«Nachhaltig und fair» bleibt oft Wunschdenken
Am Dienstag hat der Ständerat mit knapper Mehrheit beschlossen, nicht auf einen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) einzutreten und die Initiative dem Volk zur Ablehnung vorzuschlagen.
Die Initiative, die von über hundert Umwelt-, Menschenrechts- und Kirchenorganisationen mitgetragen wird, verlangt, dass Firmen mit Sitz in der Schweiz sowie Tochterfirmen vor Ort internationale Sozial- und Umweltstandards auch im Ausland einhalten müssen. Die bisher freiwilligen Regeln sollen gesetzlich verankert werden.
Einer, der sich seit Jahren mit dem Thema auseinandersetzt, ist Stefan Dietrich. Der Geograph und Ethnologe ist Gründungsmitglied des Büros Fair-Ortung mit Sitz in Berlin, das sich auf Themen wie Warenketten, nachhaltige Landwirtschaft oder Ökotourismus spezialisiert hat und Organisationen beratend zur Seite steht. Schwerpunktregion von Fair-Ortung ist Lateinamerika. Seine Doktorarbeit von 2013 schrieb Stefan Dietrich zur Garnelenzucht und Bananenproduktion in Ecuador. Die zentrale Frage, die er darin stellt: «Bio + Fair = nachhaltig?»
Romano Paganini: Stefan Dietrich, was halten Sie von der Idee, dass Schweizer Konzerne Umwelt- und Sozialstandards bei ihren Tochterfirmen im Ausland gesetzlich durchsetzen sollen?
Stefan Dietrich: Ich finde es prinzipiell sinnvoll, wenn grössere Firmen, die international verflochten sind, in die Pflicht genommen werden. Den Ansatz, die Verantwortung nicht einfach den Zulieferbetrieben zu überlassen, finde ich gut. Inwieweit sich das dann praktisch umsetzen lässt, ist eine andere Frage.
Stefan Dietrich im Golf von Guayaquil, Ecuador: «Mit Fragen zur Gerechtigkeit im globalisierten Markt wird man sich noch lange beschäftigen müssen.» (Bild: Privatarchiv Stefan Dietrich)
Wo sehen Sie die Schwierigkeiten?
Angesichts der grossen Vielfalt an Produkten auf unseren Märkten und der verschiedenen Herkunftsländer ist zunächst einmal eine enorme Menge an Wissen erforderlich. Es geht sowohl um Wissen über die Produkte sowie deren Herstellungsprozesse als auch Wissen über die Region, wo die Produktion eingebettet ist. Die Beobachtungen, die ich bei Bananen und Garnelen aus Ecuador gemacht habe, zeigen, dass viele verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Wenn man vor Ort Veränderungen zu Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit anstossen möchte, müssen diese Faktoren berücksichtigt werden. Und das ist ziemlich schwierig.
Warum?
Weil es um grössere Zusammenhänge geht. In Ecuador wurde vor ungefähr 15 Jahren der Versuch unternommen, mit der Zertifizierung von Umwelt- und Sozialstandards die Garnelenzucht nachhaltiger zu gestalten. Heute stellen wir fest, dass dieser Versuch aufgrund der hiesigen Realitäten an seine Grenzen stösst, etwa in punkto Sicherheit.
Können Sie das konkretisieren?
Den Garnelenzuchtfarmen macht die organisierte Piraterie zu schaffen; die Betriebe werden immer wieder überfallen und ausgeraubt. Sie haben sich deshalb private Sicherheitsdienste zugelegt, mit denen sie die Zuchtteiche, die Produktionsstätten und die Schiffe, die die Ernte abtransportieren, bewachen. Dabei hat sich bei den Betrieben die Ansicht durchgesetzt, Fischer aus den umliegenden Gemeinden, die sich den Farmen nähern, könnten Diebe oder Piraten sein. Deshalb werden ansässige Fischer nicht mehr in die Mangrovenwälder hineingelassen. Doch die fangen dort Krebse und pflücken Austern. Diesen Fischern den Zugang zu den Mangroven zu gewähren, ist einer der Sozialstandards, die im Umfeld der Garnelenproduktion in ganz vielen Fällen nicht eingehalten werden und die sich auch nur schwer kontrollieren lassen.
Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung ist eines der Hauptargumente der GegnerInnen der Konzernverantwortungsinitiative (Kovi). Worauf müsste man besonders achten, sollte die Initiative angenommen werden?
Wichtig ist, dass alle betroffenen Akteure eingebunden werden. Bei der Garnelenzucht sind das neben den Firmen und deren Lieferanten auch die Fischergemeinden und deren BewohnerInnen. Die sind zwar nicht an der Garnelenproduktion beteiligt, aber in hohem Masse von ihr betroffen. Man sollte sie nicht als passive Gruppe wahrnehmen, sondern ihre eigenen Strategien in den Konflikt um die Nutzung von Ressourcen miteinbeziehen. Das passiert heute viel zu wenig. Dabei gibt es durchaus Ansätze, bei denen eine Zusammenarbeit mit den Garnelenfarmen möglich wäre.
Zum Beispiel?
Nehmen wir die Sicherheits- und Gewaltproblematik: Die Fischer kennen sich in der Gegend am besten aus, und die Zusammenarbeit könnte so aussehen, dass die Garnelenfarmen ihnen den Zugang zu den Mangroven, die ein öffentliches Gut sind, nicht verwehren. Die Fischer ihrerseits halten dafür die Augen offen und melden allfällige Probleme den Farmen. Beide Seiten hätten so ein effektiveres Sicherheitskonzept und die Fischer erhielten gleichzeitig den für sie so wichtigen uneingeschränkten Zugang zu den Mangroven.
Das klingt schön, aber würde das nicht zwingend kleinere Strukturen erfordern, die einfacher zu überschauen sind?
Kleinere Strukturen einerseits, viel Aufbauarbeit andererseits. Generell herrscht sehr viel gegenseitiges Misstrauen, kombiniert mit der Unkenntnis darüber, was der andere macht und was er möchte. Für eine Zusammenarbeit müsste zuerst Vertrauen aufgebaut werden. Und das ist bei zwei derart ungleichen Partnern mit völlig verschiedenen Lebenswelten äusserst schwierig.
Liegt der Kern der Problematik letztlich nicht bei den Klassenunterschieden: auf der einen Seite die lokalen Fischer und ihre bescheidene Lebensweise, auf der anderen die mächtigen Garnelenproduzenten mit ihrem Wachstumszwang?
Sie meinen die grundlegenden Strukturen, die auf Ressourcenausbeutung ausgelegt sind, unabhängig davon, ob diese unter Nachhaltigkeitskriterien erfolgt oder nicht?
Genau.
Klar, die Garnelenzucht wurde einst von der Agrarelite der ecuadorianischen Küste vorangetrieben. Viele der Garnelenzüchter kamen aus dem Bananensektor und sind in die Mangrovengebiete vorgestossen. Bis dahin waren diese Regionen wirtschaftlich wenig interessant und die alteingesessene Bevölkerung lebte dort relativ ungestört. Inzwischen wird zwar nicht mehr so viel verschmutzt wie früher, aber es handelt sich trotz allem um eine sehr intensive Form der Zucht. Trotz Standards ist man weit von einer nachhaltigen Produktions- und Lebensweise entfernt.
Haben Vorstösse wie die Kovi nicht auch etwas Koloniales, so quasi: Wir zeigen euch, wie das mit den Sozial- und Umweltstandards funktioniert?
Wenn die Vorstösse einseitig daherkommen auf jeden Fall. Das habe ich bei meinen Beobachtungen auf den Garnelenfarmen festgestellt. Die Zertifizierungsfirmen machen da zwar sehr gute Arbeit, aber letztlich geschieht alles auf Wunsch des Käufers. Solange es sich rechnet, versucht man seine Vorstellungen zu erfüllen. Und wenn der Käufer blaue Garnelen haben will, dann wird man versuchen, blaue Garnelen herzustellen.
In Ihrer Doktorarbeit schreiben Sie, dass einige MitarbeiterInnen der Zertifizierungsfirmen den Standards äusserst kritisch gegenüberstehen. Glauben diese an das, was sie machen?
Jene, die direkt mit der Zertifizierung zu tun hatten, sind äusserst engagiert und haben sich sehr professionell mit der Problematik auseinandergesetzt. Auch sahen sie die Vorteile für ganz Ecuador, also dass etwa mit der Umwelt schonender umgegangen wird und dass die Arbeiter der Betriebe etwas davon haben. Zudem sahen insbesondere die leitenden Mitarbeiter, dass sie sich durch Umwelt- und Sozialstandards von den Konkurrenzbetrieben abgrenzen können, die solche Regeln nicht kennen.
Aber …
Was hingegen schwieriger ist, ist das Umsetzen solcher Konzepte im sozialen Bereich, etwa bei den Arbeitern. Sie haben keine Erfahrung darin, wie sie mit einer Fairtrade-Prämie umgehen sollen. In der Regel kommen sie für drei Wochen auf die Farm, erhalten den hiesigen Mindestlohn und sind meist gar nicht in der Lage, neue Ideen aufzugreifen. Dem haftet dann etwas Aufgesetztes an: vorgestellt und eingeführt von den Büros in der Stadt, ohne es dann vor Ort mit Leben füllen zu können.
Dann ist und bleibt der Anspruch, Sozial- und Umweltstandards in Ländern des globalen Südens einzuhalten, der Traum europäischer KonsumentInnen.
In vielen Fällen wahrscheinlich ja. So etwas geht nur im kleinen Rahmen, wo eine gegenseitige Annäherung möglich ist und die verschiedenen Akteure Zeit füreinander finden. Denn wenn man die Forderung nach mehr Verantwortung der Konzerne wirklich ernst nimmt und konsequent zu Ende denkt, müsste man zum Schluss kommen, dass eine nachhaltige Produktion an vielen Orten durch sie schlichtweg nicht möglich ist.
Das tönt so, als ob die Kovi überflüssig wäre.
Das habe ich nicht gesagt. Das Entscheidende ist zu erkennen, dass ein Vorstoss wie die Kovi nicht das Ende der Debatte ist, sondern, wenn überhaupt, deren Anfang. Fragen, die die Kovi aufwirft, müssen Teil der gesellschaftlichen Diskussion bleiben, und es bedarf einer kritischen Auseinandersetzung aller Beteiligten. Denn mit Fragen zur Gerechtigkeit im globalisierten Markt wird man sich noch lange beschäftigen müssen.
Worauf möchten Sie hinaus?
Dass die Kovi eine Chance sein kann, die Konzerne in die Verantwortung zu nehmen und nachhaltige Produktion und fairen Handel in breiten Teilen der Gesellschaft zu verankern – ohne dabei jedoch das Gefühl zu haben, damit alle Probleme auf einen Streich zu lösen. Es ist wichtig, dass diesbezüglich Bewusstsein geschaffen wird und die Prozesse, die sich hinter unserem Konsum verbergen, sichtbar gemacht werden. Wir sollten über die wirtschaftlichen Verflechtungen Bescheid wissen, insbesondere in wohlhabenden Ländern wie in der Schweiz.
Was erhoffen Sie sich davon?
Wer sich mit den Widersprüchen der Konsumgesellschaft auseinandersetzt, öffnet sich vielleicht auch für alternative Ansätze und erkennt, dass es nicht reicht, Lebensmittel am anderen Ende der Welt zertifizieren zu lassen. Macht es überhaupt Sinn, in Ecuador Shrimps für unsere Märkte zu züchten? Oder müssen wir uns von dieser Idee nicht verabschieden und stattdessen zu anderen Produktions- und Lebensformen gelangen?
Sie meinen, wieder vermehrt lokal zu wirtschaften?
Lokal und auf kleiner Ebene, gerade in der Landwirtschaft. Dadurch können wir die Prozesse wieder überblicken, sie gegebenenfalls schützen und damit unserem Anspruch nach Nachhaltigkeit gerecht werden.
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Dieser Beitrag ist zuerst auf mutantia.ch erschienen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor lebt in Lateinamerika und betreibt von dort aus unter anderem die Website mutantia.ch.