So schonungslos ist die Bio-Landwirtschaft geworden
Der Markt für Bio-Produkte wächst stark. Die Produzenten müssen immer mehr liefern. Deshalb haben viele Bio-Bauern ihren Anbau und ihre Tierhaltung industrialisiert – und wenden nun die gleichen Methoden an wie die konventionelle Landwirtschaft.
Die Folge: Die Etikette «biologisch» erfüllt immer weniger die Vorstellungen der Konsumenten von naturnaher Landwirtschaft und Tierzucht. In der Reportage «La face obscure du Bio» zeigt das Westschweizer Fernsehen «RTS» diese dunkle Seite des Bio-Booms: untaugliche Kontrollen, Massenproduktion, Tierleid und ökologische Wüsten.
Allein in der Schweiz werden mit Bioprodukten pro Jahr vier Milliarden Franken Umsatz gemacht. Viele Konsumenten kaufen regelmässig Bio-Produkte – im Glauben, sie würden Gemüse, Obst und Fleisch von kleinen Bauernhöfen kaufen, wo die Hühner und Schweine frei auf der Wiese herumlaufen und die Besitzer respektvoll mit der Natur umgehen.
Tatsächlich ist die Bio-Produktion in Europa aber zur Industrie geworden, die auch ohne Pestizide mit schonungslosen Methoden die Natur zerstört. Indem sie zum grossen Trend wird, gerät die Bio-Landwirtschaft auf Abwege.
Grenzenloses Wachstum erlaubt
Es entstehen riesige Bio-Höfe, solche wie das Hofgut Eichigt in Sachsen (D). Der Hof bewirtschaftet 4500 Hektaren und hält 1500 Milchkühe. Zum Vergleich: In der Schweiz gelten Bio-Betriebe mit mehr als 50 Hektaren als gross. Und der grösste konventionelle Landwirtschaftsbetrieb hat knapp 900 Hektaren. 80 Milchkühe sind für einen Schweizer Bio-Betrieb schon viel.
Die EU-Vorgaben für Biobetriebe sind grosszügig – zu grosszügig für Hannes Lorenzen. Der Agrarexperte war als Berater in Brüssel tätig. Er kritisiert, dass in der EU-Agrarpolitik keine Limiten, etwa für die Tierhaltung, festgelegt worden sind. Er ist besorgt über das grenzenlose Wachstum: «Die Bauern müssen sich den Strukturen anpassen, die eigentlich nicht mehr biologisch sind.»
Auch Bio-Kühe haben kein schönes Leben
Die Massentierhaltung bei Bio-Tieren hat auch schon zu Skandalen geführt. Im Report «Tierleid im Einkaufskorb» zeigt die deutsche Organisation Foodwatch, dass auch Bio-Landwirtschaft Nutztiere krank macht.
So zeigte die Untersuchung in 60 Ökobetrieben, dass dort 54 Prozent der Milchkühe entzündete Euter hatten. Annemarie Botzky von Foodwatch sagt dazu: «Das ist skandalös. Denn die Konsumenten, die ein Bio-Produkt kaufen, erwarten die beste Tierhaltung und gesunde Tiere. Und das ist nicht der Fall.»
Die Kontrollen: eine Farce
Die Bio-Vorgaben werden zu wenig streng kontrolliert. Die Journalistin Anne Kunz hat bei der Durchsicht von 500 Protokollen zu Kontrollen in deutschen Biobetrieben Schockierendes gelesen. Ihr Fazit: «Die Prinzipien der Massentierhaltung sind schon tief im Biobereich verwurzelt.»
Sie schildert einen der Tricks der Bio-Tierhalter: «Normalerweise haben Bio-Legehennen Zugang zu einem Aussenraum. Aber ein Tier, das nach draussen geht, kann Keime erwischen und krank werden. Deshalb gibt es Tierhalter, die unter der Erde Stromkabel verlegen, so dass jedes Huhn, das raus will, einen Stromschlag erhält und nicht mehr hinaus will.
Die deutschen Biobetriebe werden mindestens einmal pro Jahr von privaten Kontrollstellen überprüft. Die Bauern müssen die Kontrollen selber bezahlen. Daraus ergibt sich ein Interessenskonflikt: Die Kontrolleure erhalten Geld von den Bauern, die sie überprüfen. Verstösse gegen die Bio-Richtlinien werden mit geringen Bussen bestraft – oft sind es nur 1000 Euro, kritisiert Anne Kunz.
Anbau in der Wüste
Viele Bio-Produkte kommen aus dem Ausland: Zitronen, Orangen und Tomaten werden aus Spanien, dem billigen Gemüsegarten Europas, importiert. Sie wachsen genauso wie die konventionellen Früchte und Gemüse in den riesigen Plastik-Treibhäusern in der Region Almería. Die «Bio-Bauern» exportieren jedes Jahr 50’000 Tonnen Tomaten, die als «biologisch» gelten.
Unter den Plastikplanen kann bis zu dreimal pro Jahr geerntet werden. Die Bio-Betriebe sind am Umweltdesaster in Südspanien – an den ausgetrockneten Flussbetten – mitschuldig.
Auch Gewerkschafter kritisieren die Bio-Betriebe in der Region: Sie beschäftigen genauso wie die konventionellen Betriebe illegal Eingereiste unter miserablen Bedingungen. «Wäre Bio etwas anderes, gäbe es das nicht», findet ein Gewerkschafter angesichts der Zustände in Almería.
Trotz Bio sind Pestizide erlaubt
Die Verwendung von Pestiziden in der Bio-Landwirtschaft ist ein Tabu-Thema. Doch im Handel sind 392 Bio-Pestizide erhältlich. Sie sind etwa einen Fünftel teurer als die chemischen Varianten.
Am meisten Bio-Pestizide werden in Frankreich gebraucht. Dort werden sie vor allem im Weinbau verwendet. Ein Bio-Weinbauer aus der Region Bordeaux sagt: «Natürlich spritze ich die Pflanzen. Das wird von den Konsumenten zu wenig verstanden. Im Bio-Weinbau spritzten wir schon seit jeher.» Der Grund: Auch Bio-Wein muss für die Weinbauern rentabel und trotzdem für die Konsumenten erschwinglich sein. «Wir können uns nicht erlauben, jedes Jahr die Hälfte der Ernte zu verlieren», erklärt der Weinbauer.
Aber es gibt Fortschritte
Immerhin: Stichproben zeigen, dass in den allermeisten Bio-Lebensmitteln keine Pestizide nachweisbar sind. Für die Konsumenten ist das ein Fortschritt.
Die Journalistin Anne Kunz kommt zum Schluss: «Wenn unsere Ernährung künftig zur Hauptsache aus Bio-Produkten bestehen soll, müssen wir zur Massenproduktion kommen. Aber wir sollten jene Produktionsarten bevorzugen und angemessen entschädigen, die am besten funktionieren und trotzdem ökologisch sind.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Bittere Kost, für Menschen die sich in Coop und Migros einen Anlass kaufen, wie einst bei Johann Tetzel.
Kommt dazu, die donnern mit ganzen Kolonnen Riesentraktoren und Erntemaschinen, sowie mit 3 achsigen riesigen Gülleanhängern, durch das Zürcher Weinland bis in den Thurgau.
Durch x Dörfer.
Nur weil dort günstiger zu pachten ist (vermutlich, klimatisch noch nicht mal besonders, 600 m.ü.M
Auf den Äckern stellen sie während der Arbeiten mobile Toiletten hin, das ganze sieht aus wie ein Strafgefangenenlager im 2. Weltkrieg, bei der Arbeit.
Ich gehe mal davon aus, dass solche «Bio»Gemüsler keine Subventionen erhalten, aber trotzdem durch geschützte Preise profitieren.
Wenn ich meine Kulturen nur mit unwirksamen Mitteln schützen kann werde ich sie hermetisch von der Umwelt Abschirmen.
Das ist eine logische Folgen der Bürokratie welche von Bio diktiert wird. Ein Biobürokrat bekommt seinen Lohn, gleichgültig was er macht oder am Schreibtisch sitzt. Ein Biobauer muss Tag täglich für sein Einkommen gegen die Natur und Bürokraten kämpfen wenn er sein täglich Brot verdienen will.
Ein Thema oder einen Gegenstand zerlegen, der allgemeine Sympathie geniesst, ist ein journalistischer Leckerbissen. Wie Esther Diener-Morscher vormacht, scheint dies besonders gut zu gelingen, wenn mit grobem Stift gezeichnet wird und Graustufen unterschlagen werden. Die Aussage, dass auch Biolandwirtschaft Wirtschaft ist, sollte eigentlich nicht überraschen. Und dass nach Rationalisierungspraktiken gesucht wird, ebenso wenig. Aber beispielsweise das Hofgut Eichigt als Beleg für «grenzenloses Wachstum» auszuwählen, ist tedenziös. Die Autorin suggeriert, dass die Grösse dieses Hofs dem Biowachstumswahn zu verdanken ist. Jedoch: In der DDR war dieser Hof eine LPG (Landw. Produktionsgenossenschaft). Wäre der Autorin wohler, wenn dieser Riesenbetrieb heute mit Produkten von Bayer geflutet, statt mit Bio-Methoden bearbeitet würde? Gerne wüsste man mehr über die unterirdischen Stromkabel. Ein Einzelbeispiel oder ein Massenphänomen? Oder: was ist ein Bio-Pestizid? Tönt einfach schlimm.