Mehlwürmer statt Schweineschnitzel
Red. Renato Pichler ist Mitgründer und Präsident von Swissveg, Vorstandsmitglied der Europäischen Vegetarier Union und CEO der V-Label GmbH. Dieser Artikel ist zuerst auf der Website von Swissveg erschienen.
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Wie bei jeder neuen Tierart, die im Ernährungsplan der Industrienationen eingeführt wird, sind die zum Konsum freigegebenen Tierarten zu Beginn noch nicht stark überzüchtet. Zum Beispiel ist der Fettgehalt von Insekten deutlich geringer als derjenige eines heutigen Hochleistungs-Huhns. Dies macht die Insekten etwas weniger schädlich für die menschliche Gesundheit. Welche Auswirkungen das Essen von grossen Mengen bestimmter Insekten (in verarbeiteter Form) hat, ist jedoch noch weitgehend unerforscht. Zudem ist fraglich, ob das Essen von Insekten der richtige Weg ist, um die Welternährung sicherzustellen.
Umweg von der Pflanze über das Tier
Der Mythos, tierisches Eiweiss sei lebensnotwendig, wurde schon vor Jahrzehnten widerlegt. Deshalb stellt sich die Frage, ob bei der Nahrungsmittelproduktion der Umweg von der Pflanze über das Tier überhaupt noch notwendig ist.
Jeder Mensch ernährt sich von den Nährstoffen, welche die Pflanzen mit Sonnenlicht, Wasser und Erde erzeugen. Manche tun dies, indem sie die Pflanzen zuerst an Tiere verfüttern und dann diese konsumieren, andere konsumieren die Pflanzen direkt. Jeder Umweg über das Tier verursacht eine Verschwendung von Land, Energie, Wasser. Diese natürlichen Rohstoffe sind zentral für die künftige Ernährung der steigenden Weltbevölkerung. Deshalb ist der effektivste Weg, die Ernährung der Weltbevölkerung auch in Zukunft sicherzustellen eine pflanzlich basierte Ernährung.
Mehlwürmer und ihre Ökobilanz
In der Schweiz verkauft Coop ab 21. August erstmals Burger, die aus Mehlwürmern hergestellt sind. Zur Produktion eines Kilogramms Mehlwürmer sind 2,2 Kilogramm Futtermittel nötig.1 Dieses Futter besteht hauptsächlich aus Getreide. Zum Vergleich: Die heutigen Hochleistungshühner benötigen pro Kilogramm Körpergewicht 2,3 Kilogramm Futter. Auch wenn die Mehlwürmer effiziente Futterverwerter sind, so könnte man mit dem direkten Verzehr der pflanzlichen Nahrungsmittel die Effizienz mehr als verdoppeln (siehe Grafik):
Der Energieaufwand zur Produktion von Mehlwürmern ist relativ hoch, da sie viel Wärme benötigen. In anderen Bereichen (z.B. Landverbrauch) schneiden die Mehlwürmer aus Umweltgründen besser ab. Allerdings nur so lange man sie mit anderen tierischen Nahrungsmitteln vergleicht. Gegenüber pflanzlichen Eiweissquellen sind auch die Mehlwürmer sehr unökologisch, wie die folgende Grafik zeigt:
(Quellen zu den Grafiken: Studie der Universität Wageningen, Statistisches Bundesamt Deutschland)
Massenzucht mit unbekannten Auswirkungen
In vielen Weltgegenden hat man schon lange Insekten verzehrt. Mit dem Einstieg der Industrienationen ergibt sich jedoch ein neues Bild: Die industrialisierte Zucht von riesigen Mengen an Insekten ist ein junges Phänomen. Auch Fleisch von Säugetieren hat man schon lange gegessen. Doch erst seit der Industrialisierung und der enormen Zunahme des Fleischkonsums wurden die negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt deutlich. Die Auswirkungen der Massenzucht von Insekten sind noch völlig unbekannt. Was man jedoch weiss: Der Konsum von pflanzlichen Nahrungsmitteln verursacht auf jeden Fall weniger Umweltprobleme und ist auch langfristig gesund.
Wirtschaftliche Argumente
Weshalb sollte man also durch den Umstieg von grösseren Tierarten zu den Insekten nur einen Teil der Vorteile nutzen, die man hätte, wenn man ganz auf pflanzliche Nahrungsmittel setzen würde?
Der Hauptgrund scheint auch hier im wirtschaftlichen Bereich zu liegen: Insekten kann man ähnlich teuer verkaufen wie Fleisch. Würde man das Getreide direkt als Nahrungsmittel verkaufen, wäre der Profit wesentlich kleiner. Da die negativen Auswirkungen des heutigen Fleischkonsums immer bekannter werden, wird nach Alternativen gesucht, welche den Gewinn nicht beeinträchtigen. Deshalb kommt die naheliegendste Lösung, eine pflanzliche Ernährung, für viele Unternehmen nicht in Frage.
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1 Environmental Impact of the Production of Mealworms as a Protein Source for Humans – A Life Cycle Assessment, 19. Dezember 2012, PLOS
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Renato Pichler ist Mitgründer und Präsident von Swissveg, Vorstandsmitglied der Europäischen Vegetarier Union und CEO der V-Label GmbH.
Auch bei infosperber gilt es kritisch zu lesen und sorgfältig zu publizieren. Die obigen Vergleichsgraphiken werden dem gewohnten Niveau nicht gerecht. Die Einheit Landverbrauch/Gewicht Nahrungsmittel [m2/kg] ist «Äpfel mit Birnen» verglichen. Wenn schon das Thema Welternährung aufgeworfen wird, sollte die Vergleichswährung zumindest auf eine Nährwert-Einheit (z.B. J/kg; kcal/kg) beruhen werden.
Danke Frau Gisler für diesen Input. Sie haben natürlich recht, dass sich die absoluten Zahlen und die Verhältnisse ändern, wenn man den Nährwert der Nahrungsmittel miteinander vergleicht. Dies ändert jedoch nichts an der Grundaussage des Artikels, dass die Verlängerung der Nahrungskette immer zu Verlusten führt. Ein Tier kann aus seiner Nahrung nicht mehr Energie erzeugen, als sie beinhaltet hat.
Im Artikel wurden die Werte verglichen mit denen für die Vorzüge der Mehlwürmer geworben wird. Diese «Mehlwurmwerbung» ignoriert dabei jedoch immer die pflanzlichen Nahrungsmittel. Deshalb wurde dies hier ergänzt.
Man könnte natürlich noch viele andere Diagramme aufführen. Z.B. ein Vergleich mit der Menge Futtermittel die nötig sind um 1 kg Protein zu erzeugen. Dann sähe es so aus:
Mehlwürmer 11,2
Hühnchen 11,2
Schwein 18,9
Rindfleisch 48,3
Getreide 6,7
Hier wären die Mehlwürmer «nur» noch um den Faktor 1,7 weniger effizient, wie die pflanzliche Ernährung. Egal welche Werte verglichen werden: Die direkte pflanzliche Ernährung schneidet immer wesentlich besser ab. Wichtig erscheint mir, dass in all diesen Vergleichen die rein pflanzliche Ernährung nicht ignoriert wird. Erst dann kann man überhaupt einen echten Eindruck über die Effizienz einer Nahrungsmittelproduktion erhalten.