Freihandel führte häufig zu Konflikten und Kriegen
Manche Ökonomen und Politiker behaupten unbesehen, Freihandelsabkommen und Personenfreizügigkeit steigere für alle Beteiligten das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand. Die gegenseitigen Abhängigkeiten würden auch militärische Konflikte verhindern.
Doch dass ein möglichst ausgedehnter, «freier» Welthandel und eine möglichst unbehinderte Personenfreizügigkeit stets Frieden und Wohlstand fördern, sei «aus der Luft gegriffen», erklärt der frühere Professor für internationale Wirtschaftspolitik an der Business-Schule IMD in Lausanne, Jean-Pierre Lehmann.
Im «The Globalist» erinnert Lehmann an die Geschichte: «Die Formel ‹Handel = Frieden und Wohlstand› käme bei Schwarzen in Afrika schlecht an, die Opfer des Sklavenhandels wurden.» Für die Indios in Amerika habe freier Handel Ausplünderung und Völkermord bedeutet. Auch den Chinesen habe der mit den Opium-Kriegen im 19. Jahrhundert aufgezwungene Freihandel totale Ausbeutung und Erniedrigung gebracht.
Erster Weltkrieg nach einer Periode des freien Welthandels
Am Anfang des 20. Jahrhundert herrschte in Europa weitgehend Freihandel, insbesondere zwischen Deutschland und England. Und doch haben sich die beiden Länder im Ersten Weltkrieg bekämpft.
Jean-Pierre Lehmann (Bild Wikipedia)
Lehmann zitiert die berühmten Worte des im Jahr 1945 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Cordell Hull, der von 1933-1944 US-Aussenminister war: «Ich bin der ganz festen Überzeugung, dass anhaltender Friede und Wohlstand nur mit Anständigkeit, Fairness, Gleichberechtigung und einem internationalem Handel möglich sind, der so frei wie machbar ist.» Also Freihandel ja, aber nicht ohne Fairness und Gleichberechtigung.
Man müsse berücksichtigen, schreibt Lehmann, dass der Mensch habgierig sei und Handel schnell zu Ausbeutung der schwächeren Partner degenerieren könne.
«Staaten sind keine Unternehmen»
«Die Ideologie des Freihandels beruht auf falschen und auch gefährlichen Annahmen», kritisiert Andreas Zielcke in der Süddeutschen Zeitung. Im 19. Jahrhundert hatte David Ricardo die Lehre der «komparativen Vorteile» aufgestellt: Jedes Land solle sich auf die Produktion derjenigen Güter spezialisieren, für die es am besten geeignet sei. Diese Güter könne das Land exportieren und für den Erlös die restlichen Güter importieren. Davon würden alle Seiten profitieren.
Vor dem Hintergrund dieser Theorie meint denn auch der Freiburger Volkswirtschaftsprofessor Rainer Eichenberger: Für die Schweizer Volkswirtschaft sei es gut, wenn Unternehmen Arbeitsplätze wegen zu hoher Löhne ins Ausland verlagern würden. Denn die frei werdenden Arbeitskräfte in der Schweiz könnten dann in andere, effizientere Branchen wechseln. Der Unternehmer Peter Spuhler konterte in der NZZ am Sonntag: «Es nervt mich, dass besoldete Professoren, die noch nie in freier Wildbahn einen Franken verdienen mussten, solche Theorien in die Welt setzen.» Spuhler fände es absurd, wenn sich die Schweiz im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung auf den Dienstleistungssektor beschränken und auf den (weniger rentablen) Industriesektor verzichten würde. Es könne auch «nicht jeder, der in der Fabrik gearbeitet hat, danach zum IT-Spezialisten werden».
Unternehmer Peter Spuhler
«Weltfremde und asoziale Voraussetzungen»
Zielcke doppelt nach: Ricardo sei von «weltfremden und asozialen Voraussetzungen» ausgegangen: Totale Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb eines Landes bei gleichzeitiger Immobilität der Arbeitssuchenden zwischen den Ländern; vergleichbare Löhne; Vollbeschäftigung. Auch die Transportkosten, deren weltweite Subventionierung und deren enormen Umweltkosten habe Ricardo ausgeklammert. Laut Handelsblatt seien die globalen Handelsströme «für fast ein Viertel der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich». Deshalb seien die heutigen Freihandelsabkommen «ökologisch verantwortungslos».
Selbst die heute etwas ausgefeilteren Freihandels-Theorien würden Länder wie Unternehmen behandeln und davon ausgehen, dass Arbeitskräfte innerhalb eines Landes Branchen und Regionen beliebig wechseln können: «Die Annahme, Arbeitskräfte könnten zwischen unrentablen und zukunftsträchtigen Produktionsanlagen hin- und hergeschoben werden wie Europaletten, ist grotesk.» Rücksicht auf Arbeitsbiografien und auf soziale Bindungen werde keine genommen.
Auch Demokratie sei in der Theorie des Freihandels nicht vorgesehen. Die einzelnen Länder könnten nicht mehr frei entscheiden, wie stark sie die Gesundheit schützen oder Rücksicht auf eine möglichst erholsame und schöne Umwelt nehmen wollen. Nationale Regelungen, die den freien internationalen Handel bremsen oder teurer machen, würden als «Handelshemmnisse» verpönt, bekämpft und wenn möglich verhindert.
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Siehe:
- «Wie die EU die Entwicklung Afrikas verbaut», 23.5.2016
- «Die Alternativen zum Freihandel», 26.5.2016
- DOSSIER: «Pro und Contra Freihandelsabkommen
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Und was ist denn die Alternative? Kontinentalsperre, Merkantilismus und Protektionismus? Das hatte damals erst recht zu Krieg geführt.
Möglichst freier Handel ja, aber zuerst einigermassen faire Bedingungen festlegen: Keine Dumpingpreise wegen Milliarden von Exportsubventionen (Landwirtschaft!, Flugverkehr!, Schwerverkehr! Hochsee-Fischfang etc.), keine sozialisierten Kosten (massive Meerverschmutzung, «Entsorgung» hochgiftiger Abfälle etc.) und keine Verelendung (Kinderarbeit, Armutslöhne etc).
Die Alternative? Weltföderalismus; jede Ethnie soll die Ressourcen in ihrer Region selbstbestimmt und demokratisch nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft nutzen, nur das importieren, was fehlt, und nur soviel exportieren, was ihrer Umwelt nicht schadet; siehe zum Beispiel der Film «Tomorrow – Demain"! Absurder Freihandel: Es kann doch nicht sein, dass unsere industriealisierte Landwirtschaft mit ihren krankheitsanfälligen Hochleistungskühen riesige Milchschwemmen produzieren. Die Überschüsse werden zu Milchpulver verarbeitet und nach Afrika exportiert, zu Dumping-Preisen verkauft. Die einheimischen Kleinbauern können nur mithalten, wenn sie ihre Milch unter ihren Gestehungskosten verkaufen. Freihandel stärkt die Mächtigen und schwächt die Armen.
@Hermann: Nur das importieren, was fehlt und das exportieren, was verträglich ist – klingt gut, nur, was ist, wenn das, was verträglich exportiert werden kann nicht das oder zuwenig von dem ist, was andernorts gebraucht wird? Zudem: Kreislaufwirtschaft und Cradle-to-Cradle sind sehr vernünftige Konzepte, aber gerade Recycling (wir verschwenden tatsächlich viel zu viel Rohstoffe) ist eine hochtechnologisierte Angelegenheit, die wiederum von Rohstoffen abhängt, die leider nicht in unseren Breiten auf den Bäumen wachsen. Da hat @Gasche grundsätzlich Recht, das Problem ist nicht freier Handel, sondern eben all jene staatlichen Regulatorien, die einem fairen freien Handel entgegenstehen: Exportsubventionen, mangelnder Umweltschutz, kein Verbot von Kinderarbeit etc. Der tatsächlich beklagenswerte Umstand, dass Agrarprodukte aus Europa in Afrika billiger sind als lokale Produkte ist eben kein Resultat des freien Handels, sondern wird erst durch Agrarsubventionen, Schutzzölle usw. in Europa ermöglicht.
Warum hat der Anti-Liberalismus Erfolg?
Weil die Öffnung der Volkswirtschaften neben den Gewinnen für die starken, international ausgerichteten Unternehmen Verluste für die ansässigen KMU und die Bevölkerung gebracht hat (erhöhter Konkurrenzdruck, Lohnstagnation, Dichtestress, Überlastung der Infrastruktur und der Umwelt).
Die Lehre von Freihandel und Personenfreizügigkeit ist eine alternativlose Irrlehre. Aber die Gewinner dieser Lehre glauben zu ihrem Vorteil und zu anderer Nachteil unverbrüchlich daran, predigen ihren Glauben und finden gläubige Anhänger. So läuft das halt.
Theorien wie die hier zitierte von David Ricardo werden leider häufig (bedenklicherweise besonders auch von studierten Ökonomen) für exakt, fundiert und wissenschaftlich geprüft gehalten, was sie aber nicht sind. Viel wäre gewonnen, wenn man all diese auf falschen Annahmen aufgebauten, pseudowissenschaftlich aufgemotzten Konstrukte auf den Müllhaufen der akademischen Irrtümer werfen würde.
Dazu ein Buchtipp: Economyths, Ten ways economics gets it wrong, von David Orrell, 2010, John Wiley&Sons Canada
P.S.: Ist das Buch nicht schon etwas veraltet? Ich glaube nicht. Ich habe jedenfalls nicht das Gefühl, dass die Mainstreamökonomie in der Zwischenzeit auch nur das Geringste dazugelernt hat.