Kommentar

Mick Jagger streckt Shein die Zunge heraus

Oliver Classen © zvg

Oliver Classen /  Reaktion nach dem Aufdecken übler Arbeitsbedingungen: Ein Merchandising-Vertrag zwischen Shein und den Rolling Stones ist geplatzt.

Red. Das Aufdecken von Missständen zeigt manchmal gerade dort Wirkung, wo man es am wenigsten vermutet hätte. Ein Gastbeitrag von Oliver Classen von Public Eye (früher Erklärung von Bern).

Zuerst wurden miserable Arbeitsbedingungen des Wegwerfmode-Konzerns Shein in China von Public Eye aufgedeckt. Anschlussrecherchen britischer Leitmedien haben die Steine schliesslich ins Rollen gebracht. Die ethischen Standards von Jagger & Co sollten dem in solchen Fragen bislang ignoranten Roger Federer zu denken geben. 

«Ooops! Wir haben leider kein passendes Produkt gefunden, bitte versuchen Sie es erneut»: Diese Auskunft bekommt, wer auf der Shein-Website «The Rolling Stones» sucht. Bis Ende November fand man so noch eine Kollektion mit Kleidungsstücken und Accessoires, die alle das ikonische Zungen-Motiv der britischen Ur-Rocker trugen. Ein T-Shirt damit kostete laut dem US-Wirtschaftsmagazin Fortune 5,39 Dollar, eine Handytasche 1,80 Dollar und eine Mütze 6 Dollar. Lanciert wurden diese drei und 57 weitere Billig-Produkte anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der Gruppe – und quasi über Nacht wieder entfernt aus dem globalen Online-Laden. 

Der Grund: Das Londoner Online-Magazin «i» hatte das Stones-Management mit einer Dokumentation konfrontiert, die das Web-Magazin gemeinsam mit Channel 4, dem RTL von Grossbritannien, recherchiert hatte. Darin berichteten sie über 18-Stunden-Tage und miese Löhne bei chinesischen Shein-Zulieferern. Diese Missstände machte Public Eye bereits vor einem Jahr publik, was zu einem weltweiten Medienecho führte.

Als «i» die spektakuläre Kündigung des Lizenzvertrags zwischen Universal, dem Musiklabel und Exklusiv-Vermarkter der Stones-Produkte, und Shein vermeldete, wurde das in Windeseile weltweit kolportiert – von der Washington Times bis zu 20 Minuten. «The Rolling Stones show no sympathy for Shein» titelte etwa ein wichtiger Modebranchendienst, natürlich in Anspielung auf einen der grössten Hits der britischen Kultband. 

Kritisiert wurde aber nicht nur einmal mehr Shein für seine skandalösen Produktionsbedingungen, sondern auch das Management und die Merchandising-Agentur der Stones. Und zwar, weil sie erst auf journalistische Aufforderung hin handelten, aber gemäss dem Londoner Online-Magazin «bereits Monate vor Vertragsabschluss von den schwerwiegenden Vorwürfen einer Schweizer NGO bezüglich der Zustände in Sheins Lieferkette» hätten wissen müssen.

Doch nicht alle Weltstars haben eine so lernfähige und reaktive Entourage. Als etwa Roger Federer vor über vier Jahren von Public Eye gebeten wurde, sich bei seinem Kleidersponsor Uniqlo für die Begleichung der umgerechnet sechs Millionen Franken einzusetzen, die der japanische Konzern 2000 seinen indonesischen Arbeiter*innen an Lohnzahlungen schuldet, stellte sich sein Management taub.

Weder die über 10‘000 Protest-Mails besorgter Fans noch Schlagzeilen wie «Näherinnen bluten für King Roger» veranlassten den Tennisgott oder seine Imagewächter und Geldverwalter damals zur geringsten Reaktion. So viel Gleichgültigkeit hätte dem sonst für seine Integrität weltweit geschätzten Basler niemand zugetraut. 

Wieso handeln die Bad Boys des Rock’n’Roll ethischer als der Saubermann des Spitzensports? Hegt Federer wirklich mehr «Sympathy for the fashion devil» als Jagger? Oder müsste der Frühpensionär einfach mal sein Management auswechseln? Der jährlich mit 30 Millionen Dollar dotierte Werbevertrag mit Uniqlo läuft jedenfalls auch nach dem Abschied vom Tenniscourt bis 2028 weiter. Und die indonesischen Näher*innen warten immer noch auf die ihnen zustehende Entschädigung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Oliver Classen ist seit über zehn Jahren Mediensprecher von Public Eye. Zudem schrieb er am Rohstoff-Buch mit und koordinierte mehrere Jahre die Public Eye Awards (2000-2015) in Davos. Vorher arbeitete er für verschiedene Zeitungen, darunter die Handelszeitung und der Tages-Anzeiger.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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