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Die Kaffeebäuerin Rogéria Silveira verlor 2020 ihren linken Unterarm in einer Kaffee-Erntemaschine auf ihrer Farm in Espírito Santo. © Public Eye

In Nescafé lösen sich die Hoffnungen auf

Daniela Gschweng /  Nescafé-Plan soll für bessere Arbeitsbedingungen sorgen. Tatsächlich macht er mit Mini-Nachhaltigkeitsstandards die Bauern arm.

Kaffee ist für die Kaffeekonzerne, Röstereien und den Detailhandel ein gutes Geschäft, für die Produzentinnen und Produzenten weniger, davon hat Infosperber schon mehrmals berichtet. Millionen Kaffeebäuerinnen und -bauern verdienen nicht einmal genug, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Die Schweiz hat daran einen besonders gossen Anteil. Hier wächst zwar kein Kaffee, es werden nicht einmal Kaffeesäcke verladen. Dennoch ist sie das Zentrum des internationalen Kaffeehandels. Die Hälfte des weltweiten Rohkaffeevolumens werde über die Schweiz gehandelt, schätzt «Public Eye», das sich speziell mit Nestlé und Nescafé beschäftigt hat. Die grössten Händler haben entweder ihren Sitz in der Schweiz oder steuern von hier aus das Kaffeegeschäft.

Die Schweiz – Zentrum des Kaffeehandels

Branchenprimus Nestlé röstet mindestens jede zehnte geerntete Kaffeebohne auf der Welt, Kaffee trägt ein Viertel zum Gesamtumsatz des Konzerns bei, unter anderem durch die bekannten Nespresso-Kapseln. Der wahre Kassenschlager aber ist Nescafé – 80 Prozent der von Nestle beschafften Kaffeebohnen wandern in löslichen Kaffee. Nestlé ist Weltmarktführer.

Marktanteile-Instantkaffee-Einzelhandel
Der Markt für löslichen Kaffee macht rund 32 Prozent der Verkäufe im globalen Einzelhandel aus und betrug 2022 knapp 32 Milliarden Dollar. Der Anteil von Nestlé lag bei mehr als einem Drittel. Nach der Nummer zwei JDE Peet’s mit knapp 10 Prozent Marktanteil verteilt sich der Rest des Marktes auf viele kleinere Akteure mit Anteilen unter 3 Prozent.

Branchenprimus Nestlé wirbt mit kleinen Tassen

Auf seiner Website verspricht Nestlé, die desolaten Verhältnisse im Kaffeegeschäft durch Marktmacht zu verbessern: «Mithilfe unserer Grösse möchten wir die Welt zum Guten verändern.» Die Konsumentinnen und Konsumenten können mithelfen und durch ihren Kauf «die Welt ein kleines bisschen besser machen», denn «eine kleine Tasse Kaffee kann Grosses bewirken». Das Instrument dafür ist der 2010 lancierte Nescafé Plan. Er soll die Verhältnisse in den Produktionsländern verbessern.

«Public Eye» hat dieses schnelllösliche Versprechen unter die Lupe genommen. Vor Ort, in Chiapas, Mexiko und im brasilianischen Espírito Santo.

In Chiapas wird gegen Nestlé demonstriert, als die Reporterinnen dort eintreffen. Demonstrantinnen und Demonstranten bezeichnen den Nescafé Plan als «pura mentira», Lüge. Er mache die Kaffeebäuerinnen und -bauern arm. Eine der Ursachen: Auf Betreiben von Nestlé hat die Region von der Kaffeesorte Arabica auf Robusta umgestellt, die vermehrt in löslichem Kaffee verarbeitet wird (Infosperber berichtete). Im Kaffeemarkt sind das Welten.

Die Sache mit Robusta und Arabica

Die Sorte Robusta ist widerstandsfähiger und pflegeleichter als Arabica und muss nicht in Höhenlagen angebaut werden. Sie lässt sich deshalb gut in Plantagen anbauen und maschinell ernten, wird aber auch als qualitativ minderwertiger angesehen. Robusta enthält mehr Koffein und schmeckt etwas bitterer. Robusta-Bohnen bringen weniger ein als eine Arabica-Ernte, ihr Preis ist jedoch stabiler.

Brasilien: Gefährliche Maschinen für die Ernte

In Brasilien heisse Robusta Conilon, schreibt Public Eye, das zwei Reporterinnen in die brasilianische Provinz Espírito Santo geschickt hat. Sie treffen dort Menschen, denen Gliedmassen fehlen oder Angehörige. Unglücksfälle, die bei der Bedienung veralteter Erntemaschinen häufig passieren. Von Januar bis Juli 2023 seien in der Region 16 Unfälle registriert worden. Die Maschinen bestehen aus einer Plane, auf die Äste von Kaffeepflanzen mitsamt Kaffeekirschen geworfen werden. Die Maschine zieht die Plane ein, zerstückelt, was sie bekommt, und trennt den Kaffee ab. Wenn etwas klemmt, müssen die Arbeiter:innen nachhelfen. Meist bei laufender Maschine.

Die meisten Maschinen hätten nicht einmal ein Not-Aus, berichten die Reporterinnen. Durch die Mechanisierung und hohen Chemieeinsatz stünden die brasilianischen Arbeiter und Arbeiterinnen aber etwas besser da als diejenigen in Chiapas. Wer könne, suche trotzdem andere Arbeit.

Kleine Tassen für die Arbeiter, grosse für Nestlé

Denn auch das Einkommen der brasilianischen Arbeiterinnen und Arbeiter ist bescheiden. Eine aktuelle Analyse der Global Coffee Platform deute darauf hin, dass besonders kleinere Betriebe mit weniger als 50 Hektar Land nicht genug verdienen, um einen würdigen Lebensstandard zu halten.

Eine Erhebung aus dem benachbarten Bundesland Minas Gerais zeige, dass Arbeiter und Arbeiterinnen etwa 10 Franken für vier Säcke Kaffee erhalten, viel weniger als diejenigen, die Arabica anbauen. Nestlé produziere daraus etwa 25 Kilo Pulverkaffee, den es für 1700 bis 2000 Franken verkaufe. 2022 kaufte Nestlé 629’000 Tonnen 4C-Rohkaffee.

Billigstandard für nachhaltigen Kaffee

«4C» ist ein Nachhaltigkeitsstandard, der mit den kleinen Tassen und den grossen Versprechen zu tun hat. Seit 2010 soll der «Nescafé Plan» ja das Leben der Kaffeeanbauenden in den Produktionsländern verbessern. Als Nachhaltigkeitsgarantie stützt sich Nestlé auf diese 4C-Zertifizierung.

Deren Anforderungen gingen kaum über gesetzliche Vorschriften hinaus, sagt Public Eye. Der Aufpreis für die Bauern sei minimal, die Transparenz ungenügend, die Durchsetzung schwach. «Unangekündigte» Kontrollen würden beispielsweise um die 24 Stunden vorher angekündigt. Der Plan der Gründer, 4C zu einer «Einstiegs-Zertifizierung» zu machen, sei nicht aufgegangen. Stattdessen sei daraus eine Billigzertifizierung geworden.

Kleine Zertifizierungen für grosse Versprechen

Leider kein allzu neues Phänomen, nicht nur beim Kaffee. Freiwillige Zertifizierungen hätten generell bestenfalls marginale positive Auswirkungen auf das Einkommen von Kaffeebäuerinnen und -bauern, sagt Public Eye. Nestlé und 4C seien Paradebeispiele für diese problematische Entwicklung im Kaffeesektor.

Anforderungsarme Standards wie 4C schwächten die Wirksamkeit von Zertifizierungen. Das Streben der Röstkonzerne nach möglichst «verantwortungsvollem» Kaffee zum Billigtarif habe damit nicht Nachhaltigkeit im Massenmarkt, sondern Discounter-Zertifizierungen ausgelöst.

Public Eye fordert endlich Massnahmen

Public Eye fordert von Nestlé und der Kaffeebranche, Massnahmen zu ergreifen, um die Arbeits- und Menschenrechte entlang der gesamten Lieferkette zu gewährleisten. Dies umfasse faire Preisgestaltung, langfristige Handelsbeziehungen und umfassende Transparenz. Zertifizierungsorganisationen wie 4C sollen existenzsichernde Löhne und unabhängige Kontrollen gewährleisten. Regierungen sollen gesetzliche Regelungen einführen, um irreführendes Nachhaltigkeitsmarketing zu verhindern.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Eine Meinung zu

  • am 24.08.2024 um 07:18 Uhr
    Permalink

    Danke für diesen Beitrag.
    Habe von dieser Firma nichts anderes erwartet.
    Für ein gutes Produkt ist nun einfach auch ein guter Preis zu entrichten.
    Alles andere lohnt sich im Grunde genommen einfach nicht.
    Wann wird endlich überall fair produziert und gehandelt???

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