Boni-Exzesse: «Diktatur des kurzfristigen Denkens»
Red. Rudolf Strahm war 1991–2004 für die SP im Nationalrat und wirkte von 2004–2008 als eidgenössischer Preisüberwacher. Das Interview mit Rudolf Strahm führte der Schriftsteller Daniel Ganzfried. Der Text ist zuerst in der «Schweizer Familie» Nr. 20/2017 vom 18. Mai 2017 erschienen.
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Daniel Ganzfried: Herr Strahm, derzeit sorgen Boni-Exzesse wieder für Schlagzeilen. Was geht es die Öffentlichkeit an, wie eine private Unternehmung ihre Führungsleute bezahlt?
Rudolf Strahm: Die Boni sind Ausdruck einer bestimmten Manager-Kultur, die auf das ganze Wirtschaftssystem durchschlägt. Sie erzeugen die Diktatur des kurzfristigen Denkens. Die Entschädigungen werden jeweils aufgrund der Zahlen vom vorigen Jahr ausbezahlt.
Rudolf Strahm
Was ist daran so problematisch?
Der Manager ist stets in Versuchung, alles zu unternehmen, um die Bilanzziffern für die Boniberechnung zu frisieren. Dazu gehören unter anderem kurzfristige, hochriskante Geschäfte. Diese Kultur hat auch soweit geführt, dass in den grossen Firmen der Schweiz die durchschnittliche Verweildauer eines CEOs noch bei ganzen 4,5 Jahren liegt. Das Motto heisst, möglichst schnell reinkommen, abschöpfen und weiter ziehen. Aber sowohl die Volkswirtschaft wie auch das einzelne Unternehmen brauchen langfristiges, nachhaltiges Denken und Handeln.
Woher kommt denn die Entrüstung über die hohen Boni?
Es gibt bis heute keinen statistisch nachgewiesenen Zusammenhang zwischen der Höhe der Boni und dem Geschäftserfolg einer Firma. Die Crédit Suisse zeigt es grad wieder: Ein Verlust von ungefähr fünf Milliarden in zwei Jahren, und Tidjane Thiam, der oberste Chef, verdient einmal 10, einmal 14 Millionen Franken an Boni. Das zersetzt die Arbeitsmoral in der Firma, aber auch in ganzen Branchen. Jeder muss sich als Idiot vorkommen, der noch meint, Leistung lohne sich. Wir sehen ein absurdes System am Werk mit negativen Auswirkungen auch auf die Volkswirtschaft.
Was sind das konkret für Auswirkungen?
Die Diktatur des kurzfristigen Denkens führt dazu, dass ein Unternehmen nicht mehr auf Wachstum getrimmt wird, sondern im Gegenteil eher auf Schrumpfung. In zirka 50 Prozent der Fälle sind die Boni ausbezahlt worden, weil die Unternehmungen heruntergefahren wurden. Das heisst Entlassungen, Kapazitätsabbau, Firmenverkäufe und dergleichen. Nur etwa ein Viertel der Boni-getriebenen Unternehmungen haben überhaupt Wachstum geschaffen. Kurz gesagt: Bonus-gierige Manager neigen durch ihr kurzfristiges Verhalten zu schädlichen Entscheidungen.
Hat dieses Verhalten 2008 zur Finanzkrise geführt?
Ja, und die Weltgemeinschaft zahlt bis heute für die Sanierung der Schäden. Dabei ist zu bedenken, dass vor der Finanzkrise 2008 die Boni noch viel höher waren. Crédit Suisse und UBS haben vor der Finanzkrise insgesamt weltweit je zwischen 8 und12 Milliarden Dollar pro Jahr ausbezahlt. Pro Jahr! Das wurde verteilt auf vielleicht ungefähr 3000 Köpfe. Allein Herr Grübel, der von 2003 bis 2007 Konzernchef der Credit Suisse war, soll zirka 500 Millionen aus der Bank gezogen haben.
Davon profitiert der Staat. Die Boni-Bezüger bringen ihr Geld wieder in Umlauf und bezahlen Steuern auf ihren Einkünften.
Oft eben nicht. Zum ersten: Viele Manager tätigen mit dem überflüssigen Geld wieder spekulative Geschäfte. Einfach für sich selber. Zum zweiten: Die Steuern müssten höher sein, damit der Staat effektiv etwas vom brachliegenden Reichtum abschöpfen könnte. Aber die Progression endet bei uns ja bei 750’000 Franken Einkommen.
Wie erklären Sie sich, dass ein Mensch, der bereits viel Geld hat, immer mehr und mehr will.
Hier wirkt die Treiberdynamik des neureichen Geldadels. Ein kleiner Kreis von Leuten tut sich an den grossen Unternehmen gütlich. In dieser Kaste ist jeder nur so viel wert, wie er Boni bekommt. Es gibt Listen, die zeigen, wer rauf und wer runter gerutscht ist. Im Moment hält sich Sergio Ermotti von der UBS mit 14 Millionen an Gesamtvergütungen zuoberst. Wer nur noch mit einstelligen Beträgen aufwarten kann, muss schon fast den Golfschläger abgeben. Die Selbsteinschätzung und das Selbstwertgefühl richtet sich in dieser Szene nach den publizierten Boni.
Man hat den Eindruck, frühere Generationen von Bankiers hätten sich da anders verhalten. Wie kam es zu diesem Kulturwandel?
Viele der heutigen Manager hatten sich im Konzern hochgearbeitet. Sie waren einmal gute Fachkräfte. Aber als Aufsteiger sind sie dann der Verführung des kurzfristigen Reichtums erlegen. Die früheren Banker, von denen sich die meisten noch auf eine Familientradition stützten, haben kaum mit ihrem Reichtum geprotzt. Sie definierten sich über die Tradition. Wie etwa die Bärs von der Bank Julius Bär in Zürich. Die hatten zwar zwei Luxusautos, aber damit die Nachbarn das nicht merkten, waren es zwei genau gleiche, mit gleicher Farbe. Die neuen Reichen fokussieren sich auf das Geld an sich als Massstab. Sie messen ihren «Marktwert» am Ranking der Spitzenverdiener.
Wie lässt sich gegen diese Mentalität vorgehen?
Der Staat muss klare Rahmenbedingungen setzen. Zum Beispiel, indem er die Entscheidverfahren in den Konzernen festlegt: Welche Rechte haben hier die Aktionäre, was für Befugnisse, Pflichten und Haftbarkeiten kommen dem Verwaltungsrat zu? Das muss im Aktienrecht festgelegt werden. Ein Staat, der das nicht macht, droht in der heutigen Zeit zur Bananenrepublik zu verkommen.
Warum?
Weil Grossinvestoren das Geld nicht dort anlegen. Die ganzen Fonds aus den Emiraten oder Asien, die Oligarchen, der Staatsfond von Norwegen, sie alle gehen heute dort hin, wo Rechtssicherheit besteht, mit klaren, strengen Spielregeln und Haftungsbestimmungen. Die brauchen Plätze wie Panama nur als Umgehungs- und Tarnungsmöglichkeit.
Ist ein Staat überhaupt berechtigt, mit Regulierungen die Privatwirtschaft zu bändigen?
Es sollte gelten: Wo der Staat im Krisenfall eingreifen muss, ist es auch gerechtfertigt, dass er klare Spielregeln setzt.
Können Sie diese Regeln konkret formulieren?
Da habe ich vier Vorschläge:
1. Boni werden vorab in einem Fonds deponiert und stufenweise erst nach fünf bis zehn Jahren ausbezahlt, wenn dann die Geschäftsergebnisse, die sie erwirtschaften, noch stimmen.
2. Sie dürfen nur noch in dem Masse steigen, wie auch die Dividenden rauf gehen.
3. Bei der Berechnung des Erfolges müssen konjunkturelle Faktoren rausgerechnet und auch Quervergleiche innerhalb der Branche beigezogen werden.
4. Weg mit den verschrobenen, pseudokomplexen, scheinexakten Bonus-Berechnungsmodellen, hinter denen sich die Manager und Vergütungsausschüsse verstecken, hin zu nachvollziehbaren, transparenten und verständlichen Methoden.
Geredet wird viel über Massnahmen gegen Boni-Exzesse, und doch hat man das Gefühl, es ändere sich wenig.
Ich bin da gar nicht so pessimistisch. Die Globalisierung erzwingt immerhin auch globale Spielregeln. Das Bankgeheimnis verschwindet. Das Haftungsrecht für Konzerne, wenn ihre Filialen in der dritten Welt krumme Touren machen, wird über kurz oder lang verschärft werden. Die Amerikaner haben von der Schweiz zum Beispiel verlangt, dass die Mutterbanken UBS und CS für die illegalen Geschäfte ihrer Töchter haften. Auch die Eigenmittelvorschriften werden verschärft, damit der Staat die Banken nicht retten muss, wenn diese in Finanznot geraten. Alle diese neuen Regeln kamen von aussen. Die Schweizer Regierung hatte nie die Kraft, selber das Haus in der Businesswelt in Ordnung zu bringen.
Welchen Einfluss hat die Stimmung in der Öffentlichkeit auf das Verhalten der Konzerne?
Die Zivilgesellschaft spielt eine immer wichtigere Rolle. NGOs wie Greenpeace, Amnesty International oder die Erklärung von Bern. Sie alle schauen den Konzernen auf die Finger und können dank der neuen Medien und Informationstechnologien Missstände sofort publik machen. Die Firmen müssen sich heute gut überlegen, ob ein kurzfristiger Gewinn den eventuellen Rufschaden wert ist.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
In dieser Angelegenheit schliesse ich mich den Ausführungen von Herrn Strahm an.
Das wird auch von Prof Marc Chesney in seinem Buch gut dargestellt .
Er zeigt dort auch die Vorteile der geringen Besteuerung der Ausgaben,
Mittels Besteuerung der elektronischen Finanztransaktionen, was sich in einem Vorteil für die Allgemeinheit auswirken dürfte, und nicht,
wie bei den Boni, ein Vorteil für wenige.
Löhne der Top-Kader reduzieren!
Es gibt Löhne ausserhalb jeden Anstandes. Diese haben weder mit der Leistung noch mit der Verantwortung etwas zu tun, sei es, dass Leute aus der «zweiten Reihe» mindestens gleich viel leisten wie die Top-Leute, sei es, dass «goldene Fallschirme» die Top-Leute vor den Auswirkungen falscher strategischer Entscheide schützen. Die Top-Kader der Grossunternehmungen schanzen sich international ihre feudalen Entschädigungen gegenseitig zu. Diese Feudalisierung der Wirtschaft muss international bekämpft werden wie das Bankgeheimnis. Da dieser Kampf Jahrzehnte dauern wird, ist es an den reichen Ländern wie der Schweiz, unilateral mit den ersten Einschränkungen dieser Lohnexzesse zu beginnen. Dies wäre ein Test, ob die Schweizer Wirtschaft wirklich schlechter geführt würde, wenn solche Lohnexzesse verhindert würden.
Was meines Erachtens fehlt ist die Erwähnung der Tatsache, dass auch Manager ihrerseits getrieben sind: Getrieben von den Kurserwartungen der Aktionäre. Und auch diese achten in ihrer Mehrheit nicht auf Nachhaltigkeit, sondern immer nur aufs laufende Quartal.
Ein Manager, der nicht den Quartalsgewinn maximiert, muss dann Kurseinbussen rechtfertigen und macht sein Unternehmen zum unterbewerteten Übernahmekandidaten. Also ist es nur folgerichtig, dass er kurzfristig denkt und handelt, und es ist nur folgerichtig, dass auch die Boni mehr oder weniger verbrämt genau dieses Handeln belohnen.
Ergo muss man meines Erachtens auch beim Aktienrecht ansetzen. Spekulationsgewinne müssen besteuert werden, und zwar um so höher, je kürzer eine Aktie gehalten wurde. Vielleicht analog zur Grundstücksgewinnsteuer, die ja auch in den ersten Jahren mehr einschenkt, um rein spekulative Käufe zu reduzieren.
Und natürlich müssten auch Einkommensteuern bei grotesk hohen Einkommen viel höher werden. In den USA war der Spitzensteuersatz in den 50er Jahren bei 90% (Für Jahreseinkommen über $400’000). Geschadet hat das der US-Wirtschaft damals nicht. Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Income_tax_in_the_United_States
Damit würde der Anreiz sinken, sich überhaupt so obszön bezahlen zu lassen.