Fragen der Wirtschaftsethik und der Ruf nach Selbstbeschränkung
Weil alle Welt auf den anarcho-nationalen Amoklauf des mit Techkonzernen liierten US-Präsidenten starrt und im polit-ökonomischen Alpenréduit über eine «Zusammenarbeit im intelligenten Zeitalter» schwadroniert wird, gehen zwei neue Anläufe von in der Schweiz agierenden Gegenkräften medial fast unter: Durch die in rekordkurzer Zeit gesammelten Unterschriften für eine neue Version der Konzernverantwortungsinitiative sollen Fragen der Wirtschaftsethik nochmals ins Zentrum gerückt werden und diesmal nicht knapp am Ständemehr scheitern. Und bei der Abstimmung über die Umweltverantwortungsinitiative sind wir in gut vierzehn Tagen aufgefordert, uns selber zu beschränken. Dank der Frauen scheinen hier noch Chancen vorhanden, doch die Männer wollen laut Prognosen keine Weltverantwortung tragen. Zwei kleine Schriften könnten dazu motivieren.
Lesenswertes vom Bundesrat
Mit globalem Blick elementare Lebensgrundlagen schützen oder lieber unseren heutigen Lebensstil beibehalten? Um derartige Fragen geht es beim Entscheid über die Initiative «für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen», aufgegleist von jungen Grünen im Aufschwung der Klimabewegung. Sie wird trotz viel Gegenwind noch von der Linken und der EVP unterstützt. Es lohnt sich, die von der Bundeskanzlei zugestellten «Erläuterungen des Bundesrates» zu lesen, denn sie stellen die Ausgangslage, den anstehenden Entscheid und mögliche Folgen einleitend problembewusst dar – als politische Herausforderung mit Konsequenzen.
Während das Initiativkomitee taktisch eher beschönigt, was es konkret bedeuten würde, «den grundsätzlichen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft anzugehen», steht in der Nein-Argumentation deutlich, dass auf vieles verzichtet werden müsste, «was heute zum gewohnten Lebensstandard in der Schweiz gehört». Dass die in der Initiative postulierte «Sozialverträglichkeit» solcher Eingriffe «schwierig umzusetzen» wäre, stimmt auch. Der politische Kampf darum würde mit dem Ja zu diesem auf zehn Jahre befristeten Prozess erst beginnen. Doch an der Notwendigkeit von endlich entschiedenen Schritten ändern absehbare Umsetzungsprobleme nichts. Viel, sehr viel wird anders werden müssen: Der im Initiativtext verwendete Begriff der «Gesamtwirtschaft» ist richtig. Um ihre Verträglichkeit mit der Natur geht es. Trotz aller vom Bundesrat betonten umweltpolitischen Fortschritte werden Lebensgrundlagen wie Wasser, Boden und Luft «oft so stark beansprucht, dass sie sich nicht erholen können». Zwar lasse der Verfassungsvorschlag die zu treffenden Massnahmen offen, heisst es im Abstimmungsheft, aber «wegen der kurzen Frist dürften einschneidende Instrumente notwendig sein». Dies wird als Grund für das Nein von Bundesrat und Parlament genannt, spricht aber für ein Ja. Es ist höchste Zeit!
Ruf nach Selbstbeschränkung
1972. Lange her. Damals warnten besonnene Leute, dass es Grenzen des Wachstums gebe, und es wurde eine globale Umorientierung gefordert, auch im Interesse des Erhalts unserer Lebensgrundlagen, mit Blick auf kommende Generationen. Ein gut verständliches Bändchen der Reihe Wirtschaftsphilosophie* beleuchtet eine damals geführte Diskussion rund um Wirtschaftsverantwortung. Es waren schon ältere Herren, die sich in den späten 60er-Jahren über soziale und ökologische Bedrohungen durch die rasant expandierende Ökonomie austauschten. Aber es ist eine engagierte junge Autorin, die an den Diskurs erinnert. Er sei «erschreckend aktuell».
Adolph Lowe, in den 1920er Jahren aktiver Sozialdemokrat und am bekannten Institut für Sozialforschung in Frankfurt tätig, publizierte 1965 sein Werk über «Politische Ökonomik». Wenig später wandte er sich mit einem über fünfzig Seiten langen Brief an den zehn Jahre jüngeren Hans Jonas und konfrontierte diesen mit seiner Sicht auf eine scheinbar «immer dunkler werdende Welt». Dabei ging es ihm vorab um die Gefahr ungezügelter technischer Entwicklungen. Er sehe einerseits die Wohlstandsvermehrung, aber auch eine wachsende soziale und politische Indifferenz, welche die Emanzipation in den westlichen Demokratien schwäche. Er befürchte einen «Totalitarismus» neuer Art. Dass er dieses Risiko in seinem Werk nicht ansprach, habe mit eigener Unsicherheit zu tun. Mit dem wissenschaftlichen Fortschritt sei das persönliche wie das politische Handeln komplexer geworden.
Also wandte er sich an Jonas, den Freund und Philosophen. Der wies die ihm «grosszügig zugestandene Kompetenz» zurück. Es gehe nicht an, dass die Wirtschaftswissenschaft die Mitverantwortung für die Entwicklungen an andere auslagert und die «Hände in Unschuld wäscht». Als zusätzlichen Grund zur Sorge rückt er ökologische Bedrohungen ins Zentrum. Wirtschaftsethik müsste auch die «in weitestem Sinne verstandene» Natur einbeziehen. Diese sei durch unser wirtschaftliches Streben in einem noch nie dagewesenen Umfang belastet. Um keine Sintflut für unsere Enkelkinder zu riskieren, müssten wir vorsorglich handeln, trotz des Wissens um das Unwissen im Detail. Jonas sprach 1968 von einer «gesunden Angst», die beim Entscheid für eine Selbstbeschränkung helfen könnte.
Nach wie vor nicht bereit?
Lowe versuchte in der Folge, die Kosten der erforderlichen Transformation zu berechnen. Um eine «Verbrauchsreduzierung» kämen wir nicht herum, doch es wäre kein «Rückfall ins materielle Elend». In den USA hätte es 1970 die Rückkehr zum Wohlstandsniveau etwa der frühen 60er-Jahre bedeutet. Mit den vorgeschlagenen Massnahmen wäre in rund drei Jahrzehnten eine nachhaltige Ordnung möglich geworden. Aber er wusste, dass «jede auch nur minimale Senkung unseres Lebensstandards in weiter Ferne» lag. Schon eine Steuererhöhung bereite politisch Probleme, selbst wenn sie ein Bruchteil von dem wäre, was ein «ökologischer Imperativ» erfordere. Eher seien Gesellschaften bereit, weitere Kriege zu riskieren …
Fenja Wiechel sieht die aktuellen Parallelen, hält aber fest, dass Lowe und Jonas nicht in Resignation verfielen. Sie hätten an die menschliche Denkkraft appelliert. Und heute ist klarer denn je: Der von ihnen gewiesene Weg in eine lebenswerte Zukunft wäre «kein Verlust, sondern ein Gewinn» gewesen.
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*Fenja Wiechel-Kramüller: Das Prinzip Wirtschaftsverantwortung. Der wirtschaftsphilosophische Diskurs zwischen Adolph Lowe und Hans Jonas. Reihe Wirtschaftsphilosophie, Band 13. Metropolis-Verlag für Ökonomie, Gesellschaft und Politik, Marburg 2024, 133 Seiten.
Dieser Text erscheint auch als Politeratour-Beitrag im «P.S».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Initiativtext: Die Natur und ihre Erneuerungsfähigkeit bilden den Rahmen für die schweizerische Gesamtwirtschaft. Wirtschaftliche Tätigkeiten dürfen nur so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben.
Wer diesen Initiativtext nicht in der Verfassung will, der sieht das Problem nicht oder denkt, dass es ihn nicht trifft. Ignoranz hilft, bis es zu spät ist.