Genf

Genf muss sich im Ölgeschäft mit Russland neu ausrichten. © wikimedia

Die Schweiz überwacht Öl-Sanktionen zu Russland kaum

Markus Mugglin /  Grosse Schweizer Rohstoffhändler zogen sich aus dem Ölgeschäft mit Russland zurück. Eine neue Genfer Firma springt in die Lücke.

Red. Die Nichtregierungsorganisation Public Eye hat soeben die Studie «Die Schweiz und der Handel mit russischem Öl: Ein trügerischer Abschied?» publiziert. Die Studie analysiert die dramatischen Veränderungen auf dem Ölmarkt seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und insbesondere die Folgen für die Schweiz als globalen Hub für den Handel mit russischem Öl. Sie folgt auf mehrere seit dem Krieg von der Organisation publizierten Recherchen. Wir geben im Folgenden die Zusammenfassung der neusten Studie wieder.

Ein Jahr Krieg in der Ukraine hat die Karten auf dem Ölmarkt neu gemischt. Zur Austrocknung dieser Hauptfinanzierungsquelle des Kremls hat die westliche Welt, darunter die Schweiz, ein historisches Embargo gegen das schwarze Gold aus Russland verhängt. Seit Dezember 2022 ist die Einfuhr dieses Rohöls auf dem Seeweg verboten, und der Handel damit unterliegt in rund 40 Ländern einem Preisdeckel. Diese Massnahmen gelten seit Februar auch für Erdölprodukte. Vor Putins Einmarsch in die Ukraine war Europa der Hauptmarkt für russisches Öl, das laut unseren Schätzungen zu 50 bis 60 Prozent über die Schweiz gehandelt wurde.

Basierend auf exklusiven Insider-Daten und -Aussagen zeigen neue Recherchen, dass dieser Markt neu aufgeteilt und noch undurchsichtiger wurde. Jahrzehntelang waren Trafigura, Vitol, Glencore und Gunvor die Haupthändler von Putins Öl und direkt an vielen russischen Projekten und Unternehmen beteiligt. Seit der Invasion in die Ukraine wurden die Schweizer Rohstoffkonzerne durch russische oder chinesische Staatsunternehmen sowie kleine Händler mit unbekannten Eigentümern ersetzt. Diese neuen «Pop-up»-Firmen operieren meist von Dubai oder Hongkong aus, die keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Viele Indizien weisen darauf hin, dass sie dies im Auftrag oder mit Unterstützung von Grossunternehmen tun, die unbemerkt weiter mit russischem Öl handeln wollen.

Public Eye hatte Zugang zu Daten, welche die Entwicklung im ostrussischen Hafen Kozmino zeigen, von wo die Rohölsorte «ESPO» nach Asien exportiert wird. Seit Sommer 2022 sind die grossen Handelshäuser aus der Käufer-Liste verschwunden. Dafür besetzt ein anderes Schweizer Unternehmen nun einen Spitzenplatz: Paramount Energy & Commodities. Zwischen März 2022 und Februar 2023 exportierte das Genfer Unternehmen 10 Millionen Tonnen (72 Millionen Barrel) russisches Rohöl, was etwa acht Tanker pro Monat entspricht.

Kurz nach Kriegsbeginn hatte Public Eye erstmals über die primär in Russland und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion aktive Paramount berichtet. Im Juni 2022 soll die Firma den Handel mit diesen Fässern gemäss Global Witness und Financial Times jedoch der in Dubai registrierten Paramount Energy and Commodities DMCC übertragen haben. Dieses Unternehmen agiert demnach zwar unabhängig von der fast gleichnamigen Genfer Firma, sein Geschäftsführer ist aber Schweizer Staatsbürger.

Der Mechanismus der Preisobergrenze ermöglicht es westlichen Marktteilnehmern (Händlern, Spediteuren, Versicherern), weiter mit russischem Erdöl zu handeln, sofern sie dafür weniger als 60 USD pro Barrel zahlen («price cap») und es an Länder ohne Russland-Sanktionen verkaufen.

Mit den EU-Sanktionen hat der Bundesrat auch diesen Mechanismus übernommen. Anders als die EU, USA und Grossbritannien kontrolliert das in der Schweiz dafür zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) jedoch nicht, ob sich die Unternehmen auch daran halten. Das Seco bestätigte Public Eye vielmehr, dass es weder Audits durchführt noch eine Melde- oder Dokumentationspflicht für solche Transaktionen auferlegt, sondern sich ganz auf den guten Willen der Branche verlässt, sich selbst zu kontrollieren.

Zudem gilt das Schweizer Embargogesetz – im Gegensatz zu den EU- und US-Bestimmungen – nicht für Schweizer Bürger*innen mit Wohnsitz im Ausland. Für global agierende Händler ist diese rechtliche Lücke faktisch eine Einladung, die Sanktionen gegen russisches Öl mit nur kleinen organisatorischen Änderungen ganz legal zu umgehen.

Bald wieder mehr Geschäfte mit russischem Öl?

(mm) Die USA würden die grossen Handelsunternehmen dazu drängen, die Ölgeschäfte mit Russland wieder aufzunehmen, wenn sie dies unter der von der G7 festgelegten Obergrenze von 60 Dollar pro Barrel tun können. Das berichtet die Financial Times. Der Westen zeige sich besorgt über die durch die Sanktionen hervorgerufene Verlagerung des Handels von den traditionellen hin zu wenig bekannten Unternehmen, die häufig alte Schiffe einsetzten und nicht transparent operierten, schreibt die britische Wirtschaftszeitung in ihrer Berichterstattung über den «Commodities Global Summit», der diese Woche in Lausanne stattgefunden hat. Die Vertreter der in der Schweiz domizilierten Trafigura und Vitol erklärten sich dazu bereit, Ölgeschäfte mit Russland unter Einhaltung des Preisdeckels wieder abzuwickeln, sofern die Regierungen und Banken diesen zustimmen würden.  


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4 Meinungen

  • am 24.03.2023 um 10:47 Uhr
    Permalink

    Wie neutral und unabhängig ist dieses Seco überhaupt noch ? Bei Oelhandel keine Kontrollen aber ein Aufschrei beim auftauchen eines Mowagfahrzeuges in der Ukraine ?

  • am 24.03.2023 um 11:28 Uhr
    Permalink

    Ein weiteres Beispiel für die Wirkungslosigkeit solcher Sanktionen. Es finden sich immer Umgehungswege, ob uns das passt oder nicht. Nur bezahlen wir selber mehr für diese Produkte.
    Kommt noch die Doppelmoral dazu, wenn wir gleichzeitig Rohstoffe von Saudiarabien und anderen kriegführenden Staaten ohne Hemmungen beziehen.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 24.03.2023 um 20:16 Uhr
    Permalink

    Im «Land of the free» haben Sanktionsregimes die Bürgerfreiheiten massiv beschränkt. Wohin Du reisen darfst, mit wem Du Geschäfte machen darfst, was Du denken sollst … All das hat Orwell vorweggenommen.

    Warum sollen wir in der Schweiz solche «Aberrationen» übernehmen ? Müssen wir die «Gesslerhüte» der EU und der US wirklich selbst für uns verbindlich erklären ?

  • am 31.03.2023 um 10:48 Uhr
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    Na und?
    Rohstoffhandel ist und bleibt ein schmutziges Geschäft, ob jetzt mit oder ohne moralisierende Scheuklappen.
    Die Russland-Sanktionen werden von rund 35 Ländern getragen, welche ihrerseits in der ganzen Welt tatkräftig an der Übernutzung und Zerstörung des Planeten mitwirken, und deren einige ohne Zögern andere Länder überfallen, wenn wieder mal die «Demokratie» verteidigt werden muss.

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