Saurer und das Oerlikon-Karussell
«Oerlikon schliesst Entschlackungskur mit Verkauf von Saurer ab», lautete eine der Schlagzeilen, als die OC Oerlikon kürzlich ihr Naturfaser- und Komponentengeschäft an das Jins-heng-Konglomerat des chinesischen Finanzinvestors Xueping Pan abstiess. Man feierte die Rückkehr des Traditionsnamens Saurer und den Sprung, den die Oerlikon-Aktie an der Börse kurzzeitig machte. Was da «entschlackt» wurde, hat sich die OC Oerlikon vor sechs Jahren mit viel Brimborium unter den Nagel gerissen. Ob das denn alles nötig war, wurde kaum mehr gefragt.
Unterbewerteter Honigtopf
Nach dem Ende der Lastwagenproduktion und der Aufgabe des Webmaschinengeschäfts lag Saurer in den späten 1980er Jahren bereits einmal am Boden. Tito Tettamanti und seine Nachfolger haben das Ostschweizer Unternehmen neu aufgebaut, zu einem Spinnerei-Technologie-Konzern entwickelt und mit einer Getriebedivision (Graziano) ergänzt. Um sich breiter abzustützen, stieg Saurer 1999 auch ins Chemiefasergeschäft ein. In dieser Form hätte Saurer durchaus selbständig überleben können. Das zeigt das Beispiel der Konkurrentin Rieter, die sich im Mai 2011 gar von ihrer Diversifikationssparte Automotive trennte und sich ausschliesslich auf das Spinnmaschinengeschäft konzentrierte.
2005 entdeckte aber der britische Hedgefonds Laxey, der auch beim Baukonzern Implenia, bei Charles Vögele, Swissmetal und der Publigroupe unrühmliche Gastspiele gab, Saurer als unterbewerteten Honigtopf. Nach der Meinung von Analysten war Saurer damals gut gemanagt und gut positioniert, verfügte über eine starke Bilanz mit viel Liquidität und generierte «weiterhin viel Cash». Saurer-Präsident war der Schaffhauser Investor Giorgio Behr. Er war in den 1990er Jahren als Vertreter der BB Industrie (Ernst Müller-Möhl) zu Saurer gestossen, mittlerweile selbst ein bedeutender Aktionär und im Prinzip verkaufswillig. Behr fand nach über einjährigem Ringen mit Laxey eine Lösung, indem er «seine» Saurer 2006 an die OC Oerlikon verkaufte. Dieser Handwechsel entsprang, allen Beteuerungen zum Trotz, nicht industriellen Überlegungen, sondern war rein finanzgetrieben. Die OC Oerlikon (ex-Oerlikon-Bührle) hiess damals Unaxis und befand sich auf einem forschen Expansionskurs.
Im Reiche Vekselbergs
Nach dem Versagen der alten Besitzerfamilie (Anda-Bührle) und der bisherigen Führungsriege war die OC Oerlikon 2005 in die Hände der österreichischen Victory des Trios Ronny Pecik, Mirko Kovats und Georg Stumpf geraten, die in jenen Jahren durch die Schweiz wirbelten, später aber wieder verschwunden sind. Auf sie folgte 2008, wiederum nach harten Auseinandersetzungen, der russische Oligarch Viktor Vekselberg, der sich zuvor schon die Kontrolle über Sulzer gesichert hatte. Bei OC Oerlikon jagten sich, in einem Zick-Zack-Kurs zwischen Konglomeratsbildung und Konzentration aufs Kerngeschäft, die Käufe und Verkäufe. Optics wurde ans Management, das Weltraumgeschäft Oerlikon Space (ex-Contraves) an den Rüstungskonzern Ruag abgestossen. 2009 verkaufte man, nach langem Hin und Her, auch Esec, die Bestückungsmaschinen für die Halbleiterindustrie herstellt. Ebenfalls getrennt hat sich OC Oerlikon von den Flugzeugwerken Pilatus. Parallel baute man, als Zukunftsgeschäft, eine Solarsparte auf, lobte diese in alle Himmel – und veräusserte sie kürzlich an die japanische Tokyo Electron.
Synergien? Nur Schall und Rauch
Saurer hat nie zu OC Oerlikon gepasst. Zwar wurden, wie bei Übernahmen üblich, Synergien heraufbeschworen. Man behauptete Überlappungen bei Produkten, Märkten und Technologien, und der damalige Oerlikon-CEO Thomas Limberger sprach von einem neuen Forschungszentrum in Deutschland, das «mit über 250 Wissenschaftlern das grösste Projekt in der deutschen F&E-Landschaft seit Jahren sein wird». Alles Schall und Rauch. Saurer war bald einmal das ungeliebte Kind und stand schon unmittelbar nach der Übernahme wieder zur Disposition. Ronny Pecik habe sich im Spätherbst 2006 intensiv darum bemüht, «in Indien einen potenten Kaufinteressenten für die soeben von Oerlikon akquirierte Saurer zu gewinnen», schreibt Alice Chalupny in ihrem Buch «Victory und Vekselberg». Seither war, je nach Konjunkturverlauf, immer wieder von einem möglichen Verkauf die Rede. Im November 2009 hiess es, der frühere Saurer-CEO Heinrich Fischer sei zusammen mit chinesischen Investoren an einer Übernahme interessiert. So wie es nun geschehen ist: Fischer wird bei Jinsheng Präsident der neuen Saurer.
2010 schrammte OC Oerlikon äusserst knapp am finanziellen Kollaps vorbei. Der jetzt beschlossene Verkauf des Naturfasergeschäfts wurde wiederum mit vielen schönen Worten angekündigt. Man erreiche dadurch eine bessere Balance zwischen den Sparten, erklärte CEO Michael Buscher. Der Konzern umfasst nun noch Beschichtungen, Vakuumpumpen, die seinerzeit mit Saurer übernommenen Antriebssysteme und den Rest der Textildivision. Diese hat man nämlich nicht ganz abgestossen, sondern den Chemiefaserbereich, der besser rentiert und zukunftsträchtiger ist, für sich behalten. Damit wurde die alte Saurer auseinandergerissen.
Ein KMU bietet erfolgreich die Stirn
Die Saurer-Naturfasersparte wurde dorthin verkauft, wo das Textilmaschinengeschäft zur Hauptsache schon längst gemacht wird – nach Asien. Das ist nichts als folgerichtig. In der Schweiz gibt es noch eine einzige Baumwollspinnerei. Mitverkauft hat OC Oerlikon auch das in Arbon domizilierte Geschäft mit den Schifflistickmaschinen. Sie haben als einziges Segment, seit den 1870er Jahren, alle Stürme bei Saurer überlebt. Der einzige ernsthafte Konkurrent in diesem Bereich ist, ganz in der Nähe, Lässer in Diepoldsau. Lässer stieg 1983 in die Entwicklung und den Bau von Schifflistickmaschinen ein, wuchs aus eigener Kraft, kann Saurer schon längst die Stirn bieten, ist ein KMU und fertigt, im Unterschied zu Saurer, überwiegend in der Schweiz. Solche Unternehmen, die nicht dem Terror der Börsen, Finanz-haien und ständig wechselnden Managements ausgesetzt sind, sind das Zukunftsmodell der Schweizer Industrie. Auch wenn es schön ist, dass der Name Saurer nicht ganz unterging.
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Dieser Beitrag erschien zuerst im P.S. vom 13.12.2012.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Mitverfasser von Saurer, vom Ostschweizer Kleinbetrieb zum internationalen Technologiekonzern, Baden 2003.
Danke, sehr informativ. Hebt sich von den üblichen Jubelgeschichtli deutlich ab, die ich bisher darüber las. Der Hinweis auf die Firma Lässer ist besonders interessant. Obwohl ich CH-Ossi bin, war mir dieses im Stillen boomende Unternehmen bisher nicht bekannt. Es begann 1951 mit einer mechanischen Werkstatt. Das sind doch tolle, spannende Geschichten, die hinter der provinziellen Fassade stecken.
Als schwer UBS-übersättigter Medienkonsument möchte ich mehr von dieser Sorte. Nach wie vor machen Unternehmen wie Lässer das Rückgrad der Schweizer Wirtschaft aus. Sie sind für das Land deutlich wichtiger, wie Rudolf Strahm hier auf «Infosperber» kürzlich mal wieder überzeugend vorrechnete, als die wg. krimineller Handlungen zu Milliardenbussen verurteilten Matadoren der Finanzindustrie (zählt übrigens mal jemand zusammen, wieviele Milliarden die in den letzten 3 Jahren wg. kriminellen Verhaltens bezahlen mussten, gern als Tabelle mit Summe, Ort und Art der Tat, Namen der Verantwortlichen; könnte ja per Zufall mal einem Wirtschaftsressort-Leiter einfallen, auch wenn er dann eine Weile nicht mehr zu intimen Meetings eingeladen wird…).
"Die Zeit der Fabrik» im Rotpunktverlag geschrieben von Herrn Keller ist das beste Buch,das mir in die Hände fiel.Da findet man die ganze Saurergeschichte.Wer dieses Buch gelesen hat,versteht warum die die industrielle Restschweiz in dieser Form abgewrackt wird.
Die Getriebedivision Grazino heisst heute Oerlikon-Graziano.Sonst hätte ich sie kürzlich in Bologna glatt übersehen.Tito Tettamanti übernahm sie von einem Spezi,der mit dem Gesetz in Konflikt stand. Sie passt noch viel weniger zu Oerlikon,als Saurer.