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Zürich HB: Nicht wirklich rollstuhlgängig, wie sich jetzt herausstellt. © SBB

Mindestens elf Bahnhöfe sind nun doch nicht rollstuhlgängig

Marco Diener /  2,5 Milliarden Franken geben die SBB für rollstuhlgängige Bahnhöfe und Züge aus. Doch jetzt zeigt sich: Einiges ist schiefgelaufen.

Die SBB verfassten ihre Medienmitteilung im Mai unauffällig. «Reisen im Rollstuhl mit dem umgebauten IC 2000», lautete der Titel. Dann hiess es: «Der umgebaute IC 2000 ist barrierefrei. Dennoch haben einzelne Reisende im Rollstuhl gemeldet, dass sie an gewissen Halten nicht ein- und aussteigen konnten.»

Keine Provinz-Stationen

Die SBB schreiben zwar von «gewissen Halten». Doch gemeint sind nicht kleine Stationen in der Provinz, sondern wichtige Bahnhöfe – allen voran der Zürcher Hauptbahnhof. Daneben auch Bahnhöfe in den Kantonshauptorten Aarau, Frauenfeld und Luzern. Zusätzlich die wichtigen Bahnhöfe in Brig VS, Kreuzlingen TG, Olten SO, Thun BE, Visp VS, Weinfelden TG und Zofingen AG. Insgesamt sind es elf.

Insgesamt 2,5 Milliarden Franken

Die SBB haben bisher rund eine Milliarde Franken investiert, damit ihre Bahnhöfe und Haltestellen den Anforderungen des Behinderten-Gleichstellungs-Gesetzes genügen (siehe Kasten unten). Sie haben Züge umgebaut. In rund 130 Bahnhöfen haben sie Rampen gebaut, Perrons erhöht und Lifte eingebaut. Weitere 270 Bahnhöfe folgen bis Mitte der 2030er Jahre. Die Kosten dafür betragen nochmals anderthalb Milliarden Franken.

«Gewisse Toleranzen»

Nun sind also von den rund 130 umgebauten Bahnhöfen mindestens deren 11 trotzdem nicht rollstuhlgängig. Der Grund laut SBB: «Es gibt sowohl bei Zügen als auch bei Bahnhöfen gewisse Toleranzen bezüglich der Normen. Punktuell kann die Kombination dieser Toleranzen leider dazu führen, dass für Reisende im Rollstuhl im IC 2000 an gewissen Bahnhöfen zum selbständigen Ein- und Aussteigen entscheidende Zentimeter fehlen.»

Spaltbreite von maximal 7,5 Zentimetern

In Zahlen heisst das: Die Spaltbreite zwischen Perron und Trittbrett darf an sich nicht mehr als 7,5 Zentimeter betragen. Gleichzeitig darf die Höhendifferenz 5,0 Zentimeter nicht übersteigen. Aber es gelten gewisse Toleranzen:

  • Zugseitig, weil die Wagen einfedern, weil die Räder abgenützt sind, weil die Wagen in überhöhten Kurven wanken und weil beim Bau der Wagen gewisse Ungenauigkeiten unvermeidbar sind.
  • Perronseitig, weil die Gleise nicht exakt verlegt sind, weil der Schotter «arbeitet», weil die Gleise abgenützt sind und weil es beim Bau des Perrons zu Ungenauigkeiten kommen kann.

Wenn sich diese Toleranzen kumulieren, kann es vorkommen, dass die 7,5 Zentimeter Spaltbreite und die 5,0 Zentimeter Höhendifferenz nicht mehr eingehalten sind. Und dann schaffen es Rollstuhlfahrer und -fahrerinnen nicht in die Züge.

Personal hilft

Die Probleme zeigten sich an den elf genannten Bahnhöfen nicht auf allen Perrons. Und selbst auf den betroffenen Perrons treten sie nicht überall auf der vollen Länge auf. Wie die SBB die Probleme beheben werden, ist noch offen. Die SBB suchen noch nach einer definitiven Lösung. In der Zwischenzeit können Rollstuhlfahrer und -fahrerinnen wenn nötig Hilfe beim Personal anfordern.

«Keine vergleichbaren Probleme»

Laut den SBB sind die Probleme bisher nur bei den IC 2000 aufgetaucht. Andere Zugtypen seien nicht betroffen. Und das Bundesamt für Verkehr teilt auf Anfrage von Infosperber mit, bei anderen Transportunternehmen seien «keine vergleichbaren Probleme bekannt».

Frist von 20 Jahren im Behindertengleichstellungs-Gesetz

Seit Anfang 2004 ist das Behindertengleichstellungs-Gesetz in Kraft. Darin ist festgeschrieben, dass Bauten, Anlagen und Fahrzeuge behindertengängig sein müssen. Die Übergangsfrist betrug 20 Jahre. Sie endete vor einem halben Jahr.

Gemäss dem Standbericht des Bundesamts für Verkehr genügten ein Jahr vor Ablauf der Frist 605 von 1597 Bahnhöfen und Eisenbahn-Haltestellen den Anforderungen noch nicht (neuere Zahlen liegen noch nicht vor). Das waren beinahe 40 Prozent. Darunter waren auch bedeutende Bahnhöfe wie Basel Badischer Bahnhof, Bern, Bülach ZH, Cham ZG, La Chaux-de-Fonds NE, Langenthal BE, Sargans SG, Schaffhausen, Sursee LU, Vallorbe VD oder Wetzikon ZH. Sie werden zum Teil erst 2035 rollstuhlgängig sein – mehr als zehn Jahre nach Ablauf der gesetzlichen Frist.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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