McKinsey mischte beim US-Opioid-Skandal von Anfang an mit
Wenn von «Opioidepidemie» die Rede ist, geht es meist um das Unternehmen Purdue Pharma, von dem das Schmerzmittel OxyContin stammt. Gelegentlich erwähnt wird auch das Beratungsunternehmen McKinsey. Wie breit McKinsey involviert war, war bisher aber nicht bekannt.
Es geht nicht nur um Purdue Pharma
Beteiligt waren viele Hersteller, Zulieferer und Pharmafirmen und die Regulierungsbehörde FDA (Food and Drug Administration), die die Gefahren lange nicht kommen sah. McKinsey war bei fast allen mit dabei.
Da wäre zum Beispiel Endo International. Das Pharmaunternehmen stellte das Schmerzmittel Opana her, das doppelt so wirksam ist wie OxyContin. 2010 veränderte Purdue die Rezeptur von OxyContin so, dass die Pillen für Süchtige schwieriger zu konsumieren waren. Purdues Umsätze mit OxyContin sanken, der Opana-Umsatz stieg.
McKinsey war nicht nur bei beiden Unternehmen mit im Boot. Das Beratungsunternehmen hatte bereits bei der Markteinführung von Opana durch Endos Partner Penwest Pharma seine Hand im Spiel. Es spielte auch bei der FDA-Zulassung der neuen OxyContin-Rezeptur eine Rolle.
Durch Vergleich einem Schuldeingeständnis entgangen
McKinseys Tätigkeit für das Pharmaunternehmen Endo war bisher weitgehend unbekannt. Die Journalisten Chris Hamby und Michael Forsythe haben diese und andere Aufträge McKinseys für die «New York Times» (NYT) recherchiert.
Sie durchsuchten mehr als 100’000 Dokumente aus 15 Jahren, die sogenannten «McKinsey Papers». Dabei handelt es sich um Unterlagen, die das Beratungsunternehmen im Zuge einer Gerichtsverhandlung veröffentlichen musste. 2021 bezahlte McKinsey für die folgenreiche Beratung von Purdue Pharma und seine Mitwirkung an der Krise 600 Millionen Dollar in einem Vergleich und entging damit einem Schuldeingeständnis. Opioidhaltige Schmerzmittel haben in den USA Millionen süchtig gemacht und forderten eine halbe Million Menschenleben. Ausgestanden ist die Epidemie noch nicht.
McKinsey – bei Opioiden einfach überall
Selbst für eine Branche, in der Insiderwissen zum Geschäftsmodell gehört, war McKinseys Präsenz im Opioid-Bereich aussergewöhnlich. «Wir arbeiten für die Mehrheit der führenden Akteure», schrieben McKinsey-Berater 2009 in einem Memo.
McKinsey, fanden Hamby und Forsythe, beriet nicht nur Purdue und Endo, sondern auch den grössten US-Generika-Hersteller Mallinckrodt sowie Johnson & Johnson. Dessen Tochtergesellschaft Tasmanian Alkaloids war der grösste Lieferant der Mohn-Rohstoffe. Eine andere, Noramco, einer der grössten Produzenten. McKinsey-Berater arbeiteten auch für die Zulassungsbehörde FDA, wobei es mindestens fragwürdige Überschneidungen gab (Infosperber berichtete). Sogar an Projekten, die die Eindämmung der Opioid-Abhängigkeit zum Ziel hatten, nahm McKinsey teil – und teilte intern Dokumente mit Beratern, die für Opioid-Hersteller tätig waren.
Schäden durch «verbesserte» Rezeptur
Zurück zum Pharmaunternehmen Endo, das es Purdue nachmachte und ebenfalls ein Medikament auf den Markt brachte, das schwerer zu zerkleinern und dadurch weniger leicht zu schnupfen und zu injizieren war. 2012 wurde die neue Rezeptur zugelassen, zwei Jahre nach dem Pendant von Purdue.
Kurz danach tauchten die ersten Patienten auf, die Opana injiziert und Schäden davongetragen hatten. Verursacht hatte sie ausgerechnet ein Stoff, der die Pillen schlechter zerkleinerbar machen sollte. Ein grösserer Teil der Abhängigen hatte sich wegen dieser Schwierigkeit fürs Injizieren entschieden.
2013 stellte Endo einen neuen Geschäftsführer ein. Der Opana-Umsatz stieg, die Profite wuchsen auch. Endo wurde der grösste Opioid-Generika-Hersteller der USA. Unter anderem, weil der neue Geschäftsführer den Firmensitz nach Irland verlegte und Endo deshalb weniger Steuern zahlte. Bemerkenswert war sein CV: Rajiv De Silva war ehemalige Führungskraft in der Pharmasparte von McKinsey.
2015 brachten Wissenschaft und US-Regierung Opana offiziell mit einer seltenen Blutkrankheit, Nierenschäden und einem grösseren HIV-Ausbruch in Verbindung. Ein Nierenspezialist, den die NYT befragt hat, nannte Patienten mit einschlägigen Symptomen schlicht «Opana-Patienten», was zeigt, wie häufig sie waren.
McKinsey blieb davon anscheinend ungerührt und begann im selben Jahr eine Sales-Offensive für Endo. «Auf Wunsch des Kunden», sagte ein Sprecher zur NYT, «nicht auf unsere Empfehlung hin».
2017 nahm die FDA Opana wegen der gravierenden gesundheitlichen Folgen der Abhängigkeit vom Markt. Ein Schritt, den die Behörde nur sehr selten macht.
McKinsey: «Teil der Lösung»
McKinsey bedauert offiziell seine Rolle in der Opioid-Krise. Das Unternehmen steht aber nach wie vor auf dem Standpunkt, dass die neuentwickelten Rezepturen ein Teil der Lösung sind, weil sie durch die erschwerte Zugänglichkeit weniger süchtig machen. Das soll aggressive Marketing-Taktiken rechtfertigen, die die Beratern den Kunden empfahlen.
Das Beratungsunternehmen optimierte die Opioid-Produktion für Mallinckrodt und beriet das Unternehmen im Umgang mit der Regulierungsbehörde DEA (Drug Enforcement Administration), welche die Produktion begrenzen wollte. 2014 wurde ein ehemaliger McKinsey-Partner aus der Pharmasparte Senior Vice President of Global Operations bei Mallinckrodt. Später wurde er zum Präsidenten des Generikageschäfts befördert.
Johnson & Johnson beriet McKinsey darin, wie es seine Verkaufszahlen steigern könne. In den Unterlagen findet sich auch eine Seite einer Präsentation McKinseys für das Unternehmen:
Purdues Werk und McKinseys Beitrag
McKinseys Unterstützung für Purdue auf allen Ebenen der Produktion, Zulassung und Vermarktung von OxyContin ist aus zahlreichen Berichten bekannt. 2019 stellte der Konzern nach eigenen Angaben die Beratung von Unternehmen zu Opioiden ein. Kurz zuvor war die 15-jährige Beziehung zu Purdue als Teil einer Gerichtsakte der Generalstaatsanwaltschaft von Massachusetts öffentlich geworden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Und wieder einmal Zeit für meinen Satz: «Aus Gesundheit ein (möglichst profitables) Geschäft zu machen ist einfach KRANK.» Mehr ist dazu eigentlich nichts zu sagen – und solange das so bleibt, wird sich auch NICHTS ändern und werden sich solche Fälle immer wieder wiederholen, denn «Gier frisst Hirn». Und diese «Gier» ist nicht etwas ein persönlicher Makel, sondern ein Grundfehler des Systems.