Migros: Sogar der Ausverkauf ist ein Debakel
Mitte Januar 2024 schien die Welt für die Migros noch in bester Ordnung. Sie schrieb in einer Medienmitteilung: «Die Migros-Gruppe verzeichnet nach dem Rekordumsatz von 2022 auch im vergangenen Jahr (also 2023, die Red.) ein starkes Wachstum (plus 5,9 Prozent) und steigerte ihren Umsatz erneut.»
Doch schon zweieinhalb Wochen später zeigte sich, dass gar nichts in Ordnung ist. Die Migros kündigte an, sie wolle das Reisebüro Hotelplan, die Kosmetikherstellerin Mibelle, das Sportgeschäft SportX und den Heimelektronikhändler Melectronics verkaufen. Zudem wollte die Migros das Velogeschäft Bike-World, die Baumärkte Obi sowie Do it + Garden und das Möbelgeschäft Micasa «einer eingehenden Überprüfung unterziehen».
Gewinn dank der Migros-Bank
Warum die Migros verkaufen will – das zeigte sich dann Ende März. Die Migros teilte zwar mit: «Migros-Gruppe baut Führungsposition im Schweizer Detailhandel aus.» Doch wer weiterlas, erfuhr: Der Gewinn war gegenüber dem Vorjahr von 459 auf 175 Millionen eingebrochen. Und wer rechnete, merkte: Ohne den 313-Millionen-Zustupf der Migros-Bank, hätte die Migros einen Verlust von 138 Millionen Franken geschrieben.
Doch wie sieht es nun, ein Jahr nach den Verkaufsankündigungen, aus? Die kurze Antwort: schlecht. Die ausführlichere folgt hier.
Hotelplan: Nur Interhome ist gefragt
Die Migros tat so, als ob die Hotelplan-Gruppe kerngesund wäre. Sie teilte mit, Hotelplan habe «2022 und 2023 Rekordresultate erzielt» Trotzdem wollte die Migros die Tochterfirma so schnell wie möglich loswerden – als Ganzes und bis Ende letzten Jahres. Aber die Migros konnte bis heute keinen Käufer für die ganze Hotelplan-Gruppe finden. Denn das Interesse an den Reisebüros ist gering. Immerhin interessiert sich die luxemburgische Hometogo-Gruppe für das Filetstück von Hotelplan: die Ferienwohnungs-Vermittlerin Interhome. Der Preis: geheim.
Mibelle: Nur die südkoreanische Tochter ist verkauft
Auch für die Kosmetikherstellerin Mibelle hätte die Migros «bis Ende Jahr eine Lösung präsentieren» wollen, weil Mibelle «über die Migros hinausgewachsen» sei, wie es hiess. Doch die Migros hat es nicht geschafft. Einzig die südkoreanische Tochter Gowoonsesang konnte die Migros veräussern. Der Preis: geheim.
SportX: Nur 27 von 49 Filialen verkauft
Etwas erfolgreicher war die Migros mit dem Verkauf des Sportgeschäfts SportX. Die Dosenbach-Ochsner-Gruppe hat gut die Hälfte der Filialen übernommen. 24 laufen künftig unter der Marke Ochsner-Sport, 3 unter der Marke Dosenbach. Für die restlichen 22 Filialen sucht die Migros weiterhin Käufer. Der Preis für die 27 Filialen, die an die Dosenbach-Ochsner-Gruppe gingen: geheim.
Melectronics: Nur 20 von 37 Läden verkauft
Ähnlich wie mit SportX lief es mit den Heimelektronikläden Melectronics. Media-Markt zeigte zwar Interesse, aber nur an den besten Standorten. Die Firma übernahm gut die Hälfte der Läden. Die restlichen 17 hat die Migros geschlossen. Wie bei SportX musste die Migros auch bei Melectronics zulassen, dass der Käufer nur die Rosinen herauspickte. Der Preis für die 20 Läden: geheim.
Doch in einem Interview mit der «Sonntags-Zeitung» liess Jan Niclas Brandt, Chef von Media-Markt Schweiz, durchblicken, dass Media-Markt nichts für Melectronics bezahlt hat.
Bike-World: Fast alles geht an Thömus
Vordergründig sieht der Verkauf von Bike-World an Thömus nach einem Erfolg aus. Der Velohersteller aus Oberried bei Bern übernahm 12 von 14 Filialen. Der Preis: geheim.
Insider sprechen allerdings davon, dass Thömus sogar Geld dafür bekommen habe, dass er die 12 Bike-World-Filialen übernimmt – oder zumindest einen Mietzinserlass. Denn die Migros wolle alles daran setzen, nicht noch mehr Leute zu entlassen und damit für weitere Negativschlagzeilen zu sorgen. Die restlichen beiden Filialen schliesst die Migros.
Obi: Geht an Obi
Während 25 Jahren führte die Migros hierzulande Obi-Baumärkte in Lizenz. Nun übernimmt die Obi-Gruppe von der Migros auch das Schweizer Geschäft mit gegenwärtig zehn Filialen. Der Verkauf wirkt ein bisschen überstürzt. Die Migros war nämlich auf Expansionskurs. Die Filiale in Agno TI ist noch im Bau. Die Obi-Gruppe wird auch die Filiale in Agno übernehmen, aber erst wenn sie fertig ist. Wie viel Obi für Obi bezahlt hat: geheim.
Do it + Garden: Es gibt vier Interessenten
Die rund 40 Filialen des Baumarkts Do it + Garden stehen ebenfalls zum Verkauf. Doch es harzt. Die Obi-Gruppe wird nur gerade zwei Filialen in der Westschweiz übernehmen. Der Preis: geheim.
Dem Vernehmen nach war auch Bauhaus interessiert. Ob das Interesse weiterhin besteht – jetzt, wo zwei grosse Filialen weg sind –, ist fraglich. Ebenfalls interessiert sein sollen die deutsche Drogeriekette Rossmann und der holländische Discounter Action. Die Migros sagt dazu nichts Konkretes.
Micasa: Es harzt
Vergangenen Sommer gab die Migros bekannt, dass sie auch das Möbelgeschäft Micasa loswerden will. Seither herrscht Funkstille. Mit dem Verkauf scheint es zu harzen. Die Migros sagt dazu nichts Konkretes.
Ein Debakel im Jubiläumsjahr
Eigentlich hätte die Migros die Verkäufe der Tochterfirmen bis Ende Jahr unter Dach und Fach bringen wollen. Denn die Migros hätte das Jubiläumsjahr 2025 mit positiven Schlagzeilen feiern wollen. Doch nun gerät der Ausverkauf zum Debakel. Infosperber stellte Fragen zum Verkauf von acht Tochterfirmen. Doch die Migros antwortete nur ausweichend. Fünf Mal schrieb sie: «Die Gespräche dauern an.» Das Antwortmail bestand zu einem grossen Teil aus Textbausteinen.
Abbau bei Frey, Elsa, der Klubschule und Misenso
Auch weniger bekannte Tochterfirmen versucht die Migros loszuwerden. So teilte die Migros letzten Sommer mit: «Die Marke Frey International und die Marken für Bohnenkaffee sowie gemahlenen Kaffee in Deutschland werden aufgegeben.»
Zudem schliesst die Migros-eigene Molkerei Elsa mit Sitz in Yverdon VD die Betriebe Rothenthurm und Brunnen des Schwyzer Milchhuus’.
Bereits geschlossen sind die Filialen der Migros-Klubschule in Brig VS, Lyss BE, Sursee LU und Thun BE.
Immerhin ist es der Migros gelungen, das Brillen- und Hörgerätegeschäft Misenso als Ganzes an die Neuroth-Gruppe zu verkaufen. Der Preis: geheim.
Zwei-Tage-Woche bei der Migros-Bank
Sogar die Migros-Bank, das rentabelste Unternehmen im Konzern ist vor dem Abbau nicht gefeit. Die allermeisten Filialen sind nur noch zwischendurch geöffnet. In der Niederlassung in Schwyz beispielsweise gilt die Zwei-Tage-Woche. Wobei der Tag an den Migros-Bank-Schaltern in Schwyz nur sechs Stunden hat.
«Das System Migros» – ein sehenswerter SRF-Dok-Film
Gleich zu Beginn des Dok-Films sagt der einstige Migros-Verwaltungspräsident Jules Kyburz – inzwischen 93 Jahre alt – klar: «Ich sage nichts mehr.» Dafür reden andere. Sie sprechen nicht von Doppelspurigkeiten, sondern von Elfspurigkeiten: Der Migros-Genossenschaftsbund und die elf regionalen Genossenschaften arbeiten alle ein bisschen für sich. Und neuerdings gibt es ja auch noch die Supermarkt-AG.
Bestes Beispiel für die Mehrspurigkeiten ist die «Logistikplattform 2030» der Migros Aare in Schönbühl BE. Die Migros Aare baute sie in der Meinung, dass das Verteilzentrum dann auch von der Migros Basel und der Migros Neuenburg/Freiburg genutzt werden könnte. Nur arbeiten diese beiden Genossenschaften lieber weiterhin mit ihren eigenen Verteilzentren.
Eröffnet wurde die «Logistikplattform 2030» im letzten Herbst. Kosten: je nach Quelle 250 bis 300 Millionen Franken. Insider sagen, ein Teil davon stehe noch immer leer.
Mehrspurigkeiten gibt es auch im kleinen Stil. In den Migros-Läden stehen mehr als 20 Einkaufswagen-Modelle. Denn jede Genossenschaft kauft ein, was ihr am besten gefällt.
Der Film ist hier zu sehen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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