Sperberauge
Benedikt Weibel, was soll denn das?
Benedikt Weibel, von 1993 bis 2006 oberster Chef der Schweizerischen Bundesbahnen SBB, hat eine beachtenswerte Leistungsbilanz. Die Schweiz hat ihm in Sachen öffentlicher Verkehr einiges zu verdanken. Und er weiss das – und weiss es auch zu nutzen. Neben Sport – Joggen, Nordic Walking, Radfahren und vor allem Bergsteigen – publiziert er Bücher, etwa so oft wie andere zum Zahnarzt gehen: im Zwei-Jahres-Rhythmus.
Aber jetzt hat der gleiche Benedikt Weibel, damals bekennendes Mitglied der SP, einen Aufruf lanciert. Die Headline: «Service public: Schafft den Begriff ab!» Er möchte den «Service public» ersetzt haben durch die Begriffe «Infrastruktur» und «Grundversorgung». Sie seien wesentlich «präziser», sagt er. (*)
Muss das sein?
Erstens: Die Aussage, die Begriffe «Infrastruktur» und «Grundversorgung» seien präziser als «Service public», ist falsch. Wer etwa in Wikipedia unter dem Stichwort «Infrastruktur» nachschaut, der sieht, dass darunter ganz verschiedene Dinge verstanden werden können. Der Begriff bezieht sich zwar immer, wie das Wort es sagt, auf einen «Unterbau», aber eben sowohl auf den «Unterbau» von materiellen wie auch von «institutionellen» Dingen. Wer von «Infrastruktur» spricht, kann dabei von Bauwerken, zum Beispiel von Strassen, sprechen. Er kann aber ebenso gut auch von Institutionen oder Organisationen sprechen, zum Beispiel von den Krankenhäusern und Krankenkassen im Gesundheitswesen.
Zweitens und massgebend: Eine wichtige Komponente des Wortes «Service public» fällt bei diesen beiden neuen Begriffen weg: der Service, die Dienstleistung, der Dienst an der Gemeinschaft.
Seit etwa 1980 kann man beobachten, wie das neoliberale Gedankengut einer Seuche gleich immer weitere Gebiete der Erde erfasst und umwandelt. Das Grundprinzip des Neoliberalismus ist: Jedermann soll das Recht haben, ohne jede Einschränkung und mit welchem Business auch immer, Geld zu machen. Dann: Alles, womit man Geld machen kann, soll privatisiert werden, die Gewinne gehören per definitionem dem Unternehmer, demjenigen, der etwas unternimmt (wogegen defizitäre Aktionen dem Staat zufallen sollen, mögliche Verluste sollen von den Steuerzahlern übernommen werden). Dann: Geld aus Geld zu machen, ist nicht nur erlaubt, es ist sogar erwünscht, weil es das Geld dorthin bringt, wo es hingehört: zu denen, die schon davon haben, weil sie erneut Geld aus dem Geld machen werden – während die Armen es ja nur «brauchen» würden. In dieses neoliberale Gedankengut passen auch «Infrastruktur» und «Grundversorgung» hinein. Damit die Menschen Trinkwasser zur Verfügung haben, braucht es eine «Infrastruktur», nämlich die Wasserleitungen, und es ist eine «Grundversorgung», ein Muss zum Überleben. Die Wasserversorgung wird aber weltweit mehr und mehr privatisiert, weil man damit ja Geld machen kann. In den USA zum Beispiel, aber auch in anderen Ländern. Chile zum Beispiel hat die gesamte Wasserversorgung privatisiert. Auch die Verkehrs-Infrastruktur kann privatisiert werden – zum Geldmachen. Italien zum Beispiel hat die Autobahnen privatisiert – mit Folgen. Man denke an die kürzlich eingestürzte Autobahnbrücke in Genua. Konkret: Beide Begriffe, «Infrastruktur» wie auch «Grundversorgung», sagen nichts aus über die Besitzverhältnisse und die daraus entstehenden Profit-Möglichkeiten, nichts über die neoliberale Tendenz zur Privatisierung.
«Service public» ist etwas anderes
Der Begriff «Service public» dagegen enthält das Wort «Service» und dieses Wort kommt von «servire», lateinisch «dienen». Ein «Service» ist eine Dienstleistung, da wird jemandem «gedient». Ein «Service public» ist eine Dienstleistung für alle, ein Gemeinschaftswerk. Da muss kein Geld gemacht werden, da wird der Gemeinschaft gedient, selbst wenn es etwas kostet.
Die Schweizer Post war ein klassischer «Service public»: Auch der Bauer auf einem abgelegenen Hof musste «bedient» werden, unabhängig von den Kosten. Seit die Post vom Parlament in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, muss sie Gewinn machen, so steht es im OR unter AG. Das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen SRG/SRF ist – noch – ein «Service public». Es muss nicht profitabel sein, es soll der Gemeinschaft dienen, sie mit Information, mit Kultur, mit Sport und sogar mit Unterhaltung versorgen. Das soll auch so bleiben. Aber auch die SBB sollen ein «Service public» bleiben, eine Dienstleistung für alle. Was herauskommt, wenn eine Bahn privatisiert wird, sieht man in England: Da werden die rentablen Strecken gepflegt und ausgebaut, die nicht-rentablen vernachlässigt bis zur Unbrauchbarkeit.
Nein, wir wollen nicht nur «Infrastrukturen». Wir wollen zwar in etlichen Bereichen eine «Grundversorgung», aber eben eine «Grundversorgung», die ein «Service public» ist, eine Dienstleistung für alle, ohne Profit-Absichten. Der Gemeinbesitz, die Allmende, das Gemeinschaftliche, der Dienst an der Gemeinschaft: das sind die Werte, die die Schweiz – noch – auszeichnen. Für sie werden wir kämpfen, selbst wenn Alt-SBB-Übervater Benedikt Weibel künftig auf der anderen, auf der neoliberalen Seite mitfuchtelt. (**)
Wörter wandeln Werte
WWW – Wörter wandeln Werte: Unter dieser Headline hat Infosperber schon mehrmals auf die Wichtigkeit einer verantwortungsvollen Wortwahl hingewiesen:
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(*) Der Aufruf zur Abschaffung des Begriffs «Service public» erschien in der «Schweiz am Wochenende» vom 21. Oktober 2018. Er kann hier oder mit den Link unten eingesehen werden.
(**) Nicht zufällig sitzt Benedikt Weibel schon heute im Aufsichtsrat der österreichischen Rail Holding AG. Die Rail Holding AG, eine private Bahnunternehmung, profitiert von der vielgepriesenen Liberalisierung des Schienenverkehrs in der EU. Sie nutzt das Bahnnetz, also eine staatliche Infrastruktur, und sie bietet auf der Westbahn-Strecke Wien-Salzburg, also sozusagen auf der Rosinen-Strecke im österreichischen Bahnnetz, einen Halbstunden-Takt an und konkurrenziert damit die dem Service public verpflichtete staatliche Österreichische Bundesbahn (ÖBB).
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Es gibt keine Interessenkollisionen.
Wen wundert’s? Benedikt Weibel hatte sich schon in Inseraten dafür eingesetzt, dass die Buchpreisbindung abgeschafft wird, die den Verlagen die Quersubventionierung von anspruchsvoller Literatur ermöglicht hatte. Vielleicht hat er gedacht, dass sich ohne sie seine Management-Literatur über «Einfachheit» besser verkaufen lasse.
Schade, dass Christian Müller einmal mehr sehr einseitig bleibt: Privatwirtschaft ist nicht einfach „böse“, Service Public nicht einfach gut – so schwierig es ist, bei einer Unternehmung den gesellschaftlichen Gedanken zu integrieren, so schwierig ist es, öffentliche Institutionen effizient zu führen. Wie wäre es mit neuen Ansätzen statt „Bashing“? Abgesehen davon: Wo genau ist im OR ein Gewinn vorgeschrieben für eine AG???