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Gratis-Schulden gibt es nicht. Man zahlt dafür entweder in Form von Steuern oder indirekt in Form von hoher Inflation. © mike_kiev/Depositphotos

Draghi und Co. fabulieren über Stimulierungsmassnahmen auf Pump

Christof Leisinger /  Egal, wer führt: Regierungen geben das Geld mit vollen Händen aus. Ausgabenfetischisten treiben Schulden, Steuern und Inflation.

Schulden, Schulden, einfach neue Schulden – das scheint in diesen Zeiten in den Augen ausgabefreudiger Zeitgenossen die Lösung aller wirtschaftspolitischen Probleme zu sein. So plädieren sie in Europa penetrant für das Ignorieren vereinbarter Budgetgrenzen oder gar die Abschaffung staatlicher Schuldenobergrenzen (zum Beispiel in Deutschland, wo die Verbindlichkeiten gerne als «Sondervermögen» versteckt werden), um trotz rekordverdächtiger Budgets ihre luxuriösen Ausgabenwünsche befriedigen zu können.

Statt eindeutig vernünftige Prioritäten im Rahmen der erzielbaren Einnahmen zu setzen, fabulieren sie inspiriert von Mario Draghi über gewaltige Stimulierungsmassnahmen auf Pump. Der ehemalige Zentralbanker schlägt «Investitionen in die Modernisierung der europäischen Infrastruktur» in einem Milliardenumfang vor, um den Kontinent von der scheinbar mühseligen finanziellen Malaise der Gegenwart zu befreien und Zukunftspotenziale zu erschliessen, wie es so schön visionär heisst.

Fiskalische Dominanz – nimmt die US-Notenbank Rücksicht auf die hohen Schulden?

In den USA hat die Notenbank Federal Reserve am Mittwoch den Leitzins trotz anhaltend hoher Inflation um einen halben Prozentpunkt gesenkt, angeblich um die Wirtschaft vor dem Absturz in die Rezession zu bewahren. In Wirklichkeit geht es wohl vor allem auch darum, die Finanzierung der Staatsschulden günstiger zu machen. Diese waren in den jüngsten Jahren aufgrund enormer, kreditfinanzierter staatlicher Ausgabeprogramme förmlich explodiert.

teuer erkauft USA Schulden und BIP
Die Schuldenspirale läuft schon, das künstliche Wachstum muss teuer erkauft werden. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

Republikanische und demokratische Regierungen fahren schon seit drei Jahrzehnten gewaltige, immer grösser werdende Staats-Defizite ein. Die Regierung Joe Bidens hat allein im August dieses Jahres mit 687 Milliarden Dollar mehr als doppelt so viel ausgegeben, wie sie eingenommen hat. Das ist eine Dimension, die es in der Vergangenheit höchstens während teurer Weltkriege gegeben hat.

In diesem Rahmen sind die öffentlichen Verbindlichkeiten des amerikanischen Staates auf mehr als 35’000 Milliarden Dollar oder auf gut 130 Prozent seiner Wirtschaftsleistung gestiegen. Inzwischen muss der amerikanische Staat mehr als 1000 Milliarden allein für die Zinsen aufwenden, welche für die Staatsschuld fällig werden. Kein Wunder, plädieren ausgabefreudige Kongressabgeordnete aggressiv für Leitzinssenkungen; und wen wird überraschen, dass Präsidentschaftskandidat Donald Trump davon schwadroniert, die Unabhängigkeit der Zentralbank einzuschränken.

Ähnlich wie die Demokraten rührt auch er finanziell gerne mit grosser Kelle an und möchte das über die Notenpresse finanzieren. Glaubt man den konservativen Prognosen der Budgetwächter vom Congressional Budget Office und blickt man auf die ökonomischen Pläne beider Präsidentschaftskandidaten, so wird die staatliche Schuldenorgie in den nächsten Jahren weitergehen. Es sei denn, die Finanzmärkte rebellieren und fordern höhere Zinsen ein – was zu einer Schuldenkrise führen würde. Denn eines ist sicher: Das Geld fällt nicht wie Manna vom Himmel, sondern es erfordert seinen Preis.

Schulden – wenn das Geld nur konsumiert wird, sind sie sehr schlecht

«Behalten Sie im Auge, wie viel die Regierung ausgibt, denn die Staatsausgaben sind die wahre Last», sagte schon der legendäre Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman. «So etwas wie einen unausgeglichenen Haushalt gibt es nicht. Man zahlt dafür entweder in Form von Steuern oder indirekt in Form von hoher Inflation oder Schulden», brachte er einst seine Diskussionsbeiträge über alle Aktivitäten des Staates auf den Punkt.

Staatsausgaben und öffentliche Schulden an sich sind grundsätzlich nicht schlecht. Aber es kommt massgeblich darauf an, dass ihr Ausmass begrenzt bleibt, wofür sie ausgegeben und wie sie finanziert werden. Aufwendungen für eine moderne Infrastruktur zum Beispiel lohnen sich, wenn es echte Investitionen sind – also wenn sie die Produktivität des Staates steigern, wenn sie das Wachstum sowie die Einnahmen fördern und wenn sie sich auf diese Weise quasi selbst finanzieren.

Gerade das Gegenteil ist der Fall, wenn sie nur für Subventionen oder etwa für die Stützung strukturell unterfinanzierter Sozialwerke verkonsumiert werden. Dann entsteht nur ein vorübergehender Scheinboom, der in sich zusammenzufallen droht, sobald die Staatsausgaben reduziert werden müssen. So kommt es, dass in diesen Tagen viele vor einer drohenden Rezession warnen, nachdem die Volkswirtschaften wegen der Pandemie enorm künstlich stimuliert wurden. Statt von einer Normalisierung der volkswirtschaftlichen Entwicklung «auf durch kreditfinanzierte Staatsausgaben vorsätzlich aufgeblähtem Niveau» zu reden, fordern sie sofort neue Ausgaben- und Schuldenorgien und schwören auf diese Weise eine gefährliche Tendenz herauf.

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Die amerikanischen Staatsschulden werden immer teurer. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

In den USA zum Beispiel ist es heute schon so weit, dass jeder Dollar an neuen Schulden weniger als 60 Cent an Wirtschaftsleistung in Form des Bruttoinlandproduktes einbringt. Dies ist in den Augen von Fachleuten wie Robin Brooks von den Brookings Institutions unhaltbar und deutet auf einen strukturellen Rückgang der volkswirtschaftlichen Produktivität hin. Die rasant steigende Staatsverschuldung bei sinkender wirtschaftlicher Produktivität ist ein Rezept für eine finanzielle Kalamität. Entweder in Form einer Schuldenkrise oder in Form überhöhter Inflationsraten, welche nichts anderes als eine hohe Steuer für alle sind.

Nur «produktive» Schulden sind gute Schulden

In Europa entwickelt sich die Produktivität sogar tendenziell noch schlechter als in den USA. Gemessen am Output pro Arbeitnehmer ist die Produktivität in Deutschland oder Frankreich von 90 Prozent der USA vor zwei Jahrzehnten auf heute 75 Prozent gesunken. Immerhin: Bereinigt man die Daten um die Kaufkraft und die Arbeitsstunden, so fällt der Unterschied nicht mehr ganz so krass aus. Dafür leben die Europäer länger als die Amerikaner, sind im Durchschnitt wohlhabender und sie haben eindeutig das bessere Bildungssystem.

Das Hauptproblem sei der weit verbreitete Mangel an politischem Willen, die steigende Staatsverschuldung anzugehen, heisst es. Die anhaltende Neigung zu staatlichen Interventionen – sei es wegen der Überalterung der Bevölkerung, wegen des angestrebten Übergangs zu scheinbar sauberen Energieträgern oder auch wegen kostspieliger industriepolitischer Manipulationen aufgrund geopolitischer Überlegungen – drohe nicht nur immer mehr unerfüllbare Begehrlichkeiten zu wecken, sondern führe häufig auch zu einer Fehlallokation finanzieller Ressourcen zugunsten von Projekten mit geringer Produktivität.

Tatsächlich gibt es immer mehr so genannte Zombie-Unternehmen, die wirtschaftlich eigentlich keine Daseinsberechtigung mehr haben und die finanziell nur in einem Umfeld mit tiefen Zinsen und ständigen Subventionen überleben können. Unabhängig von ihrer Position im politischen Spektrum verschwenden viele Regierungen öffentliche Gelder im grossen Stil, indem sie eigentlich unproduktive Unternehmen über Wasser halten, um «Arbeitsplätze zu retten», wie es so schön heisst. Auf diese Weise werden die rasant wachsenden Staatsschulden zum Mühlstein, der das Gemeinwesen immer stärker belastet, statt es voranzubringen.

Wann sorgen die Finanzmärkte für Disziplin?

Längst deuten verschiedene Ergebnisse in den jüngsten Wahlen in Europa die zunehmende Unzufriedenheit darüber an, dass die Politik die Steuereinnahmen und die Schulden für alles Mögliche verschwendet, anstatt sie in eine produktive Zukunft zu investieren. In den USA senkt die Zentralbank nun sogar ohne Not den Leitzins, um die Zinslast des Staates zu mindern und nimmt dafür offensichtlich eine höhere Inflation in der Zukunft in Kauf. Für Disziplin dürften wohl erst die Finanzmärkte sorgen, indem sie höhere Renditen auf die Staatsanleihen einfordern. Noch ist es allerdings nicht so weit.

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Die Produktivität in den Industriestaaten nimmt kaum noch zu. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

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Finanzcasino bedroht Weltwirtschaft

Mit unvorstellbaren Summen darf gewettet werden, dass grosse Unternehmen und Staaten pleite gehen.

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3 Meinungen

  • am 20.09.2024 um 20:40 Uhr
    Permalink

    Yahoo finanzen PR Newswire meldeten am 19. März 2024: «Auf Amerika entfallen 32 % des weltweiten liquiden, investierbaren Vermögens. Das entspricht der gewaltigen Summe von 67 Billionen US-Dollar, wie aus dem vom globalen Vermögensberatungsunternehmen Henley & Partners veröffentlichten USA Wealth Report 2024 (Bericht über den Wohlstand in den USA 2024) hervorgeht.»
    Möglich, dass man im Weissen Haus und im Kapitol erkannt hat, dass die Vermögen bedeutend höher sind, als die Staatsschulden. Und so kann die Kohle mit vollen Händen ausgeben werden, wenn die Vermögen der US-Amerikaner und aller Weltbürger von den Regierungen wegschmolzen wurden, und in den Kassen die totale Leere herrscht, dann wird es wohl einen Schnitt geben. Man sollte alles nicht so eng sehen: Kohle kommt und geht und kommt wieder und geht wieder und kommt wieder.
    Gunther Kropp, Basel

  • am 20.09.2024 um 23:36 Uhr
    Permalink

    Interessanter, informativer Artikel obwohl das Them schon Jahre auf der Agenda ist – die Nummern werden einfach grösser. Ich würe es begrüssen wenn der Infosperber das Thema etwas breiter umschreibt, gaz im Sinne: «wo ein Schuldner ist, ist auch ein Gläubiger. Und die grosse Frage ist doch wer sind die Gläubiger (Institutionen, Staaten, Private Equity, etc.)? Die Auslegung wird zeigen, wo die Schwächen und Abhänigkeiten liegen.

  • am 21.09.2024 um 00:36 Uhr
    Permalink

    “Wann sorgen die Finanzmärkte für Disziplin?”

    Diese Finanzmärkte, die sich bereits zu einem größeren Teil von der Realwirtschaft abgekoppelt haben oder denen es ausschließlich um die Profitmaximierung geht, die mit Staatspleiten und Währungen spekulieren und damit Gewinne machen, deren Manager und CEO’s quasi ohne vernünftige Arbeit in Saus und Braus leben, sollen allen Ernstes für Disziplin sorgen?

    In Österreich gibt es zur Feststellung von unnötigen Staatsausgaben einen öffentlichen Rechnungshof. Dem vertraue ich diesbezüglich gefühlt 100x mehr als den Finanzmärkten. Dem Rechnungshof fehlt es nur an der nötigen Macht.

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