Vinschgau: Der Wind sorgt für Pestizidbelastung bis weit weg
Noch nie wurde ein Tal so gründlich untersucht. Forschende zweier Forschungsinstitute haben im Apfelanbaugebiet Vinschgau die Pestizidbelastung gemessen. Sie nahmen Proben von der Talsohle bis in die Schutzgebiete und fanden Pestizide bis hinauf in die Alpengipfel. In kleinen Konzentrationen zwar, aber an Stellen, wo sie definitiv nicht hingehören.
Dafür untersuchten die Teams der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) und der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) elf gedachte Strecken vom Tal bis zum Gipfel alle 300 Meter auf Pestizide.
An vier Tagen im Mai 2022 nahmen sie entlang dieser sogenannten Höhentransekten an 53 Stellen Pflanzen- und Bodenproben. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Februar in «Communications Earth & Environment».
«Wir fanden die Mittel in entlegenen Bergtälern, auf den Gipfeln und in Nationalparks.»
Carsten Brühl, Ökotoxikologe der RPTU
Insgesamt fanden die Forschenden 27 Pestizide – 10 Insektizide, 11 Fungizide und 6 Herbizide. Auch dort, wo kaum noch Äpfel angebaut werden und auf abgelegenen Bergwiesen. Eines der gefundenen Pestizide ist zudem seit Jahren verboten. Die Analyse sei aber nur eine Momentaufnahme, sagen die Forschenden. Zu anderen Jahreszeiten könnten Art und Verteilung der Pestizide anders aussehen.
«Wir fanden die Mittel in entlegenen Bergtälern, auf den Gipfeln und in Nationalparks. Dort haben sie nichts verloren», fasst der Umweltwissenschaftler und Hauptautor Carsten Brühl zusammen.
Ganz überraschend waren diese Ergebnisse nicht. Die synthetischen Pestizide im Vinschgau würden mit Gebläsen verteilt, schreibt die RPTU in einer Pressemitteilung. Die Annahme, dass sie sich auch über die Obstplantagen hinaus verteilen, liege daher nahe.
Auswirkungen auf die Natur noch unklar
Das zeigten bereits andere Untersuchungen. Spritzgifte fanden sich auch schon auf Spielplätzen, in Naturschutzgebieten und auf Bio-Äckern. Aus ökotoxikologischer Sicht sei das Vinschgauer Tal interessant, weil dort hochintensive Landwirtschaft und alpine Schutzgebiete nahe beieinanderlägen, sagt die RPTU.
Mit dem Abstand zu den Apfelplantagen nehmen die gefundenen Pestizidmengen ab. Ursache der weiten Verbreitung im Vinschgau seien vermutlich starke Talwinde und die Thermik, vermuten die Forschenden.
Welche Auswirkungen die geringen gefundenen Mengen auf die Natur haben, ist noch unklar. Auch in kleinen Konzentrationen können Spritzgifte auf Organismen wirken, zum Beispiel indem sie Krankheiten begünstigen oder die Vermehrung einer Art einschränken. In der Region gibt es einen stetigen Rückgang der Schmetterlingspopulation, der möglicherweise damit zusammenhänge. Nicht untersucht sei zudem das Zusammenspiel verschiedener Pestizide.
Ein weiteres Kapitel im Vinschgau-Krimi
Die Untersuchung fügt einer schon länger andauernden Kontroverse ein weiteres Kapitel hinzu. Der Vinschgau in Südtirol ist das grösste zusammenhängende Apfelanbaugebiet Europas. Jeder zehnte europäische Apfel wird dort produziert, grösstenteils in konventionellem Anbau. Die rund 7000 Apfelbauern im Vinschgau verwenden im Jahresverlauf eine ganze Reihe synthetischer Pestizide.
Eine detaillierte Analyse des Umweltinstituts München aus Daten von 2017 löste 2023 mindestens Befremden, wenn nicht Entsetzen aus. Äpfel sind eine der am meisten mit Pestiziden behandelten Obstsorten, nicht nur im Vinschgau. Das Umweltinstitut legte dar, dass während der Saison jeden Tag mit Pestiziden hantiert wurde. Die Forschenden hielten einen so umfangreichen Pestizideinsatz für unnötig.
Grosse mediale Aufmerksamkeit erregte auch ein Bürgerentscheid der Gemeinde Mals gegen chemische Spritzmittel. Es folgten eine Klagewelle, Sabotageaktionen, ein Dokumentarfilm und viel Streit um die sogenannten «Spritzhefte», in denen Vinschgauer Bauern Pestizideinsätze dokumentiert hatten. Ein veritabler Apfel-Krimi also (Infosperber berichtete hier und hier und hier).
Forschende appellieren an Konsumenten und Supermärkte
Wie im Apfelanbau Pestizide ausgebracht würden, sei offenbar verbesserungswürdig, zitiert die dpa die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Rheinland-Pfalz. Nötig sei eine drastische Reduzierung des Pestizideinsatzes und die Förderung der Biodiversität in den Apfelplantagen und deren Umgebung. Angesprochen seien jedoch auch Konsument:innen und Supermärkte. Mehr Akzeptanz von nicht ganz so perfekt aussehenden Äpfeln sei nötig, wie sie beim Einsatz von weniger oder keinen Pestiziden häufig entstünden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Auch eine Gefahr; Chlormequatchlorid, ein Pflanzenwachstumsregulator, der häufig bei Getreidepflanzen verwendet wird, schädigt stillschweigend die menschliche Bevölkerung, indem es Männer und Frauen unfruchtbar macht. Chlormequatchlorid reduziert nicht nur die männliche und weibliche Fruchtbarkeit, sondern schadet auch einem sich entwickelnden Fötus.
Und des weiteren : Ein Problem in den Alpen sind die Hochleistungskühe. Auf den Alpweiden bekommen sie zu wenig Nährstoffe. Die verlangte Milchleistung erreichen sie nur mit raufgekarrtem Kraftfutter und stark gedüngten Alpweiden, damit mehr Futter wächst. Mehr Milchvieh auf der Alp bedeutet auch mehr Mist und mehr Nährstoffe, die wiederum mehr unerwünschte Pflanzen spriessen lassen.Gleichzeitig werden Herbizide gespritzt dass es nur so rauscht. Herbizide auf der Alp seien die logische Folge einer jahrzehntelangen Misswirtschaft, sagt Fibl-Präsident Martin Ott.
Das Problem der Hochleistungskühe hat zwar mit Pestiziden nichts zu tun, es würde mich trotzdem interessieren, woher Ruedi Basler diese Informationen hat. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Hochleistungskühe auf Schweizer-Alpen gebracht werden.
Quellen : Pro Natura, Herr Roger Bisig und Franz Josef Steiner, Fibl.
Noch was : 2014 griff der Bund ein und bezahlt seither deutlich höhere Sömmerungsbeiträge. «Man war sich einig, dass die Sömmerung ohne grössere Direktzahlungen nicht mehr rentiert», sagt Fibl-Experte Franz Josef Steiner. «Viele Alpen würden ohne Beiträge gar nicht mehr genutzt.»
Die höheren Direktzahlungen lösten auf den Alpen einen regelrechten Herbizidboom aus. In der Verordnung heisst es zwar, die Alpen müssten «sachgerecht und umweltschonend bewirtschaftet» und «mit geeigneten Massnahmen vor Verbuschung oder Vergandung geschützt werden». Aber wie viel Herbizide auf Schweizer Alpen ausgebracht werden, weiss niemand.
Fazit : Ohne massive Pestizidduschen und zusätzliches Kraftfutter hat es zuwenig Futter für Kühe.