Buen Retiro Gross

Taxiert wie Nutztiere: Liste mit den Sklaven der Familie Escher und ihrem Schätzwert in Silberpesos. © Archivo Nacional de Cuba, La Habana (ARNAC)

Sklaverei-Altlasten: UBS verweigert Rechenschaft

Philippe Stalder /  Historiker wollen Verflechtungen des Schweizer Finanzplatzes mit dem Sklavenhandel aufarbeiten. Die UBS stellt sich dabei quer.

Vor 300 Jahren kolonisierten Europäer weite Teile der Welt, getrieben von der Gier nach Rohstoffen, Reichtümern und Macht. In diesem System der Ausbeutung spielte der transatlantische Sklavenhandel eine zentrale Rolle: Millionen von Menschen wurden gewaltsam aus Afrika verschleppt, versklavt und in den Kolonien zur Arbeit gezwungen. 

Dieses dunkle Kapitel wird oft mit Kolonialmächten wie Grossbritannien, Frankreich oder Spanien in Verbindung gebracht, es waren aber auch Länder ohne Kolonien wie die Schweiz in dieses System verwickelt. Schweizer Banken und Versicherungen trugen dazu bei, diesen Menschenhandel zu finanzieren, Risiken abzusichern und Profite zu maximieren.

Während sich die Schweiz allmählich ihrer kolonialen Vergangenheit stellt – etwa mit der Ausstellung «kolonial. Globale Verflechtungen der Schweiz», die aktuell im Landesmuseum in Zürich zu sehen ist –, verweigert die grösste Bank der Schweiz, die UBS, eine transparente Debatte.

UBS legte nicht die ganze Wahrheit offen

Der Schweizer Historiker und ehemalige SP-Politiker Hans Fässler versucht seit einiger Zeit, mit der UBS in einen Dialog über ihr koloniales Erbe zu treten. Gemäss Fässler habe die UBS bisher erst in einem einzigen Fall eine frühere Verbindung zur Sklaverei eingeräumt. Nämlich 2006, als die UBS in Anleihen des Flughafens von Chicago investieren wollte. 

In Chicago verpflichtet die sogenannte «slavery era disclosure legislation» Unternehmen, die mit der Stadt Geschäfte machen, dazu, ihre Sklaverei-Verbindungen offenzulegen. In diesem Rahmen gab die UBS in einer eidesstattlichen Erklärung an, Kenntnis von zwei Dokumenten zu haben, in denen ein Schweizer namens Jakob Gsell erwähnt wird, der während seiner Zeit in Brasilien zwei Diener hatte, von denen mindestens einer Gsells Sklave war. Gsell ist der Gründer der Deutsch-Schweizerischen Kreditbank, einer Vorgängerinstitution der UBS.

Dies ist jedoch nicht die ganze Wahrheit, wie aus einem Bericht hervorgeht, den Historiker der Universität Zürich 2020 zu Handen des Präsidialdepartements der Stadt Zürich erstellt haben. Demnach weist die UBS mindestens vier weitere Sklaverei-Verbindungen auf:

  • Im Jahr 1760 investierte die Zinskommission Leu in Anleihen der dänischen Krone. Diese Kredite dienten der dänischen Krone zur Finanzierung und Sicherung ihrer kolonialen Besitztümer in der Karibik, insbesondere auf den Jungferninseln St. Thomas, St. Croix und St. John, wo mehrere tausend Sklaven auf Plantagen arbeiteten. Die Zinskommission Leu beteiligte sich dadurch direkt an der Finanzierung der kolonialen Plantagen- und Sklavenwirtschaft Dänemarks. Die Zürcher Traditionsbank fusionierte 2007 mit der Clariden Bank zur Clariden Leu, die 2012 in die CS überging, welche dieses Jahr wiederum von der UBS übernommen wurde.
  • Eine weitere Verbindung zwischen der Zinskommission Leu und der karibischen Plantagenwirtschaft kann über Jacob Ambrosius Pool hergestellt werden. Er stammte aus einer bündnerischen Familie, die sich in Amsterdam niedergelassen hatte, war im Kolonialhandel tätig und besass Anteile an mehreren Plantagen in Guyana. Seine Firma, Jacob Ambrosius Pool & Compagnie in Amsterdam, erhielt in den Jahren 1768 und 1772 ebenfalls Darlehen von der Zinskommission Leu.
  • Johann Ulrich Zellweger (1804-1871) aus Trogen gründete 1866 die Bank für Appenzell Ausserrhoden. Sein Vermögen, das Zellweger für die Bankgründung einsetzte, machte er während seiner Zeit in Kuba, wo er in der Geschäftsführung der Drake Brothers & Co. tätig war. Die Drake-Familie besass eine Zuckerplantage mit rund 400 Sklaven, kontrollierte zwei Drittel der kubanischen Zucker-Exporte und gab Kredite an andere Besitzer von Sklavenplantagen. So machte Zellweger mit der Finanzierung des Sklavenhandels grosse Profite. Zellwegers lokale Privatbank fusionierte 1909 mit dem Schweizerischen Bankverein (SBV), welcher sich 1998 mit der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) zur UBS zusammenschloss. 
  • 1856 gründete Alfred Escher die Schweizerische Kreditanstalt, die Vorläuferin der Credit Suisse, die dieses Jahr von der UBS übernommen wurde. Alfred Eschers Onkel betrieb auf Kuba die Kaffeeplantage «Buen Retiro», auf der über 80 Sklaven in 14 Stunden-Schichten jährlich rund 300 Tonnen Kaffeebohnen ernteten. Als Alfred Eschers Onkel Fritz 1845 verstarb, erbte Alfred Eschers Vater Heinrich die Plantage. Dieser verkaufte die Plantage, bevor er 1853 starb und Alfred Escher eine Million Franken (nach heutigem Wert rund 12 Millionen Franken) vererbte. Ein Teil des Vermögens, das Alfred Escher für die Gründung der Schweizerischen Kreditanstalt einlegte, stammte demnach aus Sklaverei-Profiten. 
Taxiert wie Nutztiere: Liste mit den Sklaven der Familie Escher und ihrem Schätzwert in Silberpesos. Quelle: Archivo Nacional de Cuba, La Habana (ARNAC)

UBS steckt Kopf in den Sand

Hans Fässler machte den Chef der UBS, Sergio Ermotti, im März dieses Jahres auf die Forschungsergebnisse aufmerksam und fragte Ermotti, ob er gewillt sei, ein unabhängiges und umfassendes historisches Projekt zur Aufarbeitung der Sklavereivergangenheit von UBS, Credit Suisse und deren Vorgängerinstitute in Auftrag zu geben. Der Briefwechsel liegt dieser Redaktion vor. Leider verpasste die UBS diese Chance, sich kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. So antwortete der UBS-Historiker, Christian Leitz, in Bezug auf die oben aufgeführten Forschungsergebnisse: 

«Wir nehmen Ihre Anschuldigungen zur Kenntnis, weisen sie aber zurück, da es keine Anzeichen dafür gibt, dass die Vorgängerinstitute von UBS in den transatlantischen Sklavenhandel involviert waren oder einen direkten wirtschaftlichen Nutzen daraus zogen. (…) Zu diesem Schluss sind wir nach eingehender Prüfung durch unabhängige Historiker und andere Experten gekommen.»

Welches diese «unabhängigen Historiker» sein sollen, und wo man ihre «eingehende Prüfung» nachlesen könne, darauf vermochte der UBS-Historiker Leitz auf Nachfrage jedoch keine Antwort zu geben.

Archive bleiben der Öffentlichkeit verschlossen

Man darf davon ausgehen, dass die erwähnten Verbindungen bloss die Spitze des Eisbergs darstellen. Wie die Autoren des Berichts festhalten, existieren insgesamt viel zu wenig Informationen darüber, inwiefern Schweizer Finanzinstitutionen in die Sklaverei involviert waren. Der Hauptgrund liege darin, dass viele Firmenarchive bis heute der Öffentlichkeit verschlossen bleiben – teilweise mit einem Verweis auf das Bankgeheimnis von Kunden, die bereits seit mehreren Jahrhunderten tot sind.

So erhalten Forscher heute nur Zugang zum Archiv der ehemaligen Zinskommission Leu, wenn die UBS ihre Zustimmung dazu gibt. Und dies, obwohl das Firmenarchiv der halbstaatlichen Zinskommission Leu heute im Staatsarchiv des Kantons Zürich untergebracht ist, dessen Leistungsauftrag gemäss eigener Website lautet: «Es [das Staatsarchiv] überliefert Originalunterlagen und macht sie der Öffentlichkeit zugänglich. Damit werden staatliches Handeln nachvollziehbar und die Rechtssicherheit gewährleistet.»


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