Chinesen atmen kanadische Frischluft aus Dosen
Verschmutzte Luft ist in den letzten Monaten zum grossen medialen Thema gereift. Im Dezember haben die Behörden in Peking zweimal die höchste Alarmstufe «Rot» ausgerufen. Pfui Teufel! Doch nicht nur in Peking herrscht dicke Luft. Auch in Delhi. Und Jakarta. Und Bangkok. Und, und, und. Neulich war von Smogalarm in Italien zu lesen. Kurz danach versank die iranische Hauptstadt Teheran im Smog. Weitere Städte kamen hinzu.
Frische Luft als Luxusgut
Wie wir in Europa wissen, ist der Kampf für bessere Luft mühsam und erfordert viel Zeit. Jahrzehnte. Deshalb bringen findige Unternehmer Produkte auf den Markt, die das Atmen erleichtern. Kleine, feine Luftreinigungsmaschinchen verbessern beispielsweise die Luft in den Gebäuden der chinesischen KP- und Regierungszentrale Zhongnanhai, der neuen Verbotenen Stadt in Peking. Dort sollen weit über tausend Luftreiniger zum Stückpreis von rund 8000 Yuan – umgerechnet über 1200 Franken – den Parteiführern das tägliche Atmen und Regieren erleichtern. Auch reiche Chinesinnen und Chinesen schaffen sich solche luxuriösen Geräte an. Der Laobaixing, der Durchschnitts-Chinese und Ihr Korrespondent hingegen müssen sich mit Atemmasken zum Stückpreis ab 32 Yuan (rund 5 Franken) begnügen.
10 Rappen für einen Atemzug aus der Dose
Jetzt hat auch das findige kanadische Unternehmen Vitality Air das Geschäft mit der sauberen Atemluft entdeckt. Es verkauft in China frische Luft in Dosen. Nicht irgendwelche Luft, sondern glasklare Luft aus den kanadischen Rocky Mountains. Die Luft aus dem Banff Nationalpark ist nach Angaben von Vitality Air nicht nur die «reinste und purste», sondern sie soll auch «natürliche Energie» enthalten. Eine Dose mit 7,7 Liter gepresster Frischluft – natürlich «hand-bottled» – reicht für zirka 150 tiefe Atemzüge und kostet stolze 100 Yuan (rund 15 Franken).
Die erste Ladung mit 500 Dosen Luft für den chinesischen Markt war sofort ausverkauft. Eine weitere Lieferung von 4000 Dosen ist inzwischen eingetroffen und weitere werden sicher folgen. Abnehmer sind nach Angaben der Produzenten vor allem Nachtclubs, Nobelrestaurants und internationale Schulen. Die jedenfalls können sich das leisten. Die Gewinnmarge, wen wundert es, soll recht hoch sein.
Kreative Geschäftsideen
Die Geschäftsidee mit der Dosenluft ist in China nicht neu. Bereits vor zwei Jahren hat der chinesische Unternehmer Chen Guangbiao chinesische Frischluft – ja, die gibt es tatsächlich noch – in Dosen abgefüllt und für 5 Yuan (80 Rappen) mit einigem Erfolg unters Volk gebracht. Der Künstler Liang Kegang wiederum hat sich vom Smog inspirieren lassen und hat als singuläres Kunstwerk ein Glas mit Luft aus Südfrankreich gefüllt. Kostenpunkt: 6500 Yuan (1000 Franken). Eine australische Firma hingegen hatte nur kurzzeitig Erfolg. Das Geschäftsmodell: Mit Luft wurde auch Sonnenschein in die Dose gepresst…
Doch die Büchsenluft aus den Rocky Mountains ist keine Weltneuheit. Bei weitem nicht. Es gibt viele andere Beispiele. Besonders empfehlenswert die «Original Wiener Luft», die es seit 2012 im Geschäft «decoo» an der Stiftgasse im 1. Wiener Bezirk zu kaufen gibt. Zwölf Varianten sind erhältlich, so zum Beispiel Heurigenluft, Kaffeehausluft, Praterluft, Würstelstandluft, Bühnenluft, Beislluft, Sachertorteluft oder Backhenderlluft. Für Politiker besonders empfehlenswert die «Parlamentsabfüllung Heisse Luft».
Freie Berliner Luft
Schon Jahrzehnte zuvor gab es Büchsenluft mit politischer Konotation. Die «Original Berliner Luft» nämlich. Sie wurde auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in 180ccm-Dosen produziert und für 1,50 D-Mark von Kiosken und Souvenir-Geschäften an den Mann und die Frau gebracht. Es war das Jahr 1961, als US-Präsident John F. Kennedy beim Besuch der Frontstadt des Kalten Krieges die berühmten Worte sprach: «Ich bin ein Berliner». Die Büchsen-Produzenten schrieben damals: «Möge nie der Tag kommen, an dem es die freie Berliner Luft nur noch in diesen Dosen gibt.»
Die freie Rocky-Mountain-Luft wird wohl die Harmonie in China kaum stören. Die amtliche englischsprachige Regierungszeitung «China Daily» berichtete jedenfalls relativ unaufgeregt über die Dosenluft aus dem kapitalistischen Nordamerika. Die chinesischen Reaktionen auf die pure Luft aus dem kanadischen Nationalpark beschrieb die Zeitung so: «Einige denken, dass das Produkt nichts anderes als ein Marketing-Trick ist, und beschreiben es als eine ausländische Verhöhnung der chinesischen Umwelt-Problematik.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.
Dosenluft ist auch in der Schweiz seit Jahren ein Renner für die Touristen. So gesehen in einem Souvenirshop in Luzern, wobei die Bezeichnung Swiss Air durchaus doppeldeutig ist…