Déjà vu in Washington
Der Service public im Medienwesen steht nicht nur in der Schweiz unter Druck (siehe kontertext-Beitrag). Auch in den USA betreibt die politische Rechte seit langem den Rückzug des Staates aus dem «Markt» für Radio und Fernsehen, und sie ist guter Hoffnung, dass Regierung und Parlament diesmal Nägel mit Köpfen gelingen. Noch ist der Budgetvorschlag der Regierung nicht veröffentlicht, aber eine provisorische Einspar-Liste enthält gemäss einem Bericht der «New York Times» die vollständige Streichung der Bundesbeiträge an die «Public Broadcasting Corporation» (PBC), welche die nicht-kommerziellen Radio- und Fernsehstationen im Land finanziert.
Das Einsparvolumen ist ein Klacks, rund 450 Millionen in einem 4-Billionen-Budget (ein Achttausendstel). Aber es geht nicht um Geld, sondern um das politische Signal. Wie das ähnlich kleine «National Endowment of the Arts» (die ebenfalls auf der Abschussliste stehende amerikanische Liliputversion von Pro Helvetia) sind die öffentlichen Programme seit Jahrzehnten ein Stachel in der Seite der politischen Rechten. Sie gelten als links, kulturell unzuverlässig, zu wenig wertverpflichtet etc. Die Argumente sind mit denjenigen in der Schweiz vergleichbar.
Nicht vergleichbar ist der Stellenwert. Während das öffentliche Radio und Fernsehen in der Schweiz (und anderswo nördlich der Alpen) eine nahezu monopolartige, durch eine Quasi-Besteuerung des Publikums gefestigte Stellung geniesst, fristen sie in den USA ein Mauerblümchendasein. Das «National Public Radio» (NPR) und die Sender des «Public Broadcasting Service» (PBS) sind punkto Finanzkraft weit abgeschlagen hinter den kommerziellen Medienunternehmungen. Aber sie liefern ausgezeichnete Arbeit. Die Informationssendungen von NPR («all things considered», «fresh air») sind das Beste, was amerikanisches Radio zu bieten hat. Die Kulturprogramme von PBS («masterpiece») und namentlich die Kindersendungen («Sesame Street»,«Curious George») sind Klassiker (obwohl extrem-fundamentalistische Christen auch hier heidnische Haare in der Suppe finden).
Schutzzone vor Werbung und Geschrei
Fernsehen in Amerika ist eine unendliche Schleife von Werbung, und Propaganda, periodisch unterbrochen von skandalisierten «Nachrichten», «Diskussionen» zwischen Schreihälsen und serialisierten «Dramen». Die werbefreien, nicht-kommerziellen und gratis erhältlichen öffentlichen Programme sind die Schutzzonen für Leute, die sich vor der Flut in Sicherheit bringen, aber nicht ganz auf Fernsehen und Radio verzichten wollen. Die staatlichen Zuschüsse sind dabei nur der kleinere Teil der Finanzierung. Das meiste davon kommt aus dem Publikum, das für wenig Geld (die Beiträge sind freiwillig, abgestuft und weniger als die Billag-Gebühren in der Schweiz) Gesellschafter werden kann, sowie von Sponsoren. Diese können Quasi-Werbung – kurze, auf Eigen-«Information» reduzierte sogenannte «spots» – plazieren. Die qualvollen Bettelstunden («membership drives») und die Sponsoren-«Informationen» werden länger, aber der (An)werbe-Anteil liegt immer noch weit unter dem Niveau des kommerziellen Angebots.
Über die Verteilung der Bundesgelder wacht die als private non-profit-Gesellschaft konstituierte «Public Broadcasting Corporation». Sie ist verpflichtet, «universalen Zugang zu nicht-kommerziellen, qualitativ hochstehenden Inhalten und Telekommunikationsdienstleistungen sicherzustellen», wie es auf der Webseite heisst. Die PBC verteilt Geld an über 1100 öffentliche Radiostationen und fast 400 öffentliche Fernsehstationen. Der Grad der Abhängigkeit von diesen Geldern ist unterschiedlich. Das öffentliche Fernsehen bezieht rund die Hälfte seiner Mittel von der PBC, während dieser Anteil für «National Public Radio» auf ein Zehntel reduziert wurde.
Muppets marschieren
Die Streichung der Bundesgelder wird dem öffentlichen Radio und Fernsehen in den USA das Leben schwer machen, aber nicht das Ende bereiten. Ob das Parlament mitspielt, ist eh ungewiss. Bereits 1994 versuchte die von einer rechten Kongressmehrheit ausgerufene «konservative Revolution» die Streichung der Bundesmillionen und löste damit einen Empörungssturm aus. Der Protest lebte vor allem von der Angst, die beliebten Kindersendungen zu verlieren. Seither haben vor allem republikanische Politiker immer wieder versucht, der PBC den Garaus zu machen, zuletzt der gescheiterte Präsidentschaftskandidat Mitt Romney im Jahre 2012. Er provozierte damals einen «Million-Muppets-March» und produzierte einen Rohrkrepierer für sich selbst.
Gut möglich, dass «Big Bird» und «Elmo» bald wieder auf den Plan treten.
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Wie PBS informiert – ein Beispiel
Ist PBS links? Die Einschätzung ist natürlich standortabhängig, aber in diesen Tagen hat die Rechte wenig Grund zur Klage. Einen Monat nach dem Amtsantritt der neuen Regierung geht die Serie How the Deck is stacked vertieft auf die Motive und Anliegen der Wählerschaft ein, die traditionell demokratisch, im vergangenen Herbst aber republikanisch stimmte.
Die Serie heisst How the deck is stacked, und am 22.02.2017 ging es um Erie in Pennsylvania, einst ein Drehpunkt des amerikanischen Stahl- und Kohletransportsystems (Erie-Kanal) und mächtiger Industriestandort (General Electric, International Paper), heute in ökonomischer Dauerdepression. Erie hat zum ersten Mal seit Jahrzehnten republikanisch gewählt. Die Sendung spürte den Anliegen und Motiven von Trumps Wählern nach und liess sie ausführlich zu Wort kommen – werbefrei während einer ganzen Viertelstunde. Sie liessen keinen Zweifel, wie sehr sie ein Ende des ökonomischen Niedergangs und eine Rückkehr zu den besseren Zeiten von früher erwarten. «Ich bin ein harter Arbeiter, harte Arbeit ist gut», sagte die Hauptfigur Joe Orengia, ein pensionierter Bauarbeiter, der im Rentenalter ein Fitnesszentrum betreibt.
Im Anschluss wurden die beiden Ökonomen Jared Bernstein und Douglas Holtz-Eakin befragt. Bernstein ist Demokrat und war Chefökonom des früheren Vizepräsidenten Biden. Holtz-Eakin ist Republikaner, war ökonomischer Berater des älteren Präsidenten Bush und des geschlagenen republikanischen Kandidaten McCain. Hier einige Ausschnitte aus der Diskussion (Zitate leicht gekürzt).
Moderator: Was haben Sie im Beitrag gesehen?
Bernstein: Beträchtliche Verzweiflung, aber auch ein grosses Mass Hoffnung. Hoffnung, die Donald Trump mit seiner Wahlkampfrhetorik verstärkt hat, als er von den Jobs und Branchen sprach, die er in diese Gemeinschaften zurückbringen könne.
Holtz-Eakin: Es gibt auch eine Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die nicht zurückkehren wird. Eine realistische Standortbewertung sollte nicht bei der Vergangenheit ansetzen, sondern bei dem, was die Zukunft sein kann.
Moderator: Was kann ein Präsident tun? Steuern senken?
Holtz-Eakin: Er kann eine Menge für eine Steuerreform tun. Wir haben ein Steuerwesen, das allgemein ausgedrückt die Produktion im Ausland gegenüber der Produktion im Inland bevorteilt. Eine gute Reform würde dies neutralisieren und die Dinge wieder zurück in die USA bringen. Das heisst nicht, dass sie in Erie landen werden, aber es sollte geschehen.
Bernstein: Wir Ökonomen messen den Steuerreformen viel zu viel Gewicht bei. Wir hatten sehr unterschiedliche Steuerregimes, während die Globalisierung voranschritt, und wir haben gesehen, was mit Orten wie Erie geschah. Ich denke nicht, dass wir auf Verbesserungen im Steuerwesen zählen können, um die Zahnpasta der Globalisierung zurück in die Tube zu bringen, wie es Donald Trump verspricht.
Moderator: Die Regierung bekniet einzelne Firmen, nicht ins Ausland abzuwandern
Bernstein: Das ist vor allem public relations und kein ökonomischer Plan. Ehrlich gesagt mag ich es, wenn der Präsident auf die öffentliche Kanzel steigt und den Firmen sagt «wir wollen, dass Ihr die Arbeitsplätze hier behält«. Das ist alte Schule….
Moderator: alte Schule der Linken…
Bernstein: ..ja. Aber es ist kein wirtschaftlicher Plan, es ist keine systematische Strategie.
Holtz-Eakin: Die öffentliche Kanzel ist gut und recht. Aber Unternehmen folgen ökonomischen Anreizen. Diese Anreize zu verändern ist der Schlüssel.
Moderator: Im Beitrag aus Erie war von Hoffnung die Rede. Wie wichtig ist der Faktor Psychologie?
Bernstein: Wichtig. Ich bin an solchen Orten immer wieder solchen Leuten begegnet. Sie wollen an der Wirtschaft teilhaben. Der Strukturwandel, die Globalisierung, der Verlust der Gewerkschaften, die Erosion der Arbeitsbedingungen – das alles hat diese Leute wirklich verwundet. Was sie wollen, ist eine Chance, ihr Handwerk auszuüben, wie jener Mann, der gesagt hat «ich bin ein harter Arbeiter, harte Arbeit ist gut». Das verstehe ich. Er hat keine Chance auf Beschäftigung, und wir sollten darüber sprechen, wie er diese erhält. Eine Idee ist die Infrastruktur. Diese Orte haben Infrastruktur nötig. Die Trump-Regierung spricht darüber, aber sie scheint nicht voranzukommen.
Holtz-Eakin: Man kann nur Infrastruktur haben, wenn es Firmen gibt, die sie nutzen. Die Realität in der industriellen Fertigung ist Automation. Wir brauchen heute noch 10 Prozent der Arbeiter von früher, um in den USA dasselbe zu produzieren und zu exportieren. Also gibt es weniger Chancen, und Du musst derjenige Arbeiter sein, der diese Chancen packen kann. Es ist kein Zufall, dass die Arbeitslosigkeit von College-Absolventen bei 2,5 Prozent liegt. Das ist der Zaubertrank der Ökonomie. Diese Gemeinschaften haben zu viele Menschen ohne die nötige Bildungsgrundlage, um jene Chancen wahrzunehmen, und wir haben keine Programme, um die Menschen voranzubringen, die hart arbeiten wollen, aber die Fähigkeiten nicht haben.
Bernstein: Hier muss ich die politischen Fronten ein wenig umkehren. Ich bin komplett dafür, dass Menschen alle Fähigkeiten erwerben, die sie zu erwerben vermögen. Aber Sie können noch so ausgebildet und gebildet sein und dennoch keinen Job haben, der für Sie und Ihre Gemeinschaft ausreicht. Hier hat Donald Trump etwas Wichtiges und Nützliches gesagt. Es geht nicht allein um Bildung oder Infrastruktur, sondern um Handel. Es ist wirklich so, und er hat Recht, dass diese Gemeinschaften durch unsere grossen und hartnäckigen Handelsdefizite leiden. Also müssen wir auch Massnahmen ergreifen, um diese zu verringern. Dazu höre ich nichts von der Regierung, ausser dass sie über Zölle redet, was ein schlechter Weg ist. Aber es gibt auch gute Wege.
Holtz-Eakin: Ich denke, die Sache mit dem Handel ist stark übertrieben. Ich glaube nicht, dass hier die Ursache des Problems liegt. Schauen Sie Erie an, dort begannen die Probleme in den siebziger Jahren, lange vor dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen und vor dem berühmten Eintritt Chinas in die Welthandelsorganisation. Es geht um tiefe strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft. Diese Orte hatten wertvolle Ressourcen, Kohle, das Transportwesen, die keine ökonomischen Trümpfe mehr sind. Sie müssen entweder neue schaffen, oder die Menschen, die dort bleiben, haben keine Chancen mehr.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
US-Präsident Donald Trump hat offenbar erfahren, dass bei uns in der Schweiz die Initiative «No Billag» erfolgreich eingereicht wurde und im Jahre 2018 zur Abstimmung kommen wird.
Tja. Die Linke genießt nicht mehr viel Vertrauen – und wenn Linke uns erklären, dass ihr Lieblingssender «in Wirklichkeit» unabhängig und überparteilich ist …
Objektiv könnten sie da natürlich auch mal recht haben; in der Not müssen sich ja auch Linke mit einem überparteilichen Sender als kleinerem Übel zufrieden geben – aber wenn solche Empfehlungen aus linkem Mund kommen, sind sie halt kontraproduktiv. Man glaubt den Linken nicht, weil sie historisch darauf geeicht sind, ihre Spezialinteressen als Gesamt- und Universalinteressen hinzustellen.