«Ein paar wenige Banker sind verantwortlich»

Urs Zurlinden /  Die Finanzkrise habe das Vertrauen in die Marktwirtschaft untergraben, bedauert Professor René L. Frey.

(Red.) René L. Frey, 73, von 1970 bis 2004 Professor für Nationalökonomie an der Universität Basel, ist im Ausland wohl der bekannteste Ökonom der Schweiz. Er hat vierzig Bücher geschrieben oder mit verfasst und über 600 Fachartikel publiziert. Trotz des Versagens des Kapitalmarkts tritt Frey in verschiedenen Bereichen für mehr Markt und weniger Staat ein, weil von Staatsangestellten «weniger neue, innovative Leistungen» zu erwarten seien.

INTERVIEW

Herr Frey, in den beiden jüngsten Büchern geht es um ein Plädoyer für den freien Markt. Ist er denn bedroht?
Wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise hat das marktwirtschaftliche System Vertrauen verloren.

Der Staat war gut genug, eine UBS zu retten!
Ja, ja, das meine ich mit dem erschütterten Vertrauen: Ein paar wenige Banker im In- und Ausland sind verantwortlich dafür, dass die Marktwirtschaft nicht mehr so akzeptiert ist früher. Das ist schade!
Jede staatliche Intervention verfälscht den Markt – aber sie rettet Arbeitsplätze?
Nicht jede Intervention verfälscht den Markt: Wenn es gilt, Marktversagen zu korrigieren, oder wenn eine Mehrheit der Bevölkerung findet, bestimmte öffentliche Leistungen seien zu erbringen – Stichwort «Service public» –, akzeptiere ich staatliche Massnahmen. Doch diese staatlichen Korrekturen lassen sich eben bürokratisch-hoheitlich vornehmen oder marktwirtschaftlich-partnerschaftlich….
…wie zum Beispiel der Stunden-Takt der Bahnen…
….eine hervorragende Sache! Ausländer staunen nur, wie das bis ins hinterste Bergtal funktioniert. Allerdings stellt sich die Frage, wie dieses Angebot möglichst effizient zu organisieren ist. Mit der Bahn? Mit Ruftaxis? Mit Kleinbussen? Über öffentliche Ausschreibungen lässt sich eruieren, welcher Anbieter die beste Antwort hat. Werden Unternehmer so herausgefordert, dann fasziniert immer wieder, wie innovativ und originell die Lösungen sind. Staatsangestellte demgegenüber haben weniger Anreize, neue, innovative Lösungen zu wagen.
Trotz des Vertrauensverlustes stehen Sie also unbeirrt hinter dem marktwirtschaftliche System?
Rein nach Lehrbuch haben wir gar kein marktwirtschaftliches System. Wir haben ein gemischtes System mit vielen marktwirtschaftlichen, demokratischen und bürokratischen Elementen. Uns geht es um eine Korrektur in Richtung mehr Markt, weniger Staat – unter Umständen auch weniger Demokratie. Denn auch eine Demokratie hat ihre Probleme: 51 Prozent können bestimmen, was die 49 Prozent Verlierer zu tun haben. Das ist bei gewissen Aufgaben nötig, bei Waren und Dienstleistungen aber alles andere als zweckmässig.
In Burgdorf wurde ein ganzer Justizkomplex mit diversen Gerichten und einem Gefängnis privat finanziert, gebaut und betrieben. Ist das die Zukunft?
Selbst wenn der Betrieb eines Gefängnisses privatisiert wird, heisst das ja noch nicht, dass Private entscheiden, wer ins Gefängnis kommt. Das muss weiterhin eine hoheitliche Aufgabe sein. Aber: Das Management eines Gefängnisbetriebes kann durchaus privatisiert werden.
Auch die Forschung ist zunehmend von privaten Geldgebern abhängig. Da bleibt die Forschungsfreiheit auf der Strecke?
1996, als ich Rektor war, ist die Uni Basel teilautonom worden und hat die Struktur einer Unternehmung erhalten. Dabei haben wir festgehalten: Private Geldgeber sind erwünscht, aber die Spielregeln bestimmt die Universität. Eine Konsequenz ist: Mit privaten Drittmitteln finanziertes Personal muss nach den Regeln der Uni angestellt werden. Und in den Berufungsgremien hat der Geldgeber nicht das Sagen.
Das wird von gescheiten Geldgebern auch akzeptiert. Für bestimmte Firmen bringt das universitäre Sponsoring einen Imagegewinn: Sie wollen zeigen, dass sie forschungsorientiert, innovativ sind. Genau so, wie wenn eine Bank dynamisch sein will und deshalb den dynamischen Bobsport fördert. Also: Sponsoring ist Imagetransfer. Dieser Effekt wird zerstört, wenn der Sponsor ungebührlich eingreift.
Welche öffentlichen Dienstleistungen liessen sich denn noch problemlos privatisieren?
Dort, wo Teilprivatisierungen erfolgreich stattgefunden haben, könnte, ja sollte man häufig noch weiter gehen.
In den vergangenen Jahren wurde schon eine SBB, eine Post, eine ETH, eine Suva etc. in die Selbständigkeit entlassen. Genügt das nicht?
Bei der Post könnte man auch noch die letzten 50 Gramm aus dem Monopolbereich entlassen. Die letzte Meile der Swisscom ist ebenfalls ein unnötiger Monopolrest. Die SBB funktioniert sehr gut. Ja, sie ist zu attraktiv geworden, zu den Stosszeiten sind die Züge übervoll. Das Problem ist hier: Die Passagiere tragen ihre Kosten nicht.
Das ist nicht das Problem der Organisation der SBB, sondern der Bahnpolitik des Bundes. Die externen Kosten sowohl des Betriebes wie der Infrastruktur wären zu internalisieren. Beim Betrieb würde das heissen: Die SBB dürfen ihre Tarife erhöhen – und der Preisüberwacher ist zurückzubinden.

Sie empfehlen sogar, die Post und die SBB an die Börse zu bringen. Dann hätten die Shareholder das Sagen?

Ja, Börsengang mittel- bis langfristig. Doch keine Angst: Auch Shareholder können nicht schalten und walten, wie sie gerade Lust haben. Sie müssen letztlich tun, was die Kunden wollen.
Auch die EU müsse, forderten Sie schon vor einem Jahr, vermehrt auf Wettbewerb setzen. Sehen Sie erste Anzeichen dafür?
Die Privatisierungs- und Deregulierungsreformen hat die Schweiz der EU zu verdanken. Sie erliess entsprechende Richtlinien, und wir liessen uns überzeugen, dass sie gar nicht dumm sind. Für diesen Kick müssen wir der EU wirklich dankbar sein. Wenn nun das marktwirtschaftliche System Beulen bekommen hat und weniger akzeptiert ist, wird eben auch in der EU gebremst.
Sie haben auch einen neuen Finanzausgleich für den Euro-Raum vorgeschlagen. Nach schweizerischem Vorbild?
Kaspar Villiger und ich haben als Beobachter der Euro-Szene einen Aufsatz geschrieben mit folgendem Inhalt: Die Euro-Problematik mit finanzstarken und finanzschwachen Staaten ist bei uns in der föderativen Schweiz nicht aufgetreten, weil wir einen Finanzausgleich zwischen den Kantonen haben, mit dem wir gleich zu Beginn versuchen, die Unterschiede zu reduzieren – und nicht erst mit Milliardenzahlungen flicken, nachdem Probleme aufgetaucht sind. Das ist ein fundamentaler Unterschied.
Deshalb unsere Idee: Wenn man den Euro langfristig stabil erhalten will, muss er abgesichert sein durch einen Finanzausgleich zwischen den Staaten.
Geben Sie dem Euro überhaupt noch eine Zukunft?
Als Tourist, der den Euro praktisch findet, hoffe ich sehr, dass er bleibt. Und als Schweizer hoffe ich, dass er über die Runden kommt, weil sonst der Franken noch stärker aufgewertet wird und die ganze Exportwirtschaft, grosse Teile der Industrie und des Tourismus massiv leiden würden.
Welche Perspektive sehen Sie denn für die Schweizer Franken?
Ich bin ein unverbesserlicher Optimist. Früher oder später wird sich der Franken wieder auf dem Niveau der Kaukraftparität bewegen. Die Frage ist: Können wir so lange warten?
Aber der Staat muss nach wie vor via Nationalbank den Frankenkurs stützen – ein marktwirtschaftlicher Sündenfall?
Ja, ja, das ist ein Sündenfall. Aber es sieht so aus, dass man in gewissen Situationen leider sündigen muss….


Gekürzte Fassung eines Interviews, das am 3. Juni in der Südostschweiz erschienen ist.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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