Pestizidbombe Apfel
«Der Südtiroler Obstbau ist kleinstrukturiert und familengeführt», schreibt die Südtiroler Apfelwirtschaft gleich als Erstes auf ihrer Website. «Deshalb ist in Südtirol der Apfelanbau so erfolgreich» und: «Südtirol ist im Apfelanbau führend».
Tatsächlich kommt jeder zehnte Apfel in der EU aus Südtirol. Der wirtschaftliche Erfolg bedeutet grossen Aufwand auf Kosten der Umwelt. Der Vinschgau in Italien, der im Westen an Graubünden grenzt, ist nicht nur eines der grössten zusammenhängenden Obstanbaugebiete in Europa. Die Region ist beliebt bei Kletterern, Wanderern und Bikern. Was sie bei ihren Aktivitäten einatmen, ist aber deutlich mehr als pure Natur.
Kein Tag ohne Gift
Äpfel sind das Obst, das in Europa am meisten mit Pestiziden behandelt wird. Eine Analyse des Umweltinstituts München zeigt nun, was «intensiver Apfelanbau in Südtirol» bedeutet. Das Umweltinstitut analysiert darin Daten von 681 Betrieben, die etwa die Hälfte der Apfelanbaufläche der Südtiroler Region Vinschgau bewirtschaften. Sie zeigen, wo, wann und womit die Apfelplantagen in der Saison 2017 behandelt wurden. Die wesentlichen Ergebnisse:
- Zwischen Anfang März und Ende September 2017 gab es keinen Tag, an dem im Vinschgau nicht gespritzt wurde.
- In der Anbausaison 2017 fanden pro Apfelplantage durchschnittlich 38 Pestizidbehandlungen statt.
Fast alle, nämlich 90 Prozent der Betriebe, setzten Glyphosat ein, obwohl der Einsatz von Herbiziden (Unkrautvernichtungsmitteln) im Obstanbau eigentlich nicht nötig sei, schreibt das Münchner Umweltinstitut. Es genüge, Unkraut etwa durch Mähen zu entfernen. Weiter fand das Umweltinstitut München:
- Einen «besorgniserregenden» Anteil der gesundheits- und umweltschädlichen Pestizide am Gesamtmix.
- 17 von 83 eingesetzten Wirkstoffen galten bereits 2017 als bedenklich, waren von der EU zum Ersatz vorgesehen und wurden dennoch verwendet, unter anderem die Insektizide Etofenprox und das mittlerweile nicht mehr erlaubte Thiacloprid.
- Mehr als die Hälfte der Pestizideinsätze umfasste mehrere Wirkstoffe. Die Kombination von bis zu neun Mitteln kann zu Cocktaileffekten führen, über die wenig bekannt ist.
- Mit 90 Prozent der Behandlungen am häufigsten wurden Fungizide (Mittel gegen Pilzkrankheiten wie Apfelschorf und Mehltau) eingesetzt.
Nach den EU-Richtlinien sollte der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln «auf einem Niveau gehalten werden, das wirtschaftlich und ökologisch vertretbar ist und die Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt reduziert oder minimiert». Sehr naturnah und nachhaltig sieht das Profil im Vinschgau aber nicht aus.
Das Umweltinstitut München weist darauf hin, dass der umfangreiche Pestizideinsatz auch viele Nützlinge tötet. Dadurch gibt es mehr Schädlinge, was wiederum mehr Spritzmittel erfordert.
Damit zur Quelle, aus der die Daten stammen.
Woher die Daten stammen – Eine Geschichte aus dem Wespennest
Einige Südtiroler wollen die Pestizidwolken nicht länger hinnehmen. Die Gemeinde Mals handelte und schränkte 2014 nach einer Volksabstimmung Pestizide auf ihrem Gebiet ein (Infosperber berichtete). Ein Stich ins Wespennest.
Auf die mit deutlicher Mehrheit endende Abstimmung folgte eine Klagewelle. Die Staatsanwaltschaft verfolgte den Malser Bürgermeister wegen der Verwendung von Geldern für ein «missbräuchliches Referendum». Das Pestizidverbot wurde wegen der Klage einiger Bauern zunächst ausgesetzt. Es gab Sabotageaktionen gegen Befürworter.
Verleger Jacob Radloff («Das Wunder von Mals»), Dokumentarfilmer Alexander Schiebel und Karl Bär, Agrarreferent des Münchner Umweltinstituts, mussten sich vor dem Bozener Landesgericht verantworten, weil Bär von «Pestizid-Tirol» gesprochen hatte.
Geklagt hatte Arnold Schuler, Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft, hinter dem 1300 Bauern standen. Mehr als 100 Organisationen erklärten sich mit dem Dokumentarfilmer Bär solidarisch, 250’000 Personen fordern in einer Petition die Einstellung des Prozesses. Die Menschenrechtskommissarin des Europarats bezeichnete den Prozess als Unterdrückung von öffentlicher Kritik.
Die Staatsanwaltschaft Bozen beschlagnahmte im Laufe des Verfahrens die sogenannten Spritzhefte der Vinschgauer Obstbäuerinnen und Obstbauern. Sie wurden von Carabinieri eingesammelt. Bärs Rechtsvertreterin drohte in Folge mit der Veröffentlichung des Inhalts, Südtirol befürchtete einen Imageschaden. Eine aussergerichtliche Einigung scheiterte. 2019 wurde verboten, dass Mals Pestizide verbietet. 2022 wurde Bär freigesprochen.
Am Ende sind wieder die Konsumenten schuld
Der Südtiroler Landesrat Schuler verweist gegenüber «Rai Südtirol» darauf, dass Menge und Art der verwendeten Spritzmittel den Vorgaben entsprachen. Es gab allerdings auch Zweifel an der Exaktheit der Aufzeichnungen.
Von weiteren rechtlichen Mitteln will Schuler Abstand nehmen. Er verweist auf die Verantwortung der Konsumentinnen und Konsumenten. So sei «das Angebot an Bioäpfeln derzeit grösser als die Nachfrage».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Es ist zu hoffen, dass ein Natron-Bad (Natriumbicarbonatlösung) für die Äpfel auch mit diesem Cocktail fertig wird.
Die letzte Aussage con LR Schuler, «das Angebot an Bioäpfeln sei derzeit grösser als die Nachfrage», wundert mich nicht. Abdriften von Giftstoffen auf Bio-Plantagen von gespritzten Plantagen her ist mehr als bekannt, und schadet den Bio-Bauern und Bäuerinnen und dem Ruf ihrer Produkte. Es ist höchste Zeit, das Verursacher-Prinzip konsequent anzuwenden und mit der Giftspritzerei aufhören, Herr LR Schuler!
Vor wenigen Jahren habe ich eine geführte Fahrradtour («Apfelblüte» als Stichwort) entlang des Etschtales unternommen. Es wäre sinnvoll gewesen, eine FFP-2 Maske aufzusetzen, aber dann kann ich nicht mehr radeln. So habe ich «nur» versucht bei Auftauchen einer Sprühwolke die Luft anzuhalten, hoffend ich werde die sichtbare Luft bald hinter haben. Dann ist der Gifteintrag aber nur dünner, nicht bei Null. Seitdem esse ich kein Südtiroler Obst und keine Südtiroler Marmeladen mehr. Auch Bioflächen können die Verbreitung ja nicht aufhalten.