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Ärzte-Weiterbildung: 1000 Quadratmeter Wellness im 5-Sterne Hotel Grand Elisée © cc

So seifen Pharmakonzerne Ärzte ein

Urs P. Gasche /  Eine «Weiterbildung» in einem Hamburger 5-Sterne-Hotel über die neuen Blutverdünner war Werbung für die x-fach teureren Mittel.

Die Wissenschaftsjournalistin Martina Keller hat die Ärzte-Weiterbildung im Frühjahr in Hamburg selber besucht und das Erlebte und Gehörte in der «Zeit» geschildert.
Im Foyer des 5-Sterne-Hotels Grand Elisée war das Frühstück angerichtet, der Festsaal mit einem Projektionsschirm von der Grösse eines Badmintonfeldes parat. Die Veranstalterin Omniamed aus München hatte genug Sponsorengeld: Sieben Pharmafirmen zahlten für die eintägige Versammlung insgesamt fast eine Viertel Million Euro oder rund 1250 Euro pro Kopf der knapp 200 angereisten Hausärzte und Internisten aus Norddeutschland.
Umstrittene neue, extrem teure Blutverdünner
Ein wesentliches Thema waren die neuen oralen Antikoagulantien (Noak) mit Namen Xarelto (Bayer und Johnson & Johnson), Pradaxa (Boehringer) und Eliquis (Bristo-Myers Squibb BMS).
Antikoagulantien = Gerinnungshemmer = umgangssprachlich Blutverdünner.
In der Schweiz kosten die Noaks den Krankenkassen fast das Zehnfache der vorher üblichen Marcoumar (in Deutschland «Marcumar» und Sintrom. Das Bundesamt für Gesundheit hatte den teuren Preis gewährt, weil die neuen Blutverdünner im Gegensatz zu den bisherigen keine regelmässigen Bluttests und keine Anpassungen der Dosis nötig machen. Diese angeblichen Vorteile entpuppen sich jedoch immer mehr zu einem lebensbedrohlichen Nachteil.
Wolfgang Becker-Brüser, Chefredaktor des unabhängigen «Arznei-Telegramms», empfiehlt Ärzten, Pradaxa nur noch denjenigen Patientinnen und Patienten zu verschreiben, welche die andern Blutverdünner nicht vertragen.*
Über 100 Menschen, die Pradaxa genommen haben, waren in Deutschland 2012 und 2013 an schweren Blutungen verstorben. Es besteht der Verdacht, dass ihr Tod mit Pradaxa zusammenhängt. In den USA und Frankreich schlägt das Thema hohe Wellen (siehe Infosperber «Patienten klagen an: Tod wegen Blutverdünner» vom 30.4.2014). Letztes Jahr hat die Pradaxa-Herstellerin Boehringer Geschädigten und Angehörigen von Opfern in einem Vergleich fast eine halbe Milliarde Euro Entschädigung bezahlt.
«Topaktuelle Themen»
Vor diesem Hintergrund wurden die neuen Blutverdünner (Gerinnungshemmer) und ebenso die neuen Analoginsuline am «Weiterbildungstag» in München als «topaktuelle, praxisnahe Themen» angekündigt. Laut deutschem Gesetz müssen Fortbildungsinhalte zwar «frei von wirtschaftlichen Interessen» sein. Doch verzichtet wurde lediglich auf ein grosszügiges Freizeitprogramm für Partnerinnen und Partner, wie es früher üblich war. Ein «Kodex» der Bundesärztekammer wurde insofern eingehalten, als die Vortragenden keine Produktenamen nannten und ihre Interessenbindungen vorher angeben mussten. «Wir achten sehr genau auf die Einhaltung der juristischen Vorschriften», erklärte Omniamed-Vertreter Götz-Johannes Peiseler gegenüber der «Zeit».

Im Hotel Grand Elisée bekamen die ankommenden Ärzte und Ärztinnen einen «Tagungsreader» in die Hand gedrückt. Auf einer der ersten Seiten konnten die Teilnehmenden lesen, wer die Weiterbildung mit wie viel Geld bezahlt: Bayer Health-Care 53’571 Euro, Lilly Deutschland 34’500 Euro, Novo Nordisk Pharma 42’500 Euro, eine Gruppe aus Boehringer Ingelheim Pharma und Lilly Deutschland 57’870 Euro etc.
Als Gegenleistung konnten die Sponsoren im Hotel einen Ausstellungsstand errichten und eine bestimmte Zahl von Firmenvertretern an der Veranstaltung teilnehmen lassen. Zudem wurden die Sponsoren in den Tagungsunterlagen namentlich verdankt. Der Pharmakonzern «Novo Nordisk» meinte gegenüber der «Zeit», dass «die Kosten dem von uns erwarteten Werbeeffekt…entsprechen und marktgerecht sind».
Einseitige Vorträge: Zuerst über Analoginsuline
Die Vortragsreihe im Grand Elysée begann mit einem Referat von Marcel Kaiser zur Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes. Kaiser arbeitete für den Konzern «Novo Nordisk» und ist heute Geschäftsführer der Kongressveranstalterin «BMP Event & Services». Auf einer Folie zeigte Kaiser seine Interessenbindungen: Beziehungen zu 19 Firmen, darunter Hersteller von Diabetes-Medikamenten wie «Novo Nordisk» oder «Lilly». Kaiser griff zur üblichen Bagatellisierungsfloskel: Weil er für mehrere Firmen gleichzeitig arbeite, würden sich die Abhängigkeiten neutralisieren. Nur: Alle Firmen propagieren die neuen, viel umsatzträchtigeren «Analoginsuline».

Daten aus Studien habe Kaiser korrekt zitiert, berichtete Martina Keller — und dennoch sei sein Vortrag einseitig gewesen. Eine Folie habe ein Behandlungsschema aus der Nationalen Versorgungsleitlinie gezeigt, einer Art Handlungsanweisung für Arzte. Diese Leitlinie enthält zwei voneinander abweichende Empfehlungen, weil die Experten sich nicht einigen konnten. Die eine Empfehlung stammt von den industrienahen Fachgesellschafren der Diabetologen und Internisten, die andere von der Arzneimittelkommission und der pharmaunabhiingigen Fachgesellschaft der Allgemeinmediziner (DEGAM).
Referent Marcel Kaiser präsentierte nur die Empfehlung der industrienahen Spezialisten. Das war die halbe Wahrheit.
Kein Wunder, empfahl Kaiser als Fazit die neuen teuren Analoginsuline. Auf eine Frage zu grösseren Risiken meinte Kaiser, solche seien durch keine Studien belegt. Leicht gesagt, denn die Industrie finanziert keine solchen Studien. Die Behörden sind auf Meldungen von Ärzten angewiesen.
Die «Zeit» hat Kaisers Folien dem Diabetologen Peter Sawicki vorgelegt, der sechs Jahre lang das «Institut flur Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen» geleitet hat. Sawickis: «Der Vortrag preist die Analoginsuline an, ohne auf ihre fehlenden oder zumindest marginalen Vorteile und unkalkulierbaren Risiken einzugehen
So müssten diese Medikamente oft lebenslang eingenommen werden. Wie sich das über viele Jahre auswirke, habe man bislang nicht untersucht. «Von den Kosten ganz zu schweigen
Kaiser und andere Referenten neutral bezahlt?
Die Referenten im Grand Elysée wurden nicht von der Industrie direkte bezahlt, sondern vom Veranstalter Omniamed. Über die Herkunft seiner Mitarbeiter könne er «aus dem Stand» nicht Auskunft geben, erklärte Ommiamed-Vertreter Peiseler der «Zeit». Dabei sei es einfach, sich dies zu merken, schreibt die «Zeit». Denn deren Vorgeschichten ähneln sich: Ommiamed-Geschäftsführerin Martina Schreck war fast 15 Jahre bei Bristol-Myers Squibb. Chief Operation Officer Helmuth Seuthe bei Schwarz Pharma Deutschland und Orthomol. Director Speciality Care Thomas Klöckner bei Cephalon, Zeneus Pharma und Bristol-Myers Squibb. Senior Relationship Manager Thomas Seipp bei Wyeth Pharmaceuticals, Novartis Vaccines, Sanofi-Aventis. Martin Fedder, bis 2014 Medical Project Manager und weiterhin für Omniamed tätig, war bei UCB Pharma, Schwarz Pharma, Beecham Wülfing, E. Merck. Medical Director Andreas Wöhrmann, der mit Peiseler die Folien der Referenten auf wissenschaftliche Evidenz prüft, war bei Bristol-Myers Squibb und MSD Sharp & Dohme.
Und Peiseler selbst? «Ich bin Arzt, Internist und Intensivmediziner», meinte er. Er habe viele Jahre für Pharmaagenturen gearbeitet. «Und seit mehr als 20 Jahren bin ich auch als Medizinjournalist tätig und habe in dieser Eigenschaft auch Agenturen in medizinischer Hinsicht beraten.» Zum Beispiel die Münchner Pharmaagentur New Performance, die Kampagnen für Grünenthal, Bristol-Myers Squibb, GlaxoSmithKline oder Stada organisierte.
Ob für ihn denn Medizinjournalismus und Marketing für die Pharma ein und dasselbe seien? Diese Frage wollte Peiseler nicht diskutieren.

Ausschnitt aus «Die Zeit» vom 28.5.2015
In der Kaffeepause zum Pharmastand
Kaffeepause im Grand Elysée. An den Pharmaständen im Foyer informiert Bayer über Xarelto, das neue Medikament der Bayer Pharma AG zur Gerinnungshemmung. Xarelto ist laut dem jüngsten Arzneiverordnungsreport 21-mal teurer als das meistverordnete Standardpräparat. Schützt es Herzpatienten auch besser, etwa vor Schlaganfällen? Der Stellenwert der neuen Gerinnungshemmer — neben Xarelto auch Pradaxa und Eliquis — ist strittig. Am Bayer-Stand liegt die Leitlinie der europäischen Kardiologen aus, verfasst von Autoren mit umfangreichen finanziellen Beziehungen zu den Herstellern. Wenig überraschend kommen sie zu ganz anderen Empfehlungen als die pharmaunabhängigen Autoren einer Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin.
Zweiter Vortrag empfahl neue Gerinnungshemmer
Nach der Pause und Besuchen an den Pharma-Ständen referierte Kardiologin Barbara Richartz, leitende Ärztin an einer Privatklinik am Tegernsee, über die neuen Gerinnungshemmer.

Swissmedic warnt bei den neuen Blutverdünnern wie Pradaxa zur Vorsicht: «Es kann (zwar) auf routinemässige Laborkontrollen verzichtet werden. Allerdings sind Anwendungsfehler und iatrogene Effekte nicht zu vernachlässigen. Ausserdem gibt es zahlreiche medikamentöse Interaktionen. Pradaxa hat den Nachteil, dass kein spezifisches Antidot zur Verfügung steht. Dies kann bei einem chirurgischen Notfalleingriff ein Problem darstellen.»
Laut Transparenzerklärung wird die Referentin Barbara Richartz von Bayer Vital, einem Tochterunternehmen von Xarelto-Hersteller Bayer Pharma, finanziell unterstützt, ferner auch von der Firma Boehringer, die ein weiteres der neuen Mittel herstellt. Ihr Vortragstitel «Neuer Goldstandard bei der oralen Antikoagulation» suggerierte, es habe einen Paradigmenwechsel gegeben — weg von den altbewährten, preisgünstigen Medikamenten hin zu den neuen, teuren.
Entsprechend ausführlich referierte Richartz über angebliche Nachteile der alten Mittel: Je schlechter sie bei Patienten anschlagen würden, umso höher sei deren Schlaganfallrisiko.
Dieses Argument kann man umgekehrt formulieren, erklärt der Bremer Pharmakologe Hans Wille in der «Zeit»: «Wenn Patienten gut eingestellt sind, ist ihr Schlaganfallrisiko eher niedriger als unter der Therapie mit den neuen Präparaten.» Gut eingestellt bedeutet, dass die Gerinnungshemmung mindestens während 70 Prozent der Behandlungszeit im erwünschten Bereich liegt.

Für ihre Zulassungsstudien hätten die Pharmafirmen Patientinnen und Patienten ausgewählt, die keine optimale Behandlung erfahren haben. «Wenn man die Einstellungen betrachtet, die bei uns üblich sind, bieten die neuen Mittel keine gesicherten Vorteile», erklärte der Mitautor des Leitfadens der Arzneimittelkommission. Auch andere kritische Punkte habe Richartz nicht erwähnt. «Das war in meinen Augen eine Werbeveranstaltung
Trotz dieser Kritik sieht sich die Kardiologin nicht als Aufrragsschreiberin der Industrie. Sie sei der wissenschaftlichen Evidenz verpflichtet, Inhalte müssten so objektiv wie möglich sein. «Vermutlich glaubt sie das sogar», meinte Martina Keller in der «Zeit». Das Fatale sei nur: Die Nähe zur Industrie könne einem auch dann beeinflusssen, wenn man es nicht wahrhaben will.

  • Siehe dazu den Infosperber-Beitrag vom 21. August 2015 «Blutverdünner: Das Einseifen der Ärzte hat Erfolg» über die gewaltige Umsatzzunahme der neuen, fast zehnmal teureren Blutverdünner Xarelto, Pradaxa und Eliquis in der Schweiz – trotz Risiken und unbekannter Langzeitverträglichkeit.

*HINWEIS: Patienten, die das Medikament Pradaxa einnehmen, sollen es auf keinen Fall eigenmächtig absetzen. Halten Sie in diesem Fall Rücksprache mit Ihrem Arzt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor vertritt Prämienzahlende und PatientInnen in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission EAK.

Zum Infosperber-Dossier:

Pillen

Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

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2 Meinungen

  • am 18.08.2015 um 12:06 Uhr
    Permalink

    Deshalb benötigen wir eine von der Industrie unabhängige Versorgungsforschung zur Wahrung des WZW-Kriteriums Zweckmässigkeit!

    Siehe Wolf-Dieter Ludwig: «Wir haben einen globalen Pharmamarkt. Wir haben keine nationalen Zulassungen mehr. Wir haben 90% der Medikamente, die von der europäischen Arzneimittelagentur zugelassen werden. Die Gefahr geht nicht von den Phase 1 Studien aus. Die Gefahr geht davon aus, dass diese Studien, die methodisch besser sind von den pharmazeut. Herstellern als viele akademische Studien, die falschen Botschaften vermitteln. Die Daten sind manipuliert, im Nutzen übertrieben und letztlich Schäden auch verschwiegen werden. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir diese Situation verbessern. Das werden wir nur können, indem wir unabhängige Forschung unmittelbar nach der Zulassung stärken, indem Ärzte nicht mehr von den pharmazeutischen Herstellern über ihre Produkte informiert werden, sondern indem wir unabhängige Fort- & Weiterbildung haben. Ich finde es geradezu absurd, dass sich ein Mediziner zu 90/95% nach Zulassung eines neuen Wirkstoffes von der Industrie mit Hochglanzbroschüren über die Vorteile, und geringen Nachteile natürlich, dieses Wirkstoffes informieren muss. Wir haben nur 20, maximal 20% der Wirkstoffe, die neu zugelassen werden, die wirklich innovativ sind. D.h. sie bedeuten einen therapeutischen Fortschritt. Die meisten sind überflüssig und wir kriegen diese Information nicht zu den verschreibenden Ärzten und darum müssen wir kämpfen!“

  • am 18.08.2015 um 14:01 Uhr
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    Krimineller noch sind die Ärzte, die Gefälligkeitsgutachten für Behörden und Versicherungen ausstellen und dabei den Tod des Probanden in Kauf nehmen.

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