Neue Pestizid-Grenzwerte: Bauernlobby abgeblitzt
Im Seilziehen um neue, wissenschaftlich fundierte Pestizid-Grenzwerte hat sich der Bundesrat und das Bundesamt für Umwelt (Bafu) gegen das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) und den Schweizer Bauernverband (SBV) durchgesetzt. In einer anfangs November publizierten Medienmitteilung zur Revision der Gewässerschutzverordnung hält der Bundesrat fest: «Zur Überprüfung der Wirksamkeit der Massnahmen können zudem schrittweise ökotoxikologisch begründete Anforderungswerte für die wichtigsten in die Oberflächengewässer gelangenden Spurenstoffe eingeführt werden. Die Änderungen treten am 1. Januar 2016 in Kraft.» Mit anderen Worten: Der Bundesrat gibt den strengeren ökotoxikologischen Qualitätskriterien (EQS-Grenzwerte; Environmental Quality Standards) gegenüber den RAC-Grenzwerten (Regulatory Acceptable Concentrations) den Vorzug.
Dieser Inhalt der bundesrätlichen Medienmitteilung ging in den Schweizer Medien leider unter, obwohl der Entscheid des Bundesrats in Zukunft strengere Grenzwerte für Pestizide bringt als dies die Bauernlobby und das BLW gewünscht hatten. Infosperber hatte vor dem Bundesratsentscheid über den Grundsatz-Streit hinter den Kulissen berichtet: Auf der einen Seite weibelten das Bundesamt für Landwirtschaft, der Bauernverband und die Pestizid-Industrie unter der Federführung von «Scienceindustries» für die weniger strengen RAC-Grenzwerte. Auf der anderen Seite traten der Bundesrat, das Bafu und die Kantone für die strengeren EQS-Grenzwerte ein (siehe Infosperber: «Das Seilziehen um griffige Pestizid-Grenzwerte»).
Bundesamt für Landwirtschaft mit Schönfärberei
Wäre die Bauernlobby und das BLW beim Bundesrat nicht abgeblitzt, hätten in der Schweiz zukünftig deutlich weniger strenge Anforderungen an die Wasserqualität als in der EU gegolten und der Gewässerschutz hinsichtlich der Pestizide hätte es noch schwerer gehabt. Denn was die Anwendung der RAC-Grenzwerte für Auswirkungen auf die Einschätzung der Gewässerqualität haben würde, zeigte eine Medienmitteilung des BLW vom letzten März. Darin war von «einer geringen Zahl an Überschreitungen der RAC-Werte» die Rede und dass diese «ein gutes Zeichen für die Situation der Oberflächengewässer» sei.
Ganz anders lautete die Einschätzung der ETH-Forschungsanstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) aufgrund der EQS-Grenzwerte: In fünf mittelgrossen Fliessgewässern hatte die Eawag «sehr hohe Konzentrationen» an Pestiziden gemessen und dazu festgehalten, «dass Maximalkonzentrationen in diesen Gewässern um ein Vielfaches höher lagen und dass Maximalkonzentrationen in kleineren Gewässern nochmals höher sind». Auf diese Expertise stützte sich der Bundesrat bei der Revision der Gewässerschutzverordnung.
Vollzug durch die Kantone erfordert den politischen Willen
Bis allerdings in der Schweiz die ersten EQS-Grenzwerte auf Vorschlag des Bundesrats eingeführt werden, vergehen noch 1-2 Jahre. Der Vollzug liegt dann bei den Kantonen, die bei zu hohen Pestizid-Konzentrationen in Gewässern Massnahmen ergreifen müssen. Dafür braucht es allerdings den nötigen politischen Willen. Das dämpft zwar die Erwartungen, aber im Vergleich zum bisherigen Einheitsgrenzwert für alle Pestizide sind die EQS-Grenzwert ein Fortschritt, denn sie sind wissenschaftlich begründet und ein realistischer Gradmesser für die Gefährdung der Wasserlebewesen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Unsere Landwirtschaft und alle damit Verbundenen, speziell auch Politiker sollten zur
Kenntnis nehmen, dass in Amerika ein Umdenken stattfinden.
Auslöser, grossen Umsatzeinbussen der Food Konzerne, wegen dem Mist in ihren Produkten. z.B «Major packed-food companies lost 4 billion (=Milliarden!!) in
market share alone last year….»
Und das Argument Umsatzeinbusse fördert die LERNFÄHIGKEIT unwahrscheinlich!!!
Und die, die lernen wechseln zu mehr «FROM FARM TO PLATE..» und das bedeutet für die Landwirtschaft, dass sie unbelastete Produkte anbieten muss, wenn sie sie verkaufen will.
Und da das von Grosskonzernen ausgeht, wird es sich auch schneller auf Europa auswirken. Unter google «The war on big food» von Beth Kowitt lesen wir, wie intensiv und schnell die Umstellungen sein können.
Oder «Retail Corporate turnover» am Beispiel Mac Donalds USA.
Also nicht nur «a bisserl weniger Zucker im Yoghourt..» (BR Berset)
Viele Landwirte wollen weniger Landschaftspfleger und mehr Produzenten sein. Wir Konsumenten sollen ihre Produkte zu einem anständigen Preis kaufen. Warum sollen wir das tun, wenn Schweizer Ware nicht besser, sondern vielleicht sogar giftiger ist als billige Importware?
Dass unsere Gewässer mit bis zu über 20 Pestiziden massiv belastet sind, ist keine Folge fehlender oder zu hoher Grenzwerte. Vielmehr fehlen der Wille und die Mittel, die geltenden Vorschriften zu vollziehen. Daran werden auch neue, wissenschaftlich fundierte Pestizid-Grenzwerte nicht das Geringste ändern. Da es keine systematische Erfassung der ausgebrachten Gifte gibt, besteht auch kaum die Möglichkeit, die eingesetzten Pestizide und ihre Ausbreitung in der Umwelt gezielt zu überwachen.
Wenn trotzdem festgestellt wird, dass ein Gewässer die gewässerschutzrechtlichen Anforderungen nicht mehr erfüllt, wäre die zuständige Behörde bereits heute von Rechtswegen verpflichtet, die Art, das Ausmass und die Ursache der Verunreinigung zu ermitteln. Weiter müsste sie geeignete Massnahmen prüfen und zur Behebung der Verunreinigung anordnen. Dazu gehören insbesondere Verwendungseinschränkungen für Pestizide und weitere im Anh. 4 Ziff. 212 der Gewässerschutzverordnung aufgelistete Massnahmen.
Wirklich verantwortungslos ist aber nicht der bisherige „Einheitsgrenzwert“, sondern die Tatsache, dass der vorsätzliche Einsatz dieser Gifte mit wenigen Ausnahmen noch immer bis dicht an die öffentlichen Trinkwasserfassungen erlaubt ist.