Die SRF-Wirtschaftsredaktion ignoriert Klima- und Umweltkrise
Die Wirtschaftsredaktion des Schweizer Fernsehens berichtet nicht sachlich, nüchtern und kritisch über neuste Zahlen aus der Wirtschaft. Vielmehr hämmert sie uns fast täglich ein, dass es stets eine erfreuliche Nachricht sei, wenn Umsätze und Gewinne stark steigen.
Kein Wort darüber, dass zu hohe Gewinne ein Versagen der Marktwirtschaft bedeuten, weil in der betroffenen Branche offensichtlich zu wenig Wettbewerb herrscht.
Bedenklicher jedoch: Kein Wort darüber, ob die Umsatzsteigerungen gesellschaftlich wünschbar und nützlich waren. Ganz nach dem verstaubten Motto: «Egal, was wächst, wenn es nur wächst». Je mehr Wegwerfprodukte, desto besser für das Wachstum. Je mehr schwere Offroader statt kleinere Autos, desto besser. Je mehr Umweltschäden, die man reparieren kann, desto besser. Je mehr Einwohner die Schweiz hat, desto besser für Umsätze und Gewinne.
Unternehmen können grössere Umsätze und höhere Gewinne erzielen,
- wenn mehr Konsumentinnen und Konsumenten ihre Kleider, Schuhe, Möbel, Handys oder Fernseher häufiger «entsorgen» und schneller neue kaufen;
- wenn sie ihre Autos früher durch neue ersetzen;
- oder wenn sie häufiger mit Flugzeugen – erst noch massiv subventioniert – in die Ferien reisen.
Ein solches Konsumverhalten steht im Kontrast zur weltweiten Klima- und Umweltkrise. Es beutet arme Länder aus. Es gefährdet unsere Zukunft und belastet künftige Generationen. Doch all das klammert die SRF-Wirtschaftsredaktion aus. Sie informiert vorwiegend aus Sicht der einzelnen Unternehmen.
Ein kleines Beispiel unter vielen bot die Tagesschau vom 18. August. Die Fluggesellschaft «Swiss» sei mit den Passagierzahlen «auf gutem Weg»: «Die Fluggesellschaft befördert beinahe wieder so viele Passsagiere wie vor der Pandemie!»
Die Tagesschau informierte nicht einfach: «Die Swiss hat die Kapazitäten erhöht». Sie formuliert es vielmehr aus Sicht des Unternehmens positiv wertend: «Die Swiss konnte die Kapaziät erhöhen.» Als einziger Gast durfte ein Swissmanager die Geschäftspolitik der Swiss im besten Licht darstellen.
Am Schluss des Berichts bilanzierte Tagesschau-Moderatorin Cornelia Boesch: «Bei der Kapazität ist die Swiss auf gutem Weg.»
Auf «sehr gutem Weg» wäre die Lufthansa-Tochter wohl aus Sicht der Tagesschau, falls noch viel mehr Leute als vor Corona in ein Flugzeug steigen würden. Sogar auf einem «phantastischen Weg» würde sich die Welt befinden, wenn die Airlines unzählige neue Flugzeuge beschaffen und für diese neue Pisten und noch grössere Flughäfen gebaut werden könnten.
Zur einäugigen Unternehmensberichterstattung trägt die Informatonssendung «SRF Börse» bei. Sie wird von der Zürcher Kantonalbank gesponsert (bezahlt), die am Börsengeschäft beteiligt ist. Auch in dieser Sendung wird der Eindruck verbreitet: Was auch immer Umsätze, Gewinne und Börsenkurse steigert, dient dem Wohle aller. Diese Sicht der Sendung «SRF Börse» übernimmt dann häufig auch die nachfolgende Tagesschau, wenn sie über die Wirtschaft informiert.
Eine Popularbeschwerde von «Infosperber», wonach «SRF Börse» die Konzession verletze, hatte die Unabhängige Beschwerdeinstanz» im Jahr 2016 abgelehnt.
In 35 Jahren doppelt so viel – in 70 Jahren viermal so viel
«Fast vier Milliarden Menschen in China, Indien und Afrika wollen so leben wie wir. Das ist nur möglich, wenn wir in den Industriestaaten abspecken. Doch mit allen Mitteln will man uns dazu verführen, an Gewicht weiter zuzulegen. Exponenten von Wirtschaft und Politik unternehmen alles, damit unsere Wirtschaft jedes Jahr um mindestens zwei Prozent wächst. Dann müssten wir in 35 Jahren doppelt soviel Geld haben, doppelt so viel konsumieren, doppelt so viel bauen, doppelt so viel fliegen wie heute. Und in 70 Jahren viermal so viel. Ist das möglich? Sicher nicht. Weder für uns, geschweige denn für die Menschen in China, Indien und Afrika, die so leben möchten wie wir.»
Aus dem Vorwort des Buches «Schluss mit dem Wachstumswahn – Plädoyer für eine Umkehr» von Urs P. Gasche und Hanspeter Guggenbühl. Rüegger-Verlag, 2010, 16.80 CHF; 15.50 Euro (Kindle).
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Dazu passt, dass heute Sonntag (20.8.23) die Nachricht die Runde macht, wonach für das laufende Jahr mit einem neuen Wachstumsrekord bei den CH-Einwohnerzahlen gerechnet wird. Mit über 140’000 zusätzlichen Personen würde dieses Land 2023 um die Grösse von Lausanne wachsen. Es gibt breite Kreise, die das begrüssen – siehe Artikel UPG – und andere, die sich um eine kritische Einschätzung drücken. Etwa das gesamte grün-linke Lager. Man glaubt, pfeifend im Wald, dass auch in Zukunft jedes Einwohnerwachstum nicht nur zu verkraften sei, sondern geradezu notwendig, weil man ja angeblich auf zusätzliche Beiträge zur Sozialversicherung hoffen darf. Dieser Schwachsinn hat sich seit Jahren als Selbsttäuschung festgesetzt, verbunden mit der Hoffnung, dass die damit verbundenen, ökologischen und sozialen Probleme schon irgendwie zu lösen seien. Die Rechtsextreme wird sich in zwei Monaten dem Thema erfolgreich annehmen. Mit Wachstumserwartungen ganz anderer Art.
Interessant. Hatte gar nicht gemerkt, dass der Beitrag einseitig war.
Keine kritische Stimme ist vom gesamten linksgrüne Lager zu vernehmen bezüglich diese anhaltenden Einwohner-Rekordzunahmen. Man huldigt dort genau so dem Wachstumsgötzen wie die andere Seite der Parteienlandschaft. Eher würden sie die Zunge abbeissen, anstatt zuzugeben, dass dieser Wahnsinn in die Sackgasse führen wird, oder bereits führt. Lediglich den voranschreitenden Verlust der Biodiversität wird beklagt, soviel ist dort erlaubt zu sagen. Eine kurzsichtige, im höchsten Massen unredliche Politik.
Das Wachstum kritiklos als gewünscht, ja gar als erforderlich dargestellt wird löst auch bei mir Kopfschütteln aus. Nur ist diese Form der Berichterstattung nicht ein „Privileg“ von SRF. Die meisten Mainstream Medien verbreiten diese Haltung. Die einseitige Zuweisung an SRF in diesem Artikel empfinde ich deshalb als etwas unfair.
Dem Wachstumswahn unterliegt auch die Demografie und die Bevölkerung muss immer weiter anwachsen, bis ins Unendliche. Da will man einerseits den CO2-Ausstoss bis 2030 halbieren und andererseits die Bevölkerung mit südwestasiatischen Fachkräften erhöhen. Die Aufgabe der rekrutierten Fachkräfte ist die Erhöhung des Konsums und der Bevölkerung.
Ich würde es anders schreiben: Eine Reduktion des Konsum reduziert (mit wenigen Ausnahmen) die Umweltbelastung. Den Konsum mit neuen Produkten aufrechterhalten, kann zu mehr oder zu weniger Umweltbelastung führen. Ein stagnierender und erst recht ein wachsender Konsum wird in jedem Fall viele Leben verkürzen, weil die Lebensbedingungen sich verschlechtern.