240520 NYT Viehtransporte

Die «New York Times» berichtete über Viehtransporte: Millionen von Kühen und Schweinen verbreiten Krankheitserreger von einem Ort zum anderen. © NYT

Tiertransporte verbreiten Krankheitskeime in den ganzen USA

Josef Estermann /  Verfrachtete Kühe und Schweine verstreuen krankmachende Keime. Die Industrie nutzt viele Schlupflöcher und umgeht Regulierungen.

Das Vogelgrippevirus H5N1 hat sich wahrscheinlich aufgrund der Viehtransporte quer durch die Vereinigten Staaten verbreitet. Nach dem ersten Auftreten Ende letzten Jahres bei Wildvögeln in Texas sei das Virus laut namhaften Wissenschaftlern auf das Vieh übergesprungen und ist in diesem Frühjahr in den Bundesstaaten Idaho, North Carolina und Michigan gesichtet worden. Dies sei auf natürlichem Wege unmöglich, erklären die beiden Journalistinnen Emily Anthes und Linda Qiu in der New York Times.

Die auf Tierwohl und Veterinärwesen spezialisierte Emily Anthes und die mit Faktenchecks bei Politikern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens betraute Linda Qiu sind den Spuren des Vogelgrippevirus nachgegangen und haben Erstaunliches zu Tage gefördert. 

Lebende Tiere werden quer durch die ganzen USA gekarrt

Schätzungen zufolge werden in den USA pro Jahr rund 21 Millionen Kühe und 62 Millionen Schweine transportiert. Dabei sind Zahlen zu Geflügel, aber auch Transporte innerhalb eines Bundesstaates oder solche zum Schlachthof nicht inbegriffen. Es geht also um Tiertransporte zwischen Bundesstaaten, und dies vor allem aufgrund einer «Arbeitsteilung», wie sie in der Industrie schon lange gang und gäbe ist.

Es gibt Betriebe, die nur für die Aufzucht, andere für das Mästen der Tiere und wieder andere für die eigentliche Milch- oder Fleischproduktion zuständig sind. So wurden 2022 Schätzungen zufolge über 500’000 frisch geborene Kälber von einem Bundesstaat in einen anderen gekarrt. Im Extremfall wurde dabei 1500 Kilometer zurückgelegt.

Das Tierwohl bleibt auf der Strecke

Das Tierwohl, bzw. Tierquälerei ist dabei die eine Sache. Die zunehmende Verbreitung von Krankheitskeimen, die auch für den Menschen gefährlich werden können, eine andere. Für die Tiertransporte gilt noch immer ein Gesetz aus dem Jahre 1873, demzufolge lebende Tiere «nur» 28 Stunden am Stück transportiert werden dürfen, bevor sie den Laster für fünf Stunden verlassen dürfen, um zu trinken, fressen und auszuruhen. Aber sogar diese Regelung werde immer wieder umgangen.

Das US-Department für Landwirtschaft (U.S.D.A.) könnte die interstaatlichen Tiertransporte in eigener Regie reglementieren, tut dies aber aufgrund von Bedenken seitens der industriellen Landwirtschaft nur in Ausnahmefällen. “Ich denke, dass die US-Landwirtschaftsbehörde diesen Lebenszyklus so nahtlos wie möglich gestalten möchte,” meint Ann Linder, die an der Harvard Universität auf Tierrecht spezialisiert ist.

Ausbreitung des Vogelgrippevirus durch Tiertransporte

Die zweite Seite der Problematik, das Verbreiten von Krankheitskeimen über Tiertransporte, könnte in nicht allzu ferner Zukunft zu erheblichen Problemen der Volksgesundheit führen, meinen die beiden Journalistinnen der NYT. Seit März dieses Jahres wurde die Vogelgrippe in knapp 70 Milchviehherden in neun Bundesstaaten* nachgewiesen, und mindestens drei Mitarbeiter von Milchbetrieben wurden infiziert. Um den Ausbruch einzudämmen, hat die US-Landwirtschaftsbehörde letzten Monat damit begonnen, Influenza-A-Tests für Milchkühe vorzuschreiben, die Staatsgrenzen überschreiten.

Nach Jus-Professorin Linder bilden solche Viehtransporte den perfekten Mix für die Ausbreitung von Zoonosen, also Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden. So haben Stichproben bei Geflügel ergeben, dass bei solchen, die auf dem Hof geschlachtet werden, 12 Prozent Campylobacter enthielten, eine Bakterie, die für Lebensmittelvergiftung verantwortlich ist. Bei Geflügel, das über weite Strecken transportiert worden war, war die bei 56 Prozent der Fall.

Höhere Ansteckungsraten bei transportierten Tieren

Dabei gehen die Forscherinnen und Forscher davon aus, dass die Viren oder Bakterien aufgrund der extremen Bedingungen der Transporte (enger Raum, lange Dauer, unhygienische Umstände usw.) leichter übertragen werden. Zudem bedeutet die Stresssituation für die Tiere, dass deren Immunsystem deutlich geschwächt wird und sie für Erreger viel empfänglicher sind. Diese Krankheitssymptome bei Tieren, die über weite Strecken transportiert werden, ist auch als «Transportfieber (shipping fever) bekannt. Statistiken zu solche Krankheits- oder gar Todesfällen gibt es leider nicht.

Die Ansteckungsketten können nicht immer nachgezeichnet werden. Oft findet eine Ansteckung erst Tage oder Wochen statt, nachdem die Tiere am Bestimmungsort angekommen sind. Es sind auch Fälle bekannt, dass die Erreger vom offenen Laster auf die nachkommenden Fahrzeuge übergesprungen sind. Im Fall von Schweinen sei die Ausbreitung der Schweinegrippe vorwiegend auf den «globalen Handel» von Schweinen und Schweinefleisch zurückzuführen. «Der globale Schweinehandel erhöht die Vielfalt der pathogenen Stämme auf der ganzen Welt», meint Gemma Murray, Evolutionsgenetikerin am University College London.

Schwache Reglementierung

Zwar benötigen Tiertransporte zwischen einzelnen Bundesstaaten ein Gutachten eines Tierarztes, aber dieses beinhalte in den seltensten Fällen Angaben zu möglichen Krankheitserregern. Einzelne Bundesstaaten habe inzwischen eigene Regulierungen beschlossen. Utah etwa fordert für Viehtransporte Tests mit negativem Ergebnis oder einer Impfung gegen die bakterielle Erkrankung Brucellose. Und in Maryland muss Geflügel negativ gegen den Salmonellenerreger Pullorum und Typhus getestet sein.

Politiker fordern jetzt restriktivere Bestimmungen für die interstaatlichen Tiertransporte und ein allgemeines Trackingsystem und Register der verfrachteten Tiere, wie dies in vielen europäischen Ländern der Fall ist. Am 20. Mai hat Grossbritannien Exporte lebender Tiere ausserhalb der Landesgrenzen verboten (Infosperber berichtete darüber).

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*in einer früheren Fassung dieses Artikels stand 51 Milchviehherden. Diese Zahl hat sich inzwischen erhöht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Kuh

Landwirtschaft

Massentierhaltung? Bio? Gentechnisch? Zu teuer? Verarbeitende Industrie? Verbände? Lobbys?

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