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Iqos soll zum Erfolg werden – dafür scheut Philip Morris keinen Aufwand. © SRF

So rettet Philip Morris sein Milliarden-Geschäft

Marco Diener /  Immer weniger Leute rauchen. Philip Morris will aber weiterhin Geld verdienen. Dabei ist jedes Mittel recht.

2022 rauchten in der Schweiz knapp 24 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren. 1997 waren es noch gut 33 Prozent gewesen. Das teilte das Bundesamt für Statistik (BfS) kürzlich mit. Die Zahlen stammen aus der Gesundheitsbefragung, die seit 1992 alle fünf Jahre durchgeführt wird.

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Wessen Verdienst das ist? Fast könnte man meinen, dasjenige der Tabakindustrie. Der Tabakkonzern Philip Morris tut seit einiger Zeit so, als möchte er die Raucher von der Zigarette wegbringen. Auf der Philip-Morris-Website steht: «Wir haben eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, die von uns erwartet, dass wir verantwortungsvoll handeln.» Dann klopfen sich die Tabak-Bosse gleich selber auf die Schulter: «Genau das tun wir, indem wir eine rauchfreie Zukunft gestalten. Eine rauchfreie Zukunft ist zum Greifen nah.»

Wie eine «rauchfreie Zukunft» aussehen soll, schreibt Philip Morris nicht ausdrücklich. Aber es ist klar: mit Iqos. Das sind Geräte, die den Tabak erhitzen, ohne ihn zu verbrennen. Laut Philip Morris ist Iqos weniger schädlich als Zigaretten. Der Konzern verdient daran inzwischen mehr als an Marlboro.

12,5 Milliarden US-Dollar

Philip Morris trägt auf seiner Website dick auf: «Dank des Erfindungsreichtums und der Beharrlichkeit unserer Wissenschaftler und Tausender anderer sowie Investitionen von bisher über 12,5 Milliarden US-Dollar in wissenschaftsbasierte Innovationen, haben wir genau das getan und bahnbrechende Produkte entwickelt, die rauchfrei und zufriedenstellend sind.»

Die Forderungen von Philip Morris

Der Schritt weg von den herkömmlichen Zigaretten und hin zu alternativen Tabakprodukten lässt sich laut Philip Morris beschleunigen:

  • «…wenn Diskussionen und Debatten sich auf Daten und wissenschaftliche Erkenntnisse konzentrieren – und nicht auf Rhetorik und Dogmen, die erwachsene Raucher*innen in die Irre führen und sie davon abhalten, von Zigaretten, der schädlichsten Form des Nikotinkonsums, wegzukommen.»
  • «…wenn Regierungen Regelungen schaffen, die anerkennen, dass diese rauchfreien Produkte besser sind als das fortgesetzte Zigarettenrauchen und erwachsene Raucher*innen, die sonst weiterhin rauchen würden, dazu ermutigen, auf sie umzusteigen.»
  • «…wenn der Mensch – und nicht die Politik – im Mittelpunkt der politischen Entscheidungsfindung steht.»

Wie Philip Morris selber an der Umsetzung dieser Forderungen arbeitet, zeigt ein Artikel des Bureau of investigative Journalism (TBIJ). Das TBIJ hat mit Shiro Konuma gesprochen. Konuma war zuerst Arzt, dann Diplomat. Während zweier Jahrzehnte war er mit der Bekämpfung von Malaria, Ebola und Aids beschäftigt. Bis er zu Philip Morris wechselte.

Im April 2019 begann er seine Arbeit als Direktor für medizinische und wissenschaftliche Angelegenheiten beim japanischen Ableger von Philip Morris. Er sagt: «Ich glaubte an die rauchfreie Vision von Philip Morris.» Diese Vision hiess: Iqos. Philip Morris vermarktet die E-Zigarette als gesündere Alternative zum Rauchen.

Nur ein halbes Jahr

Angestellt wurde Konuma nach eigenen Angaben wegen seiner Kontakte zu Führungskräften. Doch kaum angestellt, merkte er, dass Philip Morris Zahlungen an eine Beratungsfirma geleistet hatte, die von einem Professor einer japanischen Eliteuniversität gegründet worden war. Kurz darauf stiess er auf eine zweite Zahlung im Umfeld einer weiteren Spitzenuniversität. Das Ziel der beiden Projekte: Wissenschaftliche Argumente für Iqos sammeln.

In einem Mail an die Chefetage von Philip Morris teilte er seine Bedenken mit. Gebracht hat es nichts. Noch in der Probezeit wurde er gefeuert. Philip Morris schreibt: «Seine Anschuldigungen wurden damals ernst genommen und gründlich untersucht. Seine Behauptungen über unrechtmässiges Verhalten wurden als unbegründet eingestuft.»

«Keine geringeren Risiken»

Nach einem vierjährigen Streit mit Philip Morris gelangte Konuma schliesslich via TBIJ an die Öffentlichkeit. Er berichtet von einer unabhängigen Studie, welche die Forschungsergebnisse von Philip Morris analysierte. Die Studie sei zum Schluss gekommen, dass «keine durchgängig geringeren Schadenrisiken» beim Konsum von Iqos gegenüber herkömmlichen Zigaretten bestehe. Verschiedene Wissenschaftler bestätigen, dass es keine unabhängige Studie gebe, die eine geringere Schädlichkeit belegen würde.

In einem geheimen Papier räumte selbst Philip Morris gegenüber der US-amerikanischen Food-and-Drug-Administration (FDA) ein: «Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass der Umstieg auf das Iqos-System das Risiko, tabakbedingte Krankheiten zu entwickeln, im Vergleich zum Rauchen von Zigaretten verringert.»

Verdeckte Zahlungen an Universitäten

TBIJ berichtet, dass sich der Tokioter Uniprofessor Hiromichi Kimura von 2015 bis 2019 jährlich 300’000 Dollar von Philip Morris habe zahlen lassen. Kimura ist auch an einem Beratungsunternehmen beteiligt. Der eine Auftrag von Philip Morris: Lobbyarbeit – mit dem Ziel, niedrige Steuersätze für Iqos in Japan zu erwirken. Der andere Auftrag: In seinem Institut einen Philip-Morris-Angestellten anzustellen, damit dieser «Forschungsergebnisse» mit dem Gütesiegel einer Spitzenuniversität veröffentlichen konnte. Kimura dementiert das.

Gegenüber seiner Universität legte Kimura laut TBIJ nicht offen, dass er Geld von Philip Morris bekommen hat. Er sagt: «Aufgrund des Teilzeitcharakters meiner Position bin ich nicht verpflichtet, der Universität eine gleichzeitige Beschäftigung zu melden.»

Nicht veröffentlicht

Via eine Firma, die auf Auftragsforschung spezialisiert ist, zahlte Philip Morris laut TBIJ im Jahr 2017 fast 450’000 Dollar an die Universität Kyoto. Der Ethikrat der Uni Kyoto merkte nicht, dass das Geld von Philip Morris stammte, und winkte das Forschungsprojekt durch.

Die Studie wurde nie veröffentlicht. Möglicherweise entsprachen die Ergebnisse nicht den Vorstellungen von Philip Morris.

Laut TBIJ versuchte Philip Morris, Einfluss auf Mediziner verschiedener Fachrichtungen zu nehmen – auch Fachärzte für Psychiatrie und Schmerztherapie. Und auf Politiker – mit dem Ziel, eine steuerliche Vorzugsbehandlung zu erreichen.

Zudem sollten Politiker darauf hinwirken, dass Iqos vom Rauchverbot in Innenräumen ausgenommen würde. Philip Morris legte einem Beamten im Gesundheitsministerium auch Dokumente vor, die beweisen sollten, dass sich Iqos kaum negativ auf die Luftqualität in Innenräumen auswirke und Passivraucher «keine schädlichen Auswirkungen» zu tragen hätten.

«Erhebliche Mengen» krebserregender Partikel

Eine unabhängige Studie kam zum gegenteiligen Schluss. Dass nämlich «erhebliche Mengen» krebserregender Partikel freigesetzt würden. Trotzdem gibt es in Japan nun Ausnahmen für die Verwendung erhitzter Tabakprodukte in Innenräumen.

Bevor Konuma an die Öffentlichkeit ging, wurde er beim japanischen Finanzministerium und der US-amerikanischen Börsenaufsicht vorstellig. Ohne sichtbares Ergebnis. Auch TBIJ bekam weder aus Japan noch aus den USA befriedigende Antworten.

«Schauen Sie sich Japan an!»

Letzten Herbst wetterte Philip-Morris-Chef Jacek Olczak gegen alle, die Bedenken wegen erhitzter Tabakprodukte äussern: «Anstatt Massnahmen zu ergreifen, um erwachsenen Rauchern den Zugang zu diesen besseren Produkten zu erleichtern, bleiben viele globale Regulierungsbehörden untätig.»

Und er fügte an: «Schauen Sie sich Japan an, wo nur fünf Jahre nach der Einführung von erhitzten Tabakprodukten im Jahr 2014 unabhängige Studien einen noch nie dagewesenen Rückgang der Zigarettenverkäufe in diesem Land zeigten.» Es sei an der Zeit, dass andere Länder diesem Beispiel folgten.

Gesetz muss revidiert werden – noch bevor es in Kraft getreten ist

Sämtliche Tabakprodukte sind in der Schweiz gegenwärtig noch im Lebensmittelgesetz geregelt. Deshalb gibt es keine rechtlichen Vorgaben für den Jugendschutz – also auch keine Werbeeinschränkungen. Schon vor zehn Jahren hat das Parlament aber beschlossen, sich der EU anzupassen und für Tabak- und Nikotinprodukte ein eigenes Gesetz zu schaffen.

In der Folge wurde das Tabakproduktegesetz mit zugehöriger Verordnung erarbeitet. Neuartige Tabakprodukte sollen als so genannt «gleichartige Produkte» gelten und unter das neue Gesetz fallen. Dazu gehören laut Bundesamt für Gesundheit pflanzliche Produkte zum Erhitzen, Nikotinprodukte ohne Tabak zum Schnupfen, Produkte ohne Tabak für Wasserpfeifen sowie Produkte ohne Tabak und Nikotin zum oralen Gebrauch und zum Schnupfen.

Die Diskussionen dauerten lange, weil strittig war, ob die neuartigen Produkte den Ausstieg aus der Zigarettensucht fördern oder eher den Einstieg in die Zigarettensucht. Schliesslich stand das Gesetz.

Doch noch bevor es in Kraft getreten ist, muss das Tabakproduktegesetz revidiert werden. Denn im Februar 2022 nahm das Stimmvolk die Initiative «Ja zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Tabakwerbung» an. Tabakwerbung soll überall dort verboten werden, wo sie Kinder und Jugendliche erreicht. Doch die Tabaklobby macht noch immer auf Obstruktion. Im Februar hat sie wieder einmal einen Erfolg gefeiert. Der Nationalrat lehnte das Tabakproduktegesetz ab. Deshalb ging es zurück an den Ständerat.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

EZigarette

E-Zigaretten: Vor- und Nachteile

Sie sind nützlich als Ausstiegshilfe für Raucher, aber schädlich als Einstiegsdroge für junge Nichtraucher.

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