Ungeachtet ihrer Zusage, die Austeritätspolitik zu beenden, haben Premier Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis seit ihrer Wahl nicht etwa auf Konfrontation, sondern auf Kooperation mit Griechenlands Zwangsverwaltern gesetzt. Allen markigen Sprüchen vor der Wahl zum Trotz verfolgen sie seit dem 25. Januar eine doppelte Strategie: Während sie den Menschen in Griechenland weiterhin Versprechen machen (die sie nicht einhalten werden), zeigen sie der Troika gegenüber Unterwürfigkeit (ohne deren Forderungen erfüllen zu können).
Das Ergebnis: Die Troika weicht keinen Millimeter von ihrer bisherigen Linie ab. Sie besteht mit kompromissloser Härte darauf, dass die arbeitende Bevölkerung und die Armen auch weiterhin für die durch Banker und Politiker angerichteten Schäden aufkommt. Aus ihrer Warte betrachtet, ist dieser Kurs sogar folgerichtig, denn der Degenerationsprozess des Weltfinanzsystems hat inzwischen ein Stadium erreicht, in dem Reformen in einzelnen Bereichen zwangsläufig die Gefahr eines Einsturzes des ganzen Gebäudes mit sich bringen.
«Rettungspakete» für die Finanzindustrie
Seit 2008 wird versucht, die durch die Bankenrettung entstandenen Löcher in den Staatshaushalten zu stopfen, indem zum einen die arbeitende Bevölkerung mittels Austeritätsprogrammen zur Kasse gebeten wird, zum anderen Unmengen an Geld gedruckt und der Finanzindustrie zu Nahe-Null-Zinsen zur Verfügung gestellt werden – angeblich, um die stagnierende Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Statt dieses Geld aber in Form von Investitionskrediten zu vergeben, wird es von den Finanzinstitutionen zur Spekulation an den Aktien-, Anleihe- und Währungsmärkten benutzt. Die Folge sind riesige Blasen am Anleihenmarkt, an den Aktienbörsen und im Immobiliensektor.
Das einzige Mittel, um diese Blasen nicht platzen zu lassen, besteht darin, das sich immer schneller drehende Spekulations-Karussell auf Biegen und Brechen in Gang zu halten. Dass das in Griechenland bisher gelungen ist, lässt sich vor allem der Doppelstrategie der Syriza-Regierung zuschreiben: Sie hatte bei der Wahl im Januar nur deshalb so viele Stimmen auf sich vereinigen können, weil sie den Menschen ein radikales Ende der Austeritätspolitik versprach. Die vielen Solidaritätsbekundungen vom Rest des Kontinents zeigten, wie viel Hoffnung die Menschen auch in anderen Ländern in Syriza setzten.
Nach der Wahl die Ernüchterung
Doch schon wenige Tage nach der Wahl wurden die hohen Erwartungen zum ersten Mal gedämpft. Dass Syriza eine Koalition mit den rassistischen rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen einging, stiess weitgehend auf Unverständnis. Die danach von ihren führenden Funktionären ständig wiederholten Bekundungen, man wolle mit der Troika kooperieren und sämtliche durch Spekulation entstandenen Schulden Cent für Cent zurückzahlen sowie das Herausschieben der Verwirklichung ihrer Wahlversprechen kostete weitere Sympathien.
Dass die Syriza-Regierung inzwischen aber in die Kassen der Rentenversicherung, der Krankenkassen und öffentlicher Betriebe, darunter sogar Hospitäler und Schulen, greift, um Kredite an die Verursacher der griechischen Notlage zurückzuzahlen, dass sie Steuern erhöht, hohe Rüstungsausgaben duldet, Bargeldzahlungen einschränkt und selbst einen weiteren Sozialabbau entgegen ihrer Wahlversprechen nicht mehr ausschliesst, hat nicht nur viele Anhänger der Bewegung in Griechenland schockiert, sondern auch zu einer Welle der Ernüchterung im Ausland geführt. Man erinnere sich nur daran, mit welchen Vorschusslorbeeren Syriza Ende Januar von Podemos in Spanien begrüsst wurde und wie deren Führung den Beginn «einer neuen Epoche» in Europa ausrief. All das ist inzwischen Schnee von gestern.
Vermeintlicher Gegner wird zum Helfershelfer der Troika
Die Syriza-Politik der vergangenen Monate lässt sich in drei aufeinanderfolgende Phasen unterteilen: Zunächst hat das Bündnis sich mit falschen Versprechen an die Spitze des Widerstandes gegen die Austeritätspolitik gesetzt. Dann hat es die Menschen durch seinen Zickzack-Kurs sowie in sich widersprüchliche politische Aussagen verwirrt und verunsichert. In der dritten Phase arbeitet es immer unverhohlener mit der Troika zusammen, plant bereits die Durchsetzung von Arbeitsmarktreformen, diskutiert Rentenkürzungen sowie eine Senkung des Mindestlohnes und hat mit der Privatisierung von Staatsbetrieben begonnen. Ideologisch verbrämt wird dieser politische Offenbarungseid mit der Begründung, man habe ja Widerstand leisten wollen, sei aber an der Härte der Gegenseite gescheitert.
Dass Syriza sich im Verlaufe der vergangenen dreieinhalb Monate vom vermeintlichen Gegner zum Instrument und zum Helfershelfer der Troika entpuppt hat, hat auch dem Widerstand gegen die Sparpolitik in anderen europäischen Ländern empfindlich geschadet. Die Hoffnung der spanischen Bevölkerung, dass mit Podemos im Schlagschatten von Syriza ein neuer Wind in Europa wehen könnte, ist weitgehend verpufft. Es ist kaum noch damit zu rechnen, dass die Wahlen im Herbst zu dem bis vor Kurzem vorausgesagten Triumph der Podemos-Bewegung führen werden.
Bei aller Ernüchterung lässt sich aber auch feststellen, dass Syriza durch die Enthüllung ihres wahren Charakters einen entscheidenden Beitrag zu einem extrem wichtigen politischen Klärungsprozess in Europa geleistet hat: Es war noch nie so offensichtlich, dass Appelle an das menschliche Gewissen von Troika-Technokraten vollkommen sinnlos sind und dass eine menschenwürdige Zukunft des Kontinents nicht durch Kooperation mit der Troika, sondern einzig und allein durch die Konfrontation und den entschlossenen Kampf gegen das Bündnis aus EU, EZB und IWF möglich ist.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Ernst Wolff, 1950, wuchs in Südostasien auf, ging in Deutschland zur Schule und studierte in den USA. Er arbeitete als Journalist und Drehbuchautor. Die Wechselbeziehung von Wirtschaft und Politik, mit der er sich seit vier Jahrzehnten beschäftigt, ist für ihn von höchster Bedeutung.