Mietmisere zeigt: Wir haben das falsche Wirtschaftsmodell
Vor meiner Haustüre finden sich im Umkreis von 300 Metern: drei Supermärkte – Migros, Coop und Denner –, ein Türken- und ein Thai-Laden, sieben Ärzte und Zahnärzte, die Gemeindeverwaltung Adliswil, vier Coiffeur-Salons, ein Polizeiposten, ein Fitnesszentrum, ein Altersheim, drei Bankfilialen, acht Restaurants und Cafés, zwei Betriebe des Baugewerbes.
All diese Betriebe leben von der Kaufkraft der Anwohner. Und deren Lebensqualität wiederum hängt von diesen Betrieben ab. Ein Geben und Nehmen. Der Franken rollt. Noch.
Denn wie alle anderen Städte und Gemeinden in der Schweiz hat auch mein Wohnort ein Problem: Die Bodenbesitzer – die privaten wie die institutionellen – schöpfen einen immer grösseren Teil der Kaufkraft ab, welche die lokale Wirtschaft in Gang halten sollte.
In meiner Gemeinde beläuft sich das mittlere Reineinkommen eines Haushalts laut Statistik auf monatlich 6530 Franken. Eine neue, familientaugliche Wohnung mit mindestens dreieinhalb Zimmern und mit einer Wohnfläche von 90 bis 140 Quadratmetern kostet monatlich 3525 Franken.
Das ist der Durchschnitt der drei Angebote auf Homegate am Stichtag, dem 9. März. Rein rechnerisch frisst die Miete somit 54 Prozent des Reineinkommens weg. Stichproben bei elf Städten quer durch die Schweiz zeigen, dass es überall ähnlich aussieht.
Mieten sind viel höher als die effektiven Kosten
Dass die Vermieter solche Preise verlangen können, kommt vor allem daher, dass sich ein grosser Teil der jährlich rund 100’000 Einwanderer solche Mieten leisten können – vor allem, wenn es sich um kinderlose Doppelverdiener handelt.
Zudem hängt ein grosser Teil der Lebensqualität der Einheimischen davon ab, dass sie und ihre Kinder in der gewohnten Umgebung bleiben können. Dafür nehmen sie eine hohe Miete auch dann in Kauf, wenn sie ihre anderen Ausgaben deutlich reduzieren und/oder ihr Arbeitspensum erhöhen müssen.
Damit das geht, lagern sie die Aufsicht und die Erziehung der Kinder an schlecht bezahlte Nannies oder staatlich subventionierte Kitas aus. So gesehen sind die jährlich rund 300 Millionen Franken, die der Kanton Zürich für die Kitas ausgibt, letztlich eine Subvention für die Vermieter.
Eigentlich werden die Mieten nur von dem limitiert, was sich die reichsten Bewerber gerade noch leisten können. Die effektiven Kosten liegen viel tiefer. Die Stadt Zürich etwa vermietet neue Viereinhalb-Zimmer-Familienwohnungen – kostendeckend – für 1970 Franken samt Nebenkosten.
Es geht aber noch billiger: Laut dieser Studie des Immobilien-Beratungs-Unternehmens Iazi belaufen sich die Kosten beziehungsweise die «Sollmiete» einer von einer Anlagestiftung vermieteten neuen Wohnung von 100 Quadratmetern auf 2070 Franken monatlich. Davon entfallen – immer laut Iazi – gut zwei Drittel auf die Kosten des Eigenkapitals (das zu 3,75% verzinst werden darf) und etwa 10 Prozent auf so genannte «Vergütungskosten» für die an der Finanzierung beteiligten Banken und Fonds. Bei einer Wohnbaugenossenschaft, die diese Kosten tief hält, beläuft sich die kostendeckende Sollmiete auf bloss rund 1500 Franken monatlich.
Hohe Mieten gehen zu Lasten der lokalen Kaufkraft
Somit kommen wir auf eine Grössenordnung von 1500 bis 2000 Franken effektiver Kosten für eine etwa 100 Quadratmeter grosse Familienwohnung. Volkswirtschaftlich gesehen ist dies das Entgelt für die dem Wohnen dienende Arbeit der Maurer, Architekten, Hauswarte, Kreditsachbearbeiter et cetera.
Dazu gehört auch die Rendite für die Rentner, die mit ihren Ersparnissen die Baukosten finanziert haben. Würde es bei diesen rund 1500 bis 2000 Franken Miete bleiben, bliebe der volkswirtschaftliche Waren-Geld-Kreislauf geschlossen. Der Rubel würde rollen, das lokale und regionale Gewerbe mit ausreichend Kaufkraft versorgt. Wenn nun solche Wohnungen – wie in Adliswil – für rund 3500 Franken vermietet werden können, erzielt der Vermieter einen Reingewinn von 1500 bis 2000 Franken, und die lokale Kaufkraft wird entsprechend geschmälert.
Diese Monopolrente wird sehr ungleichmässig verteilt. Ein extremes Beispiel dafür ist Regina Bachmann, die von ihrem Vater drei der neun «Sugushäuser» mit 105 Wohnungen im Kreis 5 der Stadt Zürich geerbt hat. 105 Mieter in Zürich tragen dazu bei, dass eine im steuergünstigen Zug wohnhafte Vermieterin noch reicher wird.
Bis anhin kostete eine Familienwohnung in den «Sugushäusern» rund 1900 Franken. Gegenwärtig werden aber Familienwohnungen im Kreis 5 für durchschnittlich 4200 Franken vermietet. Wenn Bachmann die Häuser saniert und neu vermietet, kann sie statt der vielleicht etwa 30’000 Franken pro Monat künftig netto gut das Sechsfache verdienen.
Doch auch wer von seinen Eltern nur schon ein freistehendes Einfamilienhaus erbt, kann von den Mietern leben. Rund um die Grossstädte werden heute solche Häuschen zu Renditeliegenschaften mit drei bis fünf Wohnungen umgebaut.
In einem konkreten Fall sieht das so aus: Unten wohnt der Besitzer. Im ersten Stock werden zwei Wohnungen für je gut 5000 und im zweiten eine Attikawohnung für mehr als 10’000 Franken vermietet. Total dürfte der Besitzer rund 21’000 Franken einnehmen. Selbst bei hohen Bau-und Unterhaltskosten knöpft er seinen Mietern monatlich netto rund 15’000 Franken ab. Genug, um vorzeitig in Rente zu gehen und sich öfter mal eine Kreuzfahrt zu gönnen.
Der Anreiz, seine Mieter auszunehmen, ist sehr stark
Diese Beispiele zeigen auch, dass der finanzielle Anreiz, durch Abriss, Umbau und Kündigungen Bestandes- in Marktmieten umzuwandeln, enorm ist. Wer nicht selber auf die Idee kommt, wird von einer Heerschar von Immobilienmaklern förmlich zur Renditeoptimierung getrieben.
Private Eigentümer, die ihre Mieter noch kennen, plagt vielleicht noch ein schlechtes Gewissen. Doch beim Verkauf, bei einer Neuvermietung oder spätestens beim Erbgang fallen diese Widerstände. Nicht nur in Adliswil sind die Spuren dieser Renditejagd überall sichtbar. Bauprofile, Abrissbirnen, Bagger und Baukräne prägen das Bild.
Was nun? Im Rahmen unserer exportorientierten Politik ermöglichen wir den Zuzug von Fachkräften und von deren Dienstleistern. Doch weil Bauland knapp ist, können die Bodenbesitzer nicht nur die Kaufkraft der Zuzüger, sondern auch die der Einheimischen abschöpfen – und zwar in einen volkswirtschaftlich relevanten Umfang.
Doch selbst, wenn das Bruttoinlandprodukt pro Kopf noch wachsen sollte, wird dessen Zusammensetzung immer schlechter – viel Saus und Braus für die Oberschicht, Stress und Knaus für die Mittel- und die Unterschicht.
Unter dem Strich nützt also der Zuzug von Arbeitskräften der Exportwirtschaft viel weniger, als er dem Binnenmarkt und dem sozialen Frieden schadet. Wir bräuchten also eine Neuausrichtung oder zumindest Adjustierung unserer Wirtschaftspolitik. Doch wie? Arbeitsmigration bremsen? Eigentumsrechte am Boden neu ordnen? Steuerwettbewerb noch stärker limitieren? Die Diskussion darüber müsste damit beginnen, dass die Medien kritische Fragen stellen.
Doch davon ist nichts zu sehen. Die Diskussion um die Mieten wird noch immer im alten Muster geführt: Wir brauchen mehr Wohnungen. Die Investoren bauen diese nur, wenn sie schnell Kasse machen können. Also braucht es weniger Einsprachen, schnellere Bewilligungsverfahren und höhere Eigenkapitalrenditen. Dies war übrigens die Hauptstossrichtung der oben erwähnten Studie des Immo-Beraters Iazi.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
«Es gehört zum Wesen des Kapitalismus, dass Politiker und Unternehmer sich gegenseitig in die Taschen wirtschaften», sagt Grace Blakeley in der letzten NNZaS. Sie hat recht, denn auch die Mieter waren unter anderen immer schon die Verlierer. Das hat eben System im Kapitalismus und wenn Werner Vontobel eine Systemänderung vorschlägt, kann er das tun, ist aber verlorene Liebesmüh, weil siehe oben.
Bösartig gedacht, brauchen wir eine ständige Zuwanderung schon nur deshalb, weil wir damit die immer zahlreicheren, kleineren und kaum verfügbaren Wohnungen füllen müssen, damit der Rubel bei der Klasse der Immobilienbesitzer rollt.
Wenn man dann noch die aktuell apokalyptisch steigende Zunahme der Schulden von Staaten und Privaten berücksichtigt (Schuldknechtschaft beim Fiat-Bankensystem über die nächsten XX Generationen) und dass damit vor allem aufgerüstet werden soll (Verhandeln scheint keine Option), dann wird klar: Wir brauchen dringend ein nachhaltigeres Geld- und Wirtschaftssystem.
Das Studium der Humanen Marktwirtschaft nach Peter Haisenko lohnt sich, weil es sämtliche Aspekte berücksichtigt und auch den Fiatgeld-Betrug beenden würde. Praktisch leistungslose Einkommen wie Mieten werden mit 40% hoch besteuert, dafür fallen Einkommens- und Mehrwertsteuer weg und es gibt ein vernünftiges, kleines Grundeinkommen, …
Ein Problem unterschlägt Werner Vontobel: Die Berechnungen der «Sollmiete» funktioniert nur, wenn der Vermieter den Boden schon seit langer Zeit besitzt. Wer neu ein Grundstück (mit oder ohne Haus drauf) kaufen will, muss einen horrenden Preis bezahlen. Dann kann man die Baukosten so tief halten, wie man will, der Gesamtpreis ist trotzdem sehr hoch. Und dann wird auch die Miete hoch, selbst wenn die Rendite nicht überrissen ist.
Und wenn wir überlegen, warum die Bodenpreise so hoch sind, dann ist die Antwort die gleiche wie bei den hohen Mieten: Weil jemand da ist, der bereit ist, einen solchen Preis zu bezahlen. Was auch bedeutet, dass alle, die weniger zahlungsbereit sind, den Zuschlag nicht erhalten.
Solange die urbanen Zentren der Schweiz dermassen attraktiv für Zuzüger sind (egal, ob aus dem Ausland, oder aus einer Randregion der Schweiz), wird die Situation für Wohnungssuchende ungemütlich bleiben.
Bodeneigentum beziehungsweise der Boden-/Immobilienmarkt ist eine gigantische Umverteilungsmaschine. Sehr verdankenswert, dass Werner Vontobel das Thema immer wieder einmal aufnimmt. Etwa im Gegensatz zu NZZ-Redaktor Hansueli Schöchli, der Umverteilung gefühlt in jedem seiner Beiträge aufs Korn nimmt. Für die NZZ ist (Boden-) Eigentum halt die zentrale Säule unserer Gesellschaftsordnung.
Vontobel ist und bleibt der beste Ökonom der Schweiz. Wohnpolitik verspricht zwar günstigere Mieten, kann diesem Versprechen aber unmöglich gerecht werden, denn damit würde ja die Immoblase platzen, an der die Pensionskassen usw. dranhängen. Tatsächlich sollen die Eigentümer mit Abschaffung des Eigenmietwerts nun sogar noch zusätzlich begünstigt werden. Die Perspektive ist klar: Verarmung von Mittel- und Unterschicht und Niedergang der Familien, kombiniert mit Massenimmigration, Überfremdung, Zersiedelung und Verkehrskollaps. Der richtige Knaller kommt aber noch, wenn die Schweiz durch Deutschland/Europa in eine Rezession/Depression gerissen wird.
Der Staat muss das Kommando übernehmen und den Wohnungsmarkt übernehmen und nicht Spekulanten. Der Staat bestimmt wo Wohnungen problemlos, schnell und ohne bürokratische Hindernissen gebaut werden. Und legt die Höhe der Mieten fest und nicht Renditen-Spekulanten. Häuser sollten Wertanlagen sein, so wie Goldbarren, die bringen keine monatliche Rendite aber der Wert steigt ständig. Häuser sind reale Werte und im Gegensatz zu den elektronischen Werten – sprich Wertpapiere. Der Staat funktioniert nur, wenn die Konsumenten genügend Kohle haben zum Ausgeben, wenn der Grossteil des monatlichen Einkommens für die Miete draufgeht, dann kann auch nicht viel konsumiert werden und der Staat nimmt weniger Steuern ein und muss sparen, das hat zur Folge, dass sich die Armut ausbreitet. Die hohen Mieten können nicht bezahlt werden. Das hat zur Folge: Obdachlosigkeit und unbewohnte Häuser.
Richtig erkannt: » Mietmisere zeigt: Wir haben das falsche Wirtschaftsmodell»
Gunther Kropp, Basel
Der Erwerb von Boden mit Schulden um dann mit weiteren Schulden ein Haus darauf aufzustellen um die Gewinne abzuschöpfen. Scheint mir ein Ponzi Scheme zu sein.
Ein schuldbasiertes Wirtschaftssystem kann scheinbar nichts anderes hervorbringen. Solange wir Geldwerte nicht wieder an reale Sachwerte binden wird sich das auch nicht ändern. Bewusst installiert von Neoliberalen durch die Aufhebung der Goldpreisbindung.