Tote bei Medikamenten-Versuchen: Novartis schweigt
Bei Medikamenten-Tests der Novartis in Indien sind 57 Testpersonen gestorben. Das geht aus einer Aufstellung des Drugs Controller General of India (DCGI) hervor, berichtete die indische Zeitung «Business Standard». Die Novartis-Ablegerin in Indien erklärte dazu, dass diese Todesfälle nicht auf die getesteten Medikamente, sondern auf andere Ursachen zurückgeführt werden können. Die Patienten hätten an Krankheiten gelitten, die auch ohne die getesteten Medikamente zum Tod führen können. Auf konkrete Fragen gibt der Hauptsitz der Novartis in der Schweiz keine Antwort (siehe unten).
Testpersonen sind ungenügend informiert
Auf der gleichen Liste des DCGI betreffend das Jahr 2011 folgen die Pharmakonzerne Bayer und Pfizer mit je 20, und Bristol Mayer Squibb mit 19 Todesfällen.
Philipp Mimkes von der «Coordination gegen Bayer-Gefahren» beschreibt die Lage in Indien wie folgt: «Novartis, Bayer und andere setzen das Leben indischer Probanden wissentlich aufs Spiel. Recherchen vor Ort zeigen immer wieder, dass die Studienteilnehmer nicht über die Gefahren der getesteten Medikamente informiert werden – häufig wissen sie nicht einmal, dass sie an einer Studie teilnehmen. Es ist daher heuchlerisch, wenn die Pharmaunternehmen behaupten, in Indien die selben Standards anzulegen wie in Europa.»
Ein Reporter des Senders RTL hat in einer Filmreportage Beweismaterial gesammelt, dass deutsche Pharmafirmen Tests ohne Informationen der Betroffenen und mit Schmiergeldern an Ärzte durchgeführt haben (siehe Link unten).
Medikamenten-Tests nach Asien verlagert
Aus Kostengründen haben Pharmakonzerne die meisten klinischen Medikamenten-Test nach Asien verlegt. Ob die Resultate mit dieser grundlegend anderen Bevölkerung, die sich anders ernährt und andern Umwelteinflüssen ausgesetzt ist, auf die europäische Bevölkerung übertragen werden können, wird von den Bewilligungsinstanzen wie der Swissmedic kaum hinterfragt.
Kritiker befüchten, dass die Konzerne nicht nur aus Kostengründen, sondern auch wegen geringerer Kontrollen und Auflagen der Behörden ihre Medikamentenversuche in asiatischen Ländern wie Indien, China, Pakistan oder Bangladesh durchführen.
Allein in Indien lassen Pharmafirmen derzeit etwa 1’900 Studien mit 150’000 Versuchspersonen durchführen und zahlen hierfür etwa eine halbe Milliarde Euro pro Jahr. Viele der Testpersonen sind extrem arm und analphabetisch. Experten halten die offiziellen Zahlen der Schadens- und Todesfälle zudem für viel zu niedrig. Chandra Gulhati vom monatlichen Medikamentenindex «Medical Specialties» verfolgt die Entwicklung seit Jahren: «Es sind viel mehr, weil die meisten Toten gar nicht gemeldet werden. Die Angehörigen wissen nicht, dass die Verstorbenen Teil einer Studie waren. Es wird nicht ermittelt, es finden keine Obduktionen zur Ermittlung der Todesursache statt».
«Coordination gegen Bayer-Gefahren» fordert, dass Pharma-Studien in den Ländern des Südens nach den gleichen Sicherheitsstandards durchgeführt werden wie in Europa und den USA, und dass Geschädigte oder deren Hinterbliebene die gleichen Entschädigungen erhalten. «Dann werden gefährliche Billig-Tests unattraktiv», meint Philipp Mimkes.
Letztes Jahr haben Pharmafirmen gemäss Informationen der indischen Regierung an 22 indische Versuchspatienten durchschnittlich je 4800 CHF Entschädigung bezahlt – ein Bruchteil von dem, was sie in Europa oder den USA hätten zahlen müssen.
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FRAGEN AN NOVARTIS
Folgendes Schreiben mit konkreten Fragen hat Infosperber bereits am 27. Juli an die Medienstelle von Novartis n Basel gerichtet. Trotz Erinnerungs-Mail am 3. August ist bis heute keine Antwort eingetroffen.
Guten Tag
Eine Aufstellung des Drugs Controller General of India (DCGI) für 2011 zeigt, dass bei Pharma-Tests von Novartis 57 Testpersonen starben.
Novartis India hat dazu erklärt, dass sämtliche dieser Todesfälle nicht auf die getesteten Medikamente, sondern auf andere Ursachen zurückgeführt werden können. Die Patienten hätten an Krankheiten gelitten, die auch ohne die getesteten Medikamente zum Tod führen können. Können Sie diese Aussage von Novartis India bestätigen?
In diesem Zusammenhang möchten wir Novartis folgende weiteren Fragen stellen:
1) Kritiker sagen, dass Novartis in Indien nicht die gleichen Standard anwenden wie in der Schweiz. Nicht alle Studienteilnehmenden seien sich bewusst gewesen, dass sie an einer Studie teilnehmen. Manche seien über die Risiken ungenügend aufgeklärt worden. Kann Novartis dokumentieren, dass diese Vorwürfe falsch sind?
2) Welche Medikamente hat Novartis im Jahr 2011 in Studien an indischen Patientinnen und Patienten getestet?
3) Wie viele Patientinnen und Patienten haben an solchen Studien von Novartis im Jahr 2011 teilgenommen?
4) Hat Novartis diese Studien vor Beginn in einem öffentlich zugänglichen Register eingetragen? Falls ja, können Sie mir den Link dazu angeben?
5) Hat Novartis in Indien wie Bayer Hinterbliebenen von gestorbenen Studienteilnehmenden auch schon – u.U. freiwillig – Entschädigungen bezahlt? Falls ja, an wie viele und wie hohe Entschädigungen?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Vertritt die Patientinnen und Patienten in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission EAK.
Wenn man zusätzlich bedenkt, dass Novartis Pharma und Roche gerade Ihre vom Gesamtbundesrat und Parlament gestützte Preispolitik mit angeblich enorm angestiegenen Forschungskosten rechtfertigen, sind in Kenntnis dieser konstruktiv kritischen RTL-Reportage diese ‚Misststände’ nicht länger tolerierbar (siehe dazu ebenfalls die Notizen zur Preispolitik neuer Krebsmedikamente von Roche und Novartis auf der Facebook-Seite „Faire Medikamentenpreise“).
Bei den aktuell durch das BAG dieses Jahr bereits gewährten und zu erwartenden Medikamentenpreisen zu Zelboraf, Perjeta und Afinitor (siehe „Quo Vadis? Preisgestaltung und Nutzenbeleg neuer Krebsmedikamente“; http://www.saez.ch/docs/saez/2012/36/de/SAEZ-00906.pdf ) dürften ab sofort allfällig ohne GCP-Richtlinien finanziell optimierte und durchgeführte internationale ‹Registrierungsstudien› nicht länger gesundheitspolitisch akzeptiert werden, um insbesondere in Ländern ärmster Verhältnisse wie z.B. Indien, den Studienprobanden einen entsprechenden ‹würdevollen› Aufklärungs- und Vergütungsschutz garantieren zu können. Schlussendlich handelt es sich um Versuche am Menschen und nicht an Tieren!
Auch SF und das Westschweizer Fernsehen haben zum Thema vom Medikamentenversuchen in Indien berichtet. Die SF-Rundschau z.B. am 15.9.2009:
"In Delhis grösstem öffentlichen Krankenhaus sind im vergangenen Jahr 49 Kinder gestorben. An diesen wurden Medikamentenversuche durchgeführt. Die Kinder stammten zum Teil aus ärmsten Verhältnissen. Auch Schweizer Pharmaunternehmen testen ihre neuen Produkte auf dem Subkontinent. In Indien kosten solche Tests massiv weniger als im Westen."