Rumäniens Holzmafia holzt die letzten Urwälder ab
Illegaler Holzschlag ist in Osteuropa weit verbreitet. Er bedroht unter anderem die alten Wälder Rumäniens, die in alarmierendem Tempo verschwinden. Die Holzmafia, die die Wälder schonungslos ausbeutet, schreckt auch vor Gewalt nicht zurück.
Einer der grössten Profiteure der Holzwirtschaft Rumäniens ist der weltweit grösste Möbelhersteller IKEA. IKEA besitzt in Rumänien schätzungsweise 50‘000 Hektaren Wald und ist der grösste private Waldeigentümer des Landes.
Wer Fragen stellt, muss mit Gewalt rechnen
Wer den illegalen Aktivitäten auf der Spur ist, wird an Leib und Leben bedroht. Im September 2021 wurde eine Dokumentarfilm-Crew, die einen lokalen Umweltschützer begleitete, von 15 mit Äxten und Knüppeln bewaffneten Männern angegriffen. Ihr Auto wurde aufgebrochen, die Reifen aufgeschlitzt, die Kameraausrüstung zerstört. Dem Regisseur gelang es, in den Wald zu fliehen, sich zu verstecken und die Polizei zu informieren. Er fürchtete um sein Leben, beschreibt das US-Magazin «The New Republic».
Einer der beiden anderen Männer war bewusstlos geprügelt. Zuvor hatten sie den zuständigen Förster informiert. Der Vorfall wurde von der Nachrichtenagentur AP aufgenommen, die «Washington Post» berichtete. Vier der Beteiligten wurden wegen «Schlägerei» angeklagt und kamen bis zum Prozess auf freien Fuss.
Hunderte dokumentierte bewaffnete Angriffe
Der Aktivist Tiberiu Bosutar floh in die Hauptstadt Bukarest. Keine übertriebene Vorsicht, das zeigen die Übergriffe in der Vergangenheit. 2015 wurde der Umweltaktivist Gabriel Paun vor laufender Kamera von Holzfällern bewusstlos geschlagen. Er verliess das Land und tauchte jahrelang unter. Auf die Ministerin für Wasser- und Waldangelegenheiten, Doina Pana, wurde 2017 ein Giftanschlag mit Quecksilber ausgeführt, nachdem sie versucht hatte, gegen illegale Abholzung vorzugehen.
2019 wurden innerhalb weniger Wochen unabhängig voneinander zwei Waldhüter getötet. Während der letzten Jahre, sagte Paun 2020 zu «Al Jazeera», seien sechs Waldhüter ermordet worden, einige mehr seien unter unklaren Umständen ums Leben gekommen. In einem Jahr gab es 650 registrierte bewaffnete Angriffe mit Äxten, Messern und Schusswaffen, berichtete beispielsweise «SRF Kassensturz», der ebenfalls mit Paun gesprochen hat. Verfolgt wurden sie selten.
Nicht, dass die Behörden viel ausrichten können. Es gibt zu wenige Waldhüter. 2015 waren es 617 für das ganze Land. Nacht- und Wochenendbereitschaften gibt es nicht.
Mafia-Methoden für einen wichtigen Rohstoff
Andere vergleichen die rumänischen Wälder mit einem Kriegsgebiet: «In Mossul 2016 habe ich mich sicherer gefühlt», sagt der ehemalige Auslandskorrespondent Mircea Barbu, der für die rumänische Organisation «Agent Green» tätig ist. Wer in den Fokus der Holzmafia gerate, könne damit rechnen, dass auch seine Familie bedroht werde.
Wo solche Methoden angewandt werden, muss es um wichtige Interessen gehen. Oder um viel Geld. Bei Rumäniens Wald trifft beides zu. In den Karpaten steht die Hälfte der ältesten Wälder Europas ausserhalb Skandinaviens und ein Teil des weltweit ältesten unberührten Baumbestands. Holz ist eine knappe Ressource, sie wird weltweit dringend gebraucht (Infosperber: «Kein Holz für die Hütte»).
«Agent Green» wirft IKEA aufgrund eigener Recherchen vor, systematisch Umweltstandards zu verletzen und damit nicht nur gegen die eigenen Richtlinien, sondern auch gegen Bestimmungen des FSC-Gütesiegels zu verstossen, sowie gegen europäisches und internationales Recht.
Report enthüllt: Die Hälfte des rumänischen Holzschlags ist illegal
Die Auflösung der Sowjetunion überführte einen grossen Teil der relativ unberührten rumänischen Wälder vom Staats- in Privatbesitz. Heute ist der schwedische Möbelhersteller IKEA der grösste private Waldeigentümer Rumäniens und der grösste einzelne Holzverbraucher des Planeten. Geschätzt zehn Prozent seines Holzbedarfs stammen aus Rumänien. Jedes Jahr verbraucht das Unternehmen zwei Millionen Bäume mehr.
Rumänien seinerseits macht seinen natürlichen Reichtum zu Geld – auf nicht immer legale Weise. 2018 stellte ein ursprünglich interner Report der Regierung fest, dass von den im vergangenen Vierjahreszeitraum geschlagenen 38,6 Millionen Kubikmeter Holz nur die Hälfte genehmigt worden war.
Selbst in ausgesuchten Gebieten ist die Recherche gefährlich
Seit dem EU-Beitritt Rumäniens gingen schätzungsweise die Hälfte bis zwei Drittel seiner Urwälder verloren. Der Journalist Alexander Sammon, der für «New Republic» recherchiert hat, begibt sich in Begleitung eines lokalen Aktivsten selbst in den Wald, um sich ein Bild zu machen.
Schon bei der Planung schliesst er mehrere Gebiete aus, weil er sie als zu gefährlich einschätzt, und legt den Termin auf ein Wochenende, an dem er keine Arbeiten erwartet. Ausserdem reist er in ein Gebiet, dessen Holzschlag schon mehrmals dokumentiert wurde.
Mit einer Drohne wollen Sammon und seine Begleitung den beschädigten Wald dokumentieren, finden aber schon bald frisch geschlagene Bäume, an denen noch Äste hängen. Das ist verboten, weil die Äste Boden und Unterholz zerstören, wenn die Bäume über den Boden geschleift werden, was Erosion begünstigt.
Die Arbeiten sind in der rumänischen Datenbank und vor Ort als Ausdünnung markiert, geschlagen werden aber Bäume, die alt und gesund sind, das können die Beobachter sehen. Auch sie kommen in der unwegsamen Gegend, in der nur noch die schweren Maschinen der Waldarbeiter vorwärtskommen, in eine brenzlige Situation, die sich aber gewaltfrei auflöst.
Korruption, Verschleierung und Gewalt
Ein Teil des rumänischen Waldes ist von der EU geschützt. Das «Natura 2000» Programm spielt eine massgebliche Rolle in der Biodiversitäts-Strategie der EU. Ältere Wälder absorbieren zudem 70 Prozent mehr CO2 als Wiederaufforstungen, sie sind die effektivsten CO2-Senken des Planeten.
Kahlschlag vernichtet nicht nur die letzten Habitate wilder Tierarten in Europa, er begünstigt in der Folge Windschäden, Erosion und die Ausbreitung von Borkenkäfern, was den verbliebenen Wald weiter beschädigt.
Illegaler Holzschlag wird auf mehrere Arten verschleiert. Die häufigste Methode ist, mehr Holz zu schlagen, als genehmigt ist. Als Beweis, dass sie dem Gesetz folgen, müssen die Holzfahrer ihre Ladung fotografieren und die Bilder in eine Datenbank hochladen, in der auch die Genehmigung erfasst ist.
Manchmal fotografieren sie nur einen Teil der Ladung, verschmutzen die Linse mit Wasser oder sie warten, bis sie von Behörden angehalten werden und sagen, sie hätten keine Netzverbindung gehabt. Auch auf Sammons Exkursion fällt ein Fahrzeug auf, bei dem nur ein Teil der Ladung dokumentiert ist.
Sobald ein Baum im Lager liegt, ist es zu spät
Ist ein geschlagener Baum erst einmal auf dem Weg, ist es fast unmöglich, seine illegale Herkunft festzustellen. Er wird zu einem Lager transportiert, das ihn an ein Sägewerk verkauft. Dort wird er zu Schnittholz, Spänen oder Spanplatten verarbeitet und an einen Hersteller weiterverkauft, der daraus Möbel produziert. Mit jedem Glied in dieser Kette wird der Ursprungsort des Holzes unklarer. Vor allem Lagerhäuser sind dafür bekannt, dass sie illegale und legale Stämme zusammenstapeln, um den illegalen Anteil zu verschleiern.
2020 leitete die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Rumänien ein. Das Land hatte für Genehmigungen keine Umweltprüfungen durchgeführt und Teile unter dem EU-Programm geschützter Gebiete abgeholzt. Die Androhung rechtlicher Schritte hat die Abholzung nur beschleunigt. Es geht darum, so viel Holz zu machen wie nur möglich, bevor ein Verbot erlassen wird.
Die Abnehmer wissen von nichts
Dass ausgerechnet der grösste Waldeigentümer und Grossabnehmer IKEA davon nichts weiss, ist unwahrscheinlich. 98 Prozent seines Holzbedarfs sei nachhaltig geerntet, das heisst, recycelt oder FSC-zertifiziert, gibt das Unternehmen auf seiner Website bekannt. Illegalen Holzschlag unterstütze IKEA nicht.
David Gehl von der «Environmental Investigation Agency» (EIA), die Umweltverbrechen nachgeht, sagt, dass andere grosse Unternehmen ähnliche Aussagen machen. Sie führen den Raubbau in Rumänien auf illegalen Holzschlag für Feuerholz zurück. Dass 55 Prozent der Holzernte eines Landes in den Öfen einer Bevölkerung endet, die seit 1990 um vier Millionen Personen geschrumpft ist, ist für den Vertreter der Nichtregierungsorganisation eher nicht vorstellbar.
Kritik an der FSC-Zertifizierung
Kritik gibt es dafür am Zertifizierungsprozess. Organisationen, die die Zertifizierung nach den Regeln des Forest Stewardship Council (FSC) vornehmen, gibt es mehrere. Sie vergeben anhand von zehn Grundprinzipien ein Zertifikat.
Die Auditoren arbeiten als Kontraktoren für die Holzindustrie und prüfen bei geplanten Terminen die Eignung des Unternehmens. Ein Prozess, der für Tricksereien und Korruption anfällig ist. Wer kein Zertifikat bekommt, fragt einfach bei der nächsten Organisation an. Zertifiziert wird, wie «The New Republic» beschreibt, auch noch Jahre, nachdem der Einschlag schon begonnen hat. Sogar, wenn gar keine Genehmigung vorliegt.
Die Subunternehmer-Praxis von IKEA
IKEA schlägt das Holz in Rumänien auch nicht selbst, sondern schliesst Verträge mit Herstellern ab. Diese müssen dann genügend Holz besorgen, um die zugesagten Möbelteile liefern zu können. Dafür wenden sie sich an die Sägemühlen, die genügend Holz kaufen müssen, um ihren Verpflichtungen nachzukommen.
Dass bei diesem Prozess «abgekürzt» werde, wenn die Ware knapp werde, sei augenscheinlich, sagt Tara Ganesh, Leiterin der Abteilung Holzforschung bei der britischen Nichtregierungsorganisation Earthsight. Das Subunternehmer-System hat nicht nur finanzielle Vorteile: Wenn ein Unternehmer mit illegaler Holzbeschaffung auffliegt, können sich IKEA und andere Marktteilnehmer distanzieren.
Geschehen ist das beispielsweise mit dem rumänischen Unternehmen Plimob, das sich mit den IKEA-Farben blau und gelb schmückt und 98 Prozent seiner Produkte an IKEA verkauft. 2020 wurde es dabei erwischt, Stühle aus illegal geschlagenem Holz zu verkaufen.
Auch andere Zulieferer wie Egger, Kronospan und VGSM fielen bereits mit illegalen Aktivitäten auf. Das Holz stammte aus der Ukraine, Rumänien und Sibirien und war FSC-zertifiziert. Einige dieser Unternehmen bekommen laut «New Republic» weiter Aufträge von IKEA.
Für Konsumenten undurchsichtig
Für Konsumenten ist es quasi unmöglich, die Herkunft eines Möbelstücks nachzuvollziehen. Auf dem Produkt angegeben ist oft nur der Ort des letzten Fertigungsschritts. «Made in Vietnam» oder «Made in the European Union» beispielsweise. Codes auf der Verpackung geben mehr Auskunft, sind aber IKEA-intern und nicht öffentlich bekannt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Danke, Frau Gschweng, für diesen sorgfältig recherchierten u. sehr informativen Beitrag! Überhaupt bewundere ich das überaus breite Themenfeld, zu dem Sie jeweils interessante u. wichtige Artikel schreiben – Chapeau!
Einerseits bin ich froh, aus anderen Gründen noch nie etwas von IKEA gekauft zu haben. Andererseits kann ich das Unternehmen wegen diesem Holz-Frevel nicht noch mehr boykottieren!
Es ist erstaunlich, dass so etwas in einem EU-Staat möglich ist. Die EU müsste interessiert sein an einer nachhaltigen Holzwirtschaft und an Mitgliedstaaten die ohne Mafiastrukturen arbeiten.
Wer jetzt das Heil der Ukraine im EU-Beitritt sieht, kann in 10 oder 20 Jahren solche Texte über die Ukraine lesen.
Interessant das noch jemand darüber berichtet, diese Holzdiebstähle in Rumänien werden
seit 20 Jahren praktiziert. An erster Stelle ist Österreich beim abholzen tätig. Bei der korrupten
Regierung in Rumänien kein Wunder!!!
Wir leben in einem System, dass ohne Wirtschaftswachstum nicht funktioniert. Es ist ein Zwang, der «per Desing» eingebaut ist. Die «Erschliessung» von neuen Absatz- und Ressourcenmärkten ist bei einem exponentiellen Wirtschaftswachstum unerlässlich. So war es für uns nützlich, dass der Zusammenfall des Kommunismus es ermöglicht hat, in diese Länder zu expandieren, unsere westliche Produkte zu verkaufen und ihr «Gold» zu holen. Korrupte Politiker, die auf ihr Vorteil bedacht sind, gibt es ausreichend. Die Menschen mussten massenweise das Land verlassen, um im Ausland ihre Existenz sichern zu können. Auch dort werden sie (als Erntehelfer) gerne ausgebeutet. Diese Menschen haben Not. Ich möchte nicht Ikea verteidigen, doch Ikea hat in Rumänien Tradition, war schon zu kommunistischen Zeiten dort. Wie auch andere deutsche Möbelhersteller. Ich weiss, wovon ich rede. Es ist nach wie vor unser Wirtschaft- und Wertesystem, dass hier wirkt. Darüber müssen wir nachdenken.
Danke für diesen umfangreichen, wichtigen Beitrag! Gerade weil (!) dieses Thema schon seit vielen Jahren hochaktuell ist und immer wieder ausführlicher in einzelnen Medien beschrieben wird – ohne dass sich Wesentliches ändern würde! – finde ich es wichtig, immer wieder darauf hin zu weisen.
Und wir brauchen (@ Bruno Rabe) keine 10 Jahre warten: schon seit Jahren existiert die selbe Praxis auch in den Ukrainischen Karpatenwäldern, verwickelt ist ua. ebenfalls IKEA (s. zB. hier: https://www.addendum.org/holzmafia/ikea-auf-dem-holzweg/ und hier: https://taz.de/Rodungen-in-ukrainischen-Waeldern/!5801454/). Auch dieses Holz fliesst in die EU.
Die Karpatenwälder sind (waren bald!) die letzten größeren Reste typischer europäischer Urwälder und der dort ursprünglichen Biodiversität. Verständlich, dass die armen Länder diese Ressourcen nutzen wollen, so wie wir es auch getan haben! EU-Geld wäre besser für den Schutz dieses Naturerbes angelegt gewesen als jetzt für Kriegswaffen – oder?