Mit diesen Zahlen hat die Tagesschau das Publikum getäuscht
Die Tagesschau vom 23. April erweckte den falschen Eindruck, dass die Endpreise patentgeschützter Medikamente in Belgien, den Niederlanden und Dänemark fast so hoch seien wie in der Schweiz. Und nur etwa 12 Prozent teurer als in Schweden. In Wahrheit sind die Preisunterschiede grösser.
Tatsächlich müssen die Schweizer Krankenkassen fast jeden vierten Prämienfranken für Medikamente ausgeben (die Spitalmedikamente eingeschlossen). Das ist mit Abstand der europäische Rekord. In Belgien, den Niederlanden und Dänemark geben die Basisversicherungen (Grundversicherung) nach verschiedenen Schätzungen zwischen 10 und 18 Prozent ihrer Ausgaben für Medikamente aus. Ein Grund sind tiefere Endpreise für Medikamente, ein anderer Grund sind tiefere Margen für Grossisten und Apotheken. Wie hoch der Anteil patentgeschützter Medikamente jeweils ist, ist unbekannt.
Zwar sagte auch die Tagesschau, dass «patentgeschützte Medikamente in der Schweiz schon heute teurer sind als im europäischen Umfeld» und informierte mit obiger Grafik. Die gezeigten Unterschiede im Preisniveau beruhten jedoch nicht – wie es die Zuschauerinnen und Zuschauer bei Preisangaben erwarten – auf einem Vergleich der Konsumentenpreise, welche die Patienten – oder in ihrer Vertretung die Krankenkassen – zahlen müssen.
Vielmehr war es ein Vergleich auf Basis der Fabrik-Listenpreise der Pharmafirmen. Dabei handelt es sich um «Schaufensterpreise», die mit den Preisen für die Kassen und Patienten wenig zu tun haben.
Denn die Krankenkassen und die verschiedenen nationalen Gesundheitssysteme handeln ganz unterschiedliche Rabatte oder Rückvergütungen aus, die den Endpreis für die Kassen entscheidend beeinflussen.
Nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) können Rückerstattungen mehr als ein Viertel des «Schaufenster»-Listenpreises betragen.
Schaufensterpreise sollen ausländische Behörden täuschen
Viele Länder setzen ihre Medikamentenpreise fest, indem sie unter anderem die Fabrik-Listenreise in der Schweiz als Vergleich heranziehen und auf dieser Basis dann noch Rabatte aushandeln. Doch in der Schweiz erlaubt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Krankenkassen in Absprache mit den Pharmafirmen, dass sie vom bezahlten hohen Listenpreis einen bestimmten Betrag von der Pharmafirma als Kickback zurückfordern dürfen. Diese Kickback-Möglichkeit findet man bei vielen Medikamenten nur versteckt unter der Rubrik «Indikationen».
Die Pharmakonzerne gingen offensichtlich lange davon aus, dass etliche Länder bei ihren Preisvergleichen den hohen Schweizer Listenpreis verwenden und nicht bei jedem Medikament unter den medizinischen Indikationen (!) die Höhe der Rückvergütung nachschauen und vom Listenpreis abziehen.
Doch einige Behörden im Ausland dürften dies mit der Zeit gemerkt haben.
Die Pharmafirmen wollen aber mit allen Mitteln verhindern, dass man die tatsächlich verrechneten Preise von Land zu Land vergleichen kann. Deshalb nötigen sie das BAG (und die Gesundheitsbehörden anderer Länder) seit einigen Jahren sogar immer häufiger, strikt geheim zu halten, wie hoch die einzelnen Kickbacks sind. Begründung: Das BAG wisse ja auch nicht, wie hoch die Rückvergütungen in anderen Ländern seien. Das BAG räumt ein: «Nur die Pharmaunternehmen selber kennen die tatsächlich vergüteten Preise in den verschiedenen Ländern.» Es handle sich um ein «ungleiches Spiel, bei dem jedes Land glaubt, es habe den besten Preis erzielt».
Die Gesundheitsbehörden der Länder lassen sich von den Pharmakonzernen mit Geheimhaltungsklauseln erpressen. Diese wagen es bisher nicht, die tatsächlich ausgehandelten Preise untereinander auszutauschen.
Umso fragwürdiger ist es, wenn die Tagesschau so tut, als ob es sich bei den gezeigten Preisunterschieden um tatsächlich bezahlte Medikamentenpreise handeln würde und mit keinem Wort darauf hinweist, dass die von den Kassen zu bezahlenden Preise davon stark abweichen können und die tätsächlichen Preise in anderen Ländern gar nicht bekannt sind.
Es macht es nicht besser, wenn die Tagesschau diskret rechts unten auf der Grafik als Quelle den Krankenkassenverband «Santésuisse» anmerkt, ohne anzugeben, dass die Zahlen gemeinsam mit dem Lobbyverband Interpharma publiziert wurden.

Der Pharmavertreter Stephan Mumenthaler durfte in der Tagesschau teils fragwürdige Argumente für Preiserhöhungen in der Schweiz und anderen Ländern zum Besten geben, ohne dass ihn die Tagesschau mit Einwänden konfrontierte. Im Gegenteil: Der Moderator fuhr bestätigend fort: «Argumente für höhere Preise also.»
Als Expertin kam dann noch Kerstin Vokinger, Professorin für Recht und Medizin der Universität Zürich zu Wort. Sie plädierte dafür, dass sich die Pharmafirmen an die Preis-Verordnungen in der Schweiz halten sollten. Zu den Argumenten von Mumenthaler wurde sie nicht befragt.
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Infosperber gab der Tagesschau Gelegenheit zur Stellungnahme. Sobald eine eintrifft, werden wir hier darüber informieren.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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