SBB beschenken ihre Kundschaft – auf Kosten des Staates
Trotz Rückschlag beim Güterverkehr seien die Bundesbahnen «überwiegend gut unterwegs». Mit dieser Titelzeile kommentiert die SBB-Konzernleitung ihr letztjähriges Geschäftsergebnis. Ihr Eigenlob stützte sie mit folgenden Daten: Der Konzerngewinn stieg 2017 gegenüber dem Vorjahr um 4,8 Prozent oder 18 Millionen auf 399 Millionen Franken. Die Zahl der Passagiere und die Pünktlichkeit der Züge nahmen zu, aber nur noch hinter der Kommastelle (plus 0,6 respektive 0,2%) und damit weniger stark als in früheren Jahren.
Deutlich gestiegen sei im Personenverkehr auch die «Kundenzufriedenheit». Allerdings beurteilten die Fahrgäste das «Preisleistungsverhältnis kritischer», schreiben die SBB. Im Klartext: Die Passagiere finden, ihre Bahntarife seien zu hoch. Das kritisieren oft auch Konsumschützerinnen sowie der Preisüberwacher. Um dieser Klage Rechnung zu tragen, wollen die SBB ihren Kundinnen und Kunden im laufenden Jahr 50 Millionen Franken schenken; dies mittels einer stärkeren Verbilligung von Sparbilletten und mit Gutscheinen für die Stammkundschaft mit Generalabonnement.
Am stärksten wachsen Staatsbeiträge und Schulden
Dieses Geschenk prägte gestern und heute viele Medienberichte – von den Pendlerzeitungen über das SRF-«Echo der Zeit» bis zum «Tamedia»-Verbund –, obwohl die 50 Millionen gemessen am SBB-Jahresumsatz von 9,4 Milliarden lediglich 0,5 Prozent betragen. Verkehrspolitisch relevanter sind andere Ergebnisse der Erfolgsrechnung, die sich vor der Kommastelle bewegen:
– Gegenüber dem Vorjahr stieg 2017 der gesamte Umsatz respektive Betriebsertrag der SBB um 5,1 Prozent auf 9,4 Milliarden Franken. Von diesem Wachstum des Gesamtertrages entfielen aber nur 134 Millionen (plus 3,2%) auf die Zunahme des Verkehrsertrags. 200 zusätzliche Millionen Franken (plus 8,1%) bezahlte die öffentliche Hand in Form von höheren Investitionsbeiträgen und Abgeltungen.
– Der Anteil der Staatsbeiträge am gesamten SBB- Ertrag ist absolut und prozentual also stärker gewachsen als der Ertrag aus dem Verkehr.
Relevanter als die kurzfristige ist die langfristige Entwicklung. In der folgenden Grafik vergleichen wir darum die Entwicklung von wichtigen SBB-Kennzahlen in den Jahren 2007 und 2017.
Diese zehnjährige Entwicklung bestätigt und verstärkt den kurzfristigen Trend im Einzelnen wie folgt:
o Die Transportleistung der SBB im Personen- und Güterverkehr, gemessen in Personen- plus Tonnenkilometern, stieg von 2007 bis 2017 um rund 25 Prozent. Das zeigt sich am Gedränge auf den Bahnperrons und an den längeren Zügen.
o Der Verkehrsertrag insgesamt (Tarifeinnahmen im Personen- plus Gütertransport) nahm in den letzten zehn Jahren etwas weniger stark zu als die Transportleistung, nämlich um 22 Prozent.
o Beim Verkehrsertrag öffnete sich die Schere zwischen Personen- und Gütertransport: Im Personenverkehr stieg der Ertrag um 43 Prozent; diese Zunahme spiegelt die höhere Transportleistung plus Tariferhöhungen. Im Güterverkehr hingegen sank der Ertrag um 13 Prozent. Dieses Ergebnis resultierte aus einem leicht höheren Transportvolumen und einem starken Einbruch der Marktpreise im Gütertransport.
o Die Staatsbeiträge respektive «erfolgswirksamen» Beiträge der öffentlichen Hand (vorab Bund und Kantone) an die SBB stiegen von 1,95 Milliarden Franken im Jahr 2007 auf 2,67 Milliarden Franken im Jahr 2017. Dieser Subventionszuwachs ist prozentual (plus 37%) deutlich und auch absolut leicht höher als die Zunahme des Verkehrsertrages. Nicht enthalten in diesen «erfolgswirksamen» Beiträgen sind die Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe für grosse, Infrastrukturbauten wie etwa die Neat, die der Bund mit den Investitions-Fonds FinöV und seit 2014 mit dem Fabi-Fonds finanzierte und weiterhin finanzieren wird.
Der Anteil dieser Staatsbeiträge am gesamten Aufwand und Ertrag der SBB hat seit 2007 ebenfalls zugenommen: 2017 deckten diese Staatssubventionen (2,67 Mrd. Fr.) bereits 28 Prozent des SBB-Betriebsertrages. Noch höher ist der Anteil der Staatsbeiträge am gesamten Schienenverkehr (inklusive Privatbahnen), weil bei den Privatbahnen der Anteil des besonders defizitären Regionalverkehrs höher ist als bei den SBB, die einen höheren Anteil der Transportleistung im Fernverkehr erbringen.
Finanzierung des Verkehrs entfernt sich weiter vom Verursacher-Prinzip
Der wachsende Anteil der Staatsbeiträge, die Bund und Kantone an die SBB im Besonderen und an den Schienenverkehrs im Allgemeinen zahlen, widerspricht dem Verursacher-Prinzip. Denn nach Verursacher-Prinzip sollten die Nutzer die Kosten des Verkehrs voll decken.
Das Geschenklein im Umfang von 50 Millionen Franken, das die SBB-Direktion ihrer Kundschaft jetzt macht, mag die Verkehrskonsumenten zwar freuen. Doch es ist ein kleiner Schritt in die falsche Richtung. Notwendig hingegen wären grosse Schritte in Richtung Kostenwahrheit im Schienenverkehr. Das Gleiche, aber das ist eine andere Geschichte, gilt auch im Strassenverkehr.
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Weitere Informationen:
Unternehmen sollen für Pendler bezahlen
Wann kommt der Aufstand der Stubenhocker
Dossier: Auto oder Bahn: Wer zahlt Defizite
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Solange ich den Privatverkehr sowie den Transport auf der Strasse mitfinanziere, nicht zu vergessen die Umweltkosten, solange bin ich nicht bereit, selbst noch mehr in meine Tasche zu greifen.
Bleiben wir realistisch. Auch wenn Guggenbühl zu Schluss schreibt – «Das Gleiche, aber das ist eine andere Geschichte, gilt auch im Strassenverkehr.» -, ist der Artikel eine Steilvorlage für eine neoliberale Verkehrspolitik.
Ich fahre täglich 2-3 Stunden mit dem ÖV, werde jedoch – wie wohl die meisten – nicht beschenkt. Also alles bloss Augenwischerei.
Der Begriff «Verursacherprinzip» stösst bei mir sauer auf. Weitaus die meisten Zugpassagiere benutzen die Bahn, um von ihren oft weit abgelegenen und darum zahlbaren Wohnorten an ihre Arbeitsplätze zu gelangen. Das tun sie nicht freiwillig. Diese Fahrten werden vom System «verursacht», darum sollen auch die Vertreter dieses Systems als die wahren Verursacher dieser Bahnfahrten diese auch bezahlen. Nur so verstanden kann ich das Verursacherprinzip akzeptieren. Von diesem Service Public profitieren v.a. die Unternehmer. Sie sollen auch bezahlen!
Wenn ich für 18 Fr. von Lavorgo nach Bern fahre,nutze ich einen Platz der sonst leer bleibt.Die SBB verkauft Plätze, die sie aus politischen Gründen anbieten muss,an Leute die sonst Zuhause bleiben.In Italien ist für mich Zugfahrten so billig,dass ich mir eher eine Reise nach Italien gönne,als zum vollen Preis in die Deutschschweiz zu reisen.Der oeffentliche Verkehr braucht vor allem Akzeptanz.Warum soll er in verkehrsschwachen Zeiten Menschen mit viel Zeit nicht billige Reisemöglichkeiten anbieten?
Nein, lieber Hanspeter, das mit dem privaten Autoverkehr ist nicht eine andere Geschichte, sondern, so meine ich, der wichtigste Grund dafür, dass die öffentliche Hand ihre Investitionen in den öV verstärkt, damit der vielleicht mal gleich lange Spiesse bekommt. Ich meine immer noch, man müsste als erstes bei der Kostenwahrheit im Privatverkehr ansetzen, bevor man Infrastrukturmassnahmen und Werbeaktionen für den öV kritisiert.
Wenn ich recht verstanden habe, ist die Preissenkung der SBB vor allem der Einstieg in den Irrsinn der hochdifferenzierten Preise: Je nach Zeit, Zug, Frequenz etc. andere Preise. In England ist es schon so, dass Du Mitreisende nicht anfragen kannst, ob sie mit dem von Dir ausgewählten Zug und Preis einverstanden sind. Bis die nämlich antworten, haben sich die Preise schon wieder geändert. So weit sind wir noch nicht, aber auch die SBB will, glaub ich, die Pendler bestrafen, in dem sie die Preise nur für die Zeiten und Züge senkt, in denen weniger Reisende zu erwarten sind als in den Spitzenzeiten und -zügen. Felix Schneider
Irgendwie missfällt mir der Artikel. Denn die hier kritisierte Verletzung des «Verursacherprinzips» auf Staatskosten vernachlässigt die Tatsache, dass die Alternative zur Bahn für die meisten das Privatauto darstellt, dessen Umweltschäden von der Allgemeinheit (=Staat) getragen werden müssen. Wenn ich auch nicht glaube, dass diese bescheidene Rückvergütung jemand zum Bahnfahren bewegen wird, scheint es mir eher ein Schritt in die richtige Richtung als eine verdammungswürdige Verletzung des Verursacherprinzips.
Für mich ist motorisierte Mobilität generell lächerlich billig. Ich bin häufig überrascht, wie wenig mein (Halbtax-)Billet kostet. (Ja, auch ich habe ein Halbtax und erliege den Verlockungen des Systems.) Das hat für mich mit einem angemessenen, kostendeckenden Preis wenig zu tun. Subventionen, egal ob für Strassen- oder Schienenverkehr, bringen uns weg von der Eigenverantwortung. Als hauptsächlich Velofahrender stört es mich, die meines Erachtens übertriebene Verkehrsinfrastruktur in diesem Mass mitzufinanzieren. Ein halbes Billet im Mittelstrecken- und Fernverkehr ist für mich meist teurer, als wenn ich diese Strecke mit dem Velo zurücklegen würde und die zusätzlich nötige Verpflegung einrechne. Da stimmt doch was nicht!
Ich weiss nicht, was der Autor mit diesem, in meinen Augen tendenziösen Artikel mit unnötig reisserischem Titel bezwecken will. SBB-Bashing oder schlicht Demonstration seiner Rechenkünste? – Das Wichtigste steht dann im allerletzten Satz: «Das Gleiche, aber das ist eine andere Geschichte, gilt auch im Strassenverkehr.»
Ganz genau! Und weil das so ist, wir alle (und DAS ist «der Staat") aber ein reges Interesse daran haben (oder haben sollten), dass mehr Leute den viel effizienteren ÖV benutzen statt sich individuell und emissionsintensiv fortzubewegen, macht es eben Sinn, dass «der Staat» nicht nur die Folgekosten des Strassenverkehrs, sondern auch beim ÖV gewisse Grundkosten deckt. Gerade weil die Ticketpreise Jahr für Jahr steil ansteigen – ein GA kostet fast das Doppelte als noch vor 15 Jahren. Während die Benzin- und Dieselpreise stagnieren.