Ein Smartphone auf Rädern
Der amerikanische Consumer Report ist einer der härtesten Tests, den ein Auto bestehen muss, will es eine Chance haben, auf dem US-Markt zu bestehen. Tesla setzt bei diesem Test buchstäblich neue Massstäbe. Kürzlich wurde das Model S mit 103 Punkten ausgezeichnet – obwohl eigentlich nur 100 möglich sind. Doch die Jury war von der Limousine derart begeistert, dass sie vom «besten Auto» sprach, das ihr je unter die Augen gekommen sei, von einem «Meilenstein in der automobilen Geschichte».
Nicht schlecht für ein Auto, das bis vor Kurzem noch als Spielzeug für IT-Milliardäre im Silicon Valley und Prestigewagen für Yuppies im sonnigen Kalifornien galt. Nicht schlecht auch für ein Auto, für das es vor ein paar Jahren noch eine «Death Watch» gab, einen Blog, der die Tage zählte, bis das Unternehmen bankrott sein würde.
Inzwischen ist Tesla ein ernst zu nehmender Player in der Autoindustrie geworden. Der amerikanische Emporkömmling verbreitet nun Angst und Schrecken nicht nur in Detroit, sondern auch bei den deutschen Herstellern der Luxusklasse. Es wird erwartet, dass Tesla im laufenden Jahr 55’000 Autos absetzen wird, rund ein Viertel so viel wie Porsche. An der Börse ist das Unternehmen derweil halb so viel wert wie BMW.
Ziel: Ein massentaugliches Elektroauto
Heute kostet ein Tesla noch viel Geld, ohne eine sechsstellige Summe läuft nichts. Doch das dürfte sich ändern. Elon Musk, die treibende Kraft hinter Tesla, hat ganz andere Ziele. Sein Biograph Ashlee Vance zitiert einen früheren Pressesprecher, der erklärt, dass es gemäss Musk «beim Bau des Autos nicht um einen Börsengang oder den Verkauf an ein paar reiche Leute ging, sondern dass Tesla die Vorstellung von Autos verändern wollte». Musk selbst betont immer wieder, sein Ziel sei es, ein massentaugliches, erschwingliches Elektroauto für Herr und Frau Jedermann herzustellen.
Eigentlich müsste man Musk für verrückt erklären. Die Autoindustrie ist nach wie vor die mächtigste der Welt, und Toyota, VW und GM haben nicht wirklich auf einen jungen IT-Freak aus Südafrika gewartet, der ihr Geschäft auf den Kopf stellt. Doch seine Vision ist in greifbare Nähe gerückt. Das Model S wurde nicht nur zum besten Auto der Welt gekürt, es ist längst zum Statussymbol der umweltbewussten Gentlemen geworden. Der Tesla Model X, der jetzt in Frankfurt vorgestellt wird, lässt Porsche und Ferrari alt aussehen.
Grosse Risiken
Das massentaugliche Model 3 könnte dereinst den Durchbruch bedeuten. Musk will mit ihm bestehende Giganten wie BMW direkt angreifen. Dabei nimmt er grosse Risiken in Kauf. In der Wüste von Nevada lässt er derzeit für fünf Milliarden Dollar eine riesige Fabrik für Lithium-Batterien bauen. Gleichzeitig ist Tesla dabei, ein Netz von Elektrotankstellen zu errichten, wo man unterwegs gratis auftanken kann.
«Die Risiken, die Tesla eingeht, sind aussergewöhnlich», sagt der Autoexperte Max Warburton in der «Financial Times». «Es ist nicht nur das derzeit am meisten vertikal integrierte Tech-Unternehmen, es ist die am meisten vertikal integrierte Autofabrik seit Ford in den 1920er Jahren.»
Was ist damit gemeint? Im Werk River Rouge, dem legendären Gründungswerk von Henry Ford, wurden einst – verkürzt ausgedrückt – am Eingang Holz und Stahl angeliefert, und am Ausgang rollten fertige T-Models vom Band. Alles – vom Chassis über den Motor bis zur Innenausstattung – wurden inhouse gefertigt.
Globale Lieferkette ist anfällig
Eine moderne Autofabrik funktioniert völlig anders. Die Fertigung ist über eine so genannte Supply Chain auf den ganzen Globus verteilt. Der Scheibenwischer etwa kommt aus Thailand, das Chassis aus der Slowakei und die Bremsbeläge aus China. Bei VW und Toyota beispielsweise stammen mittlerweile 75 Prozent der einzelnen Bestandteile aus dieser globalen Supply Chain und werden in den einzelnen Fabriken just in time zusammengebaut.
Diese Fertigungsmethode hat zwar grosse Kosteneinsparungen, aber sie hat auch bedeutende Nachteile gebracht. Ein Unwetter in Thailand kann beispielsweise den wichtigsten Scheibenwischerhersteller lahmlegen und damit auch grosse Teile der weltweiten Autoherstellung in Schwierigkeiten bringen. Auch die Lieferanten haben sich nämlich zu monopolartigen Gebilden zusammengeschlossen und versorgen die unterschiedlichen Hersteller mit ihren Produkten. Fällt ein solcher Lieferant aus, steht die ganze Kette still.
Das hat nicht nur dazu geführt, dass viele Autos der verschiedenen Hersteller kaum mehr voneinander zu unterscheiden sind – die Kleinwagen beispielsweise oder die derzeit so beliebte Crossover-SUVs. Die Hersteller sind in grosse Abhängigkeit von ihren Lieferanten geraten. Das kann zu grotesken Zuständen führen. Als beispielsweise nach der Finanzkrise GM und Chrysler vor dem Bankrott standen, plädierte der CEO von Ford vor dem US-Kongress dafür, die beiden zu retten. Er tat dies nicht aus Mitleid mit den Kollegen, es ging ihm vielmehr darum, seine eigene Supply Chain zu retten, die ohne die beiden Konkurrenten zusammengekracht wäre.
Was Tesla von Apple gelernt hat
Tesla kann und will nicht auf die globale Supply Chain der Autoindustrie zurückgreifen. Das hat einen einfachen Grund: Tesla verkauft nicht Autos im herkömmlichen Sinn, es vertreibt ein Smartphone auf Rädern. Ashlee Vance fasst dies wie folgt zusammen: «(Tesla) verkauft ein Image, ein Gefühl, an der Zukunft teilzuhaben, und eine Beziehung. Apple hatte dasselbe Jahrzehnte zuvor mit dem Mac und dann wieder mit dem iPod und iPhone getan. Selbst Kunden, die keine religiöse Zuneigung zu Apple hegten, wurden in sein Universum gesaugt, wenn sie ihre erste Hardware gekauft und Software wie iTunes heruntergeladen hatten. Eine solche Beziehung lässt sich kaum schaffen, wenn man nicht einen möglichst grossen Teil des verkauften Lifestyle selbst kontrolliert.»
Nun wird auch klar, weshalb Tesla zu einer eigentlichen Gefahr für die traditionelle Autoindustrie geworden ist: Es ist weit mehr als ein supergutes Autos, es ist ein Geschäftsmodell, das im Begriff ist, das Hergebrachte zu disruptieren, wie man heute zu sagen pflegt. Der Tesla wird wieder vertikal integriert gebaut – was höchste Qualität garantiert.
Als Elektroauto ist er viel weniger verschleissanfällig und kann wie ein Smartphone mit regelmässigen Updates auf den neuesten Stand gebracht werden. Schliesslich sorgt der Hersteller selbst dafür, dass der Wagen dereinst flächendeckend mit Gratis-Treibstoff versorgt wird. Kein Wunder, kann es sich Tesla leisten, keine Werbung zu machen, keine Discounts zu gewähren und ein eigenes Händlernetz in Supermärkten aufzubauen.
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Dieser Artikel ist auf watson.ch erschienen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Philipp Löpfe war früher stellvertretender Chefredaktor der Wirtschaftszeitung «Cash» und Chefredaktor des «Tages-Anzeiger». Heute ist er Wirtschaftsredaktor von «Watson.ch».