Kommentar
Deutschland: Fragwürdige Argumente gegen Trumps Vorwurf
Die Auseinandersetzung um die chronischen Deutschen Exportüberschüsse ist alt. Anders als seine Vorgänger will Donald Trump nun aber Nägel mit Köpfen machen und droht der EU mit Strafzöllen. Bisher hatte sich Deutschland mit dem Argument gewehrt, seine Exportüberschüsse seien das alleinige Ergebnis seiner unternehmerischen Tüchtigkeit und habe gar nichts mit Lohnzurückhaltung, Hartz 4 und dem Niedriglohnsektor zu tun. Doch seit etwa zwei Wochen kämpft Berlin plötzlich mit einem ganz anderen Argument: Es gibt gar keine Überschüsse.
Dieses neue Kampfargument verdankt Berlin dem Münchner Ifo-Institut. Dieses hat eine Statistik der amerikanischen «Bureau for Economic Analysis» BEA ausgegraben, aus der hervorgeht, dass die Überschüsse der Euroländer im Warenverkehr durch Defizite bei den Dienstleistungen und vor allem mit den Primäreinkommen aus Kapitalerträgen mehr als ausgeglichen werden. Insgesamt falle der Saldo der Leistungsbilanz für die USA positiv aus.
Am vergangenen Freitag hat das Ifo-Institut mit den allerneuesten Zahlen aus den USA nachgedoppelt: «USA erneut mit Überschuss gegenüber der EU». Danach haben die USA im ersten Quartal im Verkehr mit der EU Einnahmen von 253 und Ausgaben von 251 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Worüber also regt sich Donald Trump auf?
Die Zahlen des BEA stehen im Gegensatz zu den bisher verwendeten Statistiken der EU. Danach erzielt die EU auch bei den Dienstleistungen und beim Primäreinkommen leichte Überschüsse. Klar ist hingegen bei beiden Statistiken, dass die EU jährlich für rund 150 Milliarden Dollar mehr Waren in die USA exportiert als umgekehrt von den USA nach Europa zurückfliessen.
Doch mal angenommen, die US-Zahlen stimmen und das US-Defizit im Warenhandel wird tatsächlich durch Überschüsse bei den Dienstleistungen und bei den Primäreinkommen ausgeglichen. Wäre damit Trumps Dumping-Argument tatsächlich vom Tisch?
Um die Frage zu beantworten, muss man sich die ökonomische Realität hinter den Ziffern vor Augen führen. Die geht so: Deutschland betreibt bewusst eine Politik der Lohnzurückhaltung, was seine Währung innerhalb der Eurozone real abwertet und dje Exporte real verbilligt. Nach der Finanzkrise von 2008 müssen die anderen Euro-Länder nachziehen. Damit sind die Lohnkosten in der ganzen Eurozone, vor allem aber in Deutschland relativ tief. Die US-Unternehmen lassen sich diese Chance nicht entgehen und verlagern ihre Produktion nach Deutschland. Als Folge davon steigen die deutschen und europäischen Exportüberschüsse gegenüber den USA stark an.
Dank den tiefen europäischen Löhnen und Steuern erzielen die US-Unternehmen mit ihren europäischen (deutschen) Töchtern hohe Gewinne. Das war ja von Anfang an auch der Zweck der Auslagerungen bzw. der Investitionen im Euroraum. Diese Gewinne holen sie teils als Dividende, teils als Zinsen in die Heimat zurück. Die entsprechenden Beträge werden in der Dienstleistungsbilanz verbucht. Aber sie lassen sich von ihren Töchtern auch Gebühren für die Nutzung von Patentrechten oder für finanzielle Dienstleistungen bezahlen. Das fliesst in die Dienstleistungsbilanz ein.
Man kann das – nur leicht polemisch – auch so formulieren: Die US-Unternehmen stecken sich das in die Tasche, was die deutschen Politiker den deutschen Arbeitnehmern weggenommen haben. Darunter leiden aber auch die Arbeitnehmer und die Arbeitssuchenden in den USA, deren Jobs nach Europa abgewandert sind. Dass im Gegenzug Geld in die USA zurückfliesst, ist für sie kein Trost, denn es ist ja nicht ihr Geld. Fazit: Trump hat wenigstens in diesen Punkt nicht ganz unrecht.
Bleibt die Frage, warum das fragwürdige Argument von Ausgleich des Handelsdefizits durch Kapitalerträge in Deutschland so grossen Widerhall findet. Das dürfte daran liegen, dass nicht nur die amerikanischen, sondern auch die deutschen Unternehmen von Lohndumping und von den Überschüssen profitieren – zumindest dann, wenn sie im Export tätig sind.
Professor Heiner Flassbeck, einst Staatssekretär im deutschen Finanzministerium, hat eine andere Erklärung: Das offizielle Deutschland will diese Zusammenhänge einfach nicht verstehen. «Ich erinnere mich lebhaft daran, dass Larry Summers vor etwa zwanzig Jahren im Rahmen eines G 7 Treffens zu mir sagte, die US-Administration habe eigentlich seit Beginn der achtziger Jahre die Hoffnung aufgegeben, einmal auf eine deutsche Administration zu treffen, mit der man ernsthaft internationale Fragen wie den Ausgleich der Handelsbilanzen oder die Anregung der globalen Konjunktur diskutieren könne.» An dieser Konstellation, so Flassbeck, habe sich bis heute nichts geändert.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Immer wieder interessant, wenn Herr Vontobel uns argumentativ auf die Sprünge hilft. Nur ein Wort in solchen Texten stösst mir jeweils auf: «Arbeitnehmer». Gerade, wenn es darum geht, was diesen «Nehmern» so alles weggenommen wird, beisst sich für mich die Schlange in den Schwanz.
Genial, lieber Werner Vontobel, diese Klärung zum Aussenhandel zwischen Deutschland + den USA (bzw. der EU + den USA).
– Als Nicht-Ökonom verzeihe ich mir ein Stück weit, dass ich der Mär vom deutschen Arbeitsethos aufsass + nicht genauer hinsah …
– Was ist aber mit den Tausenden von Ökonomen hier in West-Europa + dort in den USA, welche sich Jahrzehnte-lang diese Bären aufschwatzen liessen (es sind ja mehrere Bären ‹vor Schröder› + ’nach Schröder› im Spiel).
So gesehen wäre es gut, es käme zu einem radikalen Wechsel in der deutschen Führung. Nur: Ein Wechsel zu verstärkt konservativen Kräften, wie er sich abzeichnet, würde wohl kaum helfen, die Debatte zu versachlichen, (hier in West-Europa mit den EU-Süd-Staaten als Opfer + dann mit den USA) endlich über saubere Zahlen zu reden …
Man darf aber nicht vergessen, dass das System der Mehrwertsteuer eine implizite Exportsubvention ist, welche 2071 ja auch zur «Nixon-Surtax» von 10% auf europäische Waren führte.
Man kann natürlich auch Wechselkurse manipulieren, um Handelsvorteile zu suchen, wobei nicht immer klar ist, ob eine Abwertung in dieser Hinsicht wirklich etwas bringt.
In meiner These habe ich 1977 die Ansicht vertreten, dass man so zwar Arbeitsvolumen, nicht aber Geldflüsse verschieben kann.
Was die Dividenden der US-Firmen betrifft, darf daran erinnert werden, dass das US-Steuersystem eine Steuer von 30% auf repatriierte Dividenden erhob, so dass die US-Firmen diese Gelder lieber in Europa reinvestierten oder durch Transferpricing und Patentgebühren usw. direkt in ihre US-Buchhaltung zu integrieren versuchten.
Die ganze Evolution ist das Zusammenspiel von Faktoren beiderseits des Atlantik.
Interessant ist hier auch, dass US-Firmen im Ausland investiert haben und überteuert nach den USA exportieren, um ihre Gewinne in steuerlich günstigeren Ländern anfallen zu lassen. Die Pharmaindustrie ist ein gutes Beispiel, wie das von Partnern beidseits des Atlantik unisono gehandhabt wird. Es ist denkbar, dass Trumps Steuerreform hier die Akzente etwas neu setzt, wenn nicht unsere eigene Steuerreform den «Vorteil» wieder zurückholt.
Die Frage war aber doch immer die: Haben die Deutschen einen Handelsüberschuss weil die Mercedes «zu teuer» oder weil sie «zu billig» sind.
Die Antwort ist noch offen.