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Shimano ist der weltgrösste Hersteller von Veloteilen. © public-domain Diethard Vlaeminck

«Moderne Sklaverei» bei einem Shimano-Lieferanten

Pascal Derungs /  Miese Arbeitsbedingungen gibt es nicht nur in der Kleider-, sondern auch in der globalisierten Velobranche.

Shimano, der global führende Produzent von Veloteilen, hat vermutlich Zahnräder verkauft, die unter den Bedingungen «moderner Sklaverei» hergestellt wurden. Das enthüllte Samuel Lovett in der Zeitung «Telegraph» Anfang Dezember.

Das milliardenschwere japanische Unternehmen bietet Bremsen, Schaltungen, Ketten, Pedale und mehr für die bekanntesten Fahrradmarken der Welt. Der Bike-Riese bezieht Komponenten unter anderem vom malaysischen Zulieferer Kwang Li Industry. Dieser Firma wird vorgeworfen, Wanderarbeiter aus Nepal ausgebeutet zu haben.

Einige der betroffenen Arbeiter sagten laut Lovett aus, dass sie bedroht und körperlich misshandelt worden seien. Kwang Li Industry habe zudem unrechtmässig Rekrutierungsgebühren eingefordert und Gehaltsabzüge getätigt. Der malaysische Zulieferer soll schliesslich Zeit-Angestellte vertragswidrig ohne Lohnfortzahlung von der Arbeit suspendiert und aus den Unterkünften vertrieben haben.

Die Untersuchung des «Telegraph» stützt sich auf Interviews mit aktuellen und ehemaligen Arbeitern bei Kwang Li Industry und die Analyse von Gehaltsabrechnungen, Verträgen und Korrespondenzen, die zwischen dem Unternehmen und der nepalesischen Botschaft in Malaysia ausgetauscht wurden.

Wegen der Gehaltsabzüge verdienten die im Unternehmen Beschäftigten demnach weniger als Malaysias monatlichen Mindestlohn. Sie seien so nicht in der Lage gewesen, die teuren Rekrutierungskosten – im Umfang von sieben Monatsgehältern – zurückzuzahlen. Diese waren an ihre Beschäftigung geknüpft.

Arbeitsrechtsspezialisten der Internationalen Arbeitsorganisation ILO bestätigten gegenüber dem «Telegraph», dass die angeprangerten Missbräuche bei Kwang Li Industry die Kriterien für «moderne Sklaverei» erfüllen würden.

Überkapazitäten auf dem Buckel der Arbeiter abgebaut

Während der Covid-Pandemie war die Nachfrage nach Velos weltweit stark angestiegen. Dies sickerte in der gesamten Lieferkette der Fahrradbranche durch. Komponentenhersteller wie Shimano und ihre kleineren Lieferanten wurden mit Aufträgen überschwemmt und machten satte Gewinne. Shimano verzeichnete im Jahr 2021 eine Rekordumsatzsteigerung um 44 Prozent auf 2,8 Milliarden US-Dollar. Im folgenden Jahr verzeichnete das in Osaka ansässige Unternehmen einen weiteren Umsatzanstieg von 16,6 Prozent. Vor diesem Hintergrund intensivierte auch der Unterlieferant Kwang Li Industry seine Aktivitäten.

Im September 2022 habe die malaysische Fabrik eine nepalesische Rekrutierungsagentur beauftragt, männliche Arbeiter zu finden, so der Telegraph. Zweijahresverträge und «mindestens» der Mindestlohn Malaysias – umgerechnet etwa 410 Dollar monatlich – seien zugesagt worden. Anfang 2023 hätten 207 nepalesische Migranten mit ihrer Arbeit begonnen. Sie hätten die Aufgabe gehabt, Shimanos berühmte Komponentengruppen zusammenzustellen – mechanische Teile für Bremsen, Schaltung und Antrieb.

Im Februar 2023 warnte Shimano, dass «das starke Interesse am Radfahren während der Covid-19-Pandemie Zeichen der Abkühlung» zeige. Doch da hatte der malaysische Zulieferer die zusätzlichen Arbeitskräfte bereits angestellt. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Fehlplanung die Firma auf die Idee brachte, ihre Überkapazitäten auf Kosten der Arbeiter abzubauen.

Mehrere Indikatoren für Zwangsarbeit erfüllt

Lovett berichtet, dass Kwang Li im Oktober 2022 den malaysischen Arbeitsbehörden zugesichert habe, der Personalagentur eine Servicegebühr für die Beschaffung der Arbeiter zu zahlen. Die Arbeiter hätten jedoch versichert, dass sie gezwungen worden seien, diese Kosten selbst zu übernehmen. Mehrere sagten dem «Telegraph», sie hätten hochverzinsliche Kredite aufgenommen, um 300’000 nepalesische Rupien (rund 2’250 US-Dollar) an Rekrutierungsgebühren zu bezahlen – für medizinisches Screening, Flugtickets, Servicegebühren und mehr. Dies, so Samuel Lovett, sei ein Verstoss gegen ein Memorandum of Understanding, das 2018 von Nepal und Malaysia unterzeichnet wurde und in dem es heisst, dass alle Arbeitsrekrutierungskosten vom Arbeitgeber getragen werden müssen.

Der Shimano-Zulieferer soll auch illegale monatliche Abzüge an den Löhnen der Arbeiter vorgenommen haben, das würden Gehaltsabrechnungen belegen. Dies sei ein weiterer Indikator für Zwangsarbeit, zitiert Lovett die Internationale Arbeitsorganisation.

In einigen Fällen hätten die Arbeiter wegen der Abzüge ein Drittel ihres monatlichen Lohns eingebüsst. Im Mai habe ein Arbeiter nur rund 160 US-Dollar Monatslohn erhalten – ein Betrag weit unter dem nationalen Mindestlohn. Nach malaysischem Recht seien solche Abzüge ohne Zustimmung der Arbeitnehmer nicht erlaubt, so der Telegraph. Ein Sprecher von Kwang Li behauptete gegenüber der Zeitung, dass die Praxis des Lohnabzugs ab Juni 2023 eingestellt worden sei.

Um die Kosten inmitten sinkender Nachfrage zu senken, soll die Kwang Li Industry 82 Beschäftigte im Laufe des Sommers zur Kündigung gezwungen haben – fast 18 Monate vor dem Ablauf ihrer Zweijahresverträge. Ein ehemaliger Fabrikarbeiter erzählte dem Journalisten Lovett, er sei nach nur sechs Monaten Arbeit zum Austritt gezwungen worden. Der 21jährige berichtete, er habe ein Darlehen im Wert von 300’000 nepalesischen Rupien aufnehmen müssen, um die Rekrutierungsgebühr zu bezahlen, habe aber nur ein Drittel seiner Schulden zurückzahlen können. Verschiedene Arbeiter hätten dem «Telegraph» auch berichtet, dass «eine Menge Arbeiter unbezahlte Suspendierungen erlitten» hätten, die bis zu 15 Tage gedauert hätten. Fabrikmanager hätten mehreren Arbeitern zudem mit der Abschiebung nach Nepal gedroht.

Die IAO bewerte auch die Drohungen und Handlungen dieser Art von Kwang Li als starken Indikator für Zwangsarbeit, bilanziert Lovett. Auch von Sian Lea, Business and Human Rights Manager bei Anti-Slavery International, habe Lovett die Einschätzung, dass die geschilderten Missstände «alle Merkmale tragen, wie Arbeitgeber Wanderarbeiter ausbeuten und sie in Zwangsarbeit gefangen halten. Besonders Rekrutierungsgebühren sind seit langem als kritischer Treiber der modernen Sklaverei identifiziert».

Lovett berichtet abschliessend, Kwang Li Industry habe auf Nachfrage des «Telegraph» alle Anschuldigungen zurückgewiesen. Shimano hingegen habe eine Untersuchung gegen Kwang Li eingeleitet und versichert, dass man die betroffenen Arbeiter «so bald wie möglich»  entschädigen wolle.

Malaysia ist bekannt für ausbeuterische Arbeitsverhältnisse

Malaysias Arbeitssektor habe eine lange Geschichte des Imports von Migranten mit niedrigen Löhnen. Vermittelt würden diese Arbeiter von Agenten aus einigen der ärmsten Länder der Welt, wie Nepal und Bangladesch. Ihnen werde versprochen, Arbeitsplätze in gut bezahlten Jobs zu finden. Bei der Ankunft in Malaysia würden den Arbeitern die Pässe abgenommen, so dass sie das Land nicht mehr verlassen könnten. Untergebracht seien sie in ärmlichen Firmenunterkünften. Viele würden ausgebeutet und unter dem Mindestlohn bezahlt. Sie würden oft mit teuren Rekrutierungsgebühren belastet, für die sie hochverzinsliche Kredite aufnehmen müssten, was sie in die Schuldknechtschaft treibe.

Diese Missstände hätten sich insbesondere während der Pandemie weit verbreitet, als die Nachfrage nach gewissen Gütern besonders hoch war. Lovett verweist explizit auf das unrühmliche Beispiel von Malaysias Gummihandschuhindustrie.


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Eine Meinung zu

  • am 26.12.2023 um 11:49 Uhr
    Permalink

    Schön, dass das wieder einmal detailliert beschrieben wird.
    Die beschriebenen Probleme treten in allen globalisierten Branchen auf.

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